Zeitung aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie Das Wort Zeitung war ursprünglich der Begriff für eine beliebige Nachricht („Er bittet, vorgelassen zu werden, er hab' Euch eine wichtige Zeitung.“ - Friedrich Schiller: Die Räuber, 1781); dieser erfuhr jedoch im Laufe des 18. Jahrhunderts eine Bedeutungsveränderung. Heute versteht man darunter ein periodisch erscheinendes Druckerzeugnis mit aktuellem Inhalt (vgl. die sprichwörtliche Wendung: „Nichts ist älter als die Zeitung von gestern.“). In allgemeinster Definition ist eine Zeitung ein Druckwerk von mäßigem Seitenumfang, das in kurzen periodischen Zeitspannen, mindestens einmal wöchentlich, öffentlich erscheint, Nachrichten aus aller Welt und allen Gegenstandsbereichen vermittelt und von jedermann käuflich erworben werden kann. Vier Kriterien müssen also gegeben sein, wenn man von einer Zeitung spricht: Aktualität (zeitnahe Berichterstattung), Periodizität (regelmäßiges Erscheinen), Publizität (öffentlich für alle Leser zugänglich) und Universalität (inhaltliche Vielfalt). Eine Zeitung ist, anders als die Zeitschrift, ein der Aktualität verpflichtetes Presseorgan und gliedert sich meist in mehrere inhaltliche Rubriken wie Politik, Lokales, Wirtschaft, Sport, Feuilleton und Immobilien, die von eigenständigen Ressorts erstellt werden. Ein Ressort bearbeitet immer ein bestimmtes Themengebiet, eine bestimmte Rubrik, für das es eigenverantwortlich und unabhängig von den anderen Ressorts ist – wobei hier die Grenzen zunehmend zugunsten des Konzepts einer integrierten Redaktion aufgabenspezifisch und kompetenzübergreifend weitgehend eingeebnet werden (vgl. Newsdesk). Oftmals werden innerhalb eines Ressorts die einzelnen Themengebiete unter den Redakteuren aufgeteilt, je nach Qualifikation und Wissen der Redakteure. Die einzelnen Segmente einer Zeitung heißen Bücher (schweiz. Bünde). Die Redaktion ist die Abteilung in einem Zeitungs- oder Zeitschriftenverlag, die die journalistische Arbeit erbringt. In einer oder für eine Redaktion schreiben Redakteure, Pauschalisten, Freie Journalisten und Volontäre, von Fall zu Fall auch externe Experten. Die Inhalte werden mit journalistischen Stilmitteln präsentiert und sind thematisch nicht eingegrenzt (universell), meldungsaktuell und allgemein gesellschaftlich, jedoch nicht fachlich oder beruflich bestimmt. Zeitungen bestehen inhaltlich aus dem so genannten redaktionellen Teil, der durch die Redaktion oder einzelne Autoren verantwortet wird, und dem Anzeigenteil. Anzeigen werden in ihrem Inhalt von demjenigen verantwortet, der die Anzeige „schaltet“, d. h. bei der Anzeigenredaktion aufliefert und für ihr Erscheinen bezahlt. Der Verlag kann bestimmte Anzeigen dagegen auch ablehnen. Ist die Anzeige gedruckt, ist der Verlag für den Inhalt der Anzeige verantwortlich. Deshalb ist eine intensive vorherige Prüfung notwendig. Die Anzeigenpreise richten sich vor allem nach der Auflagenhöhe der jeweiligen Zeitung und der Größe der entsprechenden Anzeige. Der Leser gilt in Zeitungsredaktionen oftmals als „unbekanntes Wesen“. Zwar existieren verschiedene Werkzeuge, um Leserverhalten, -zufriedenheit und -wünsche zu ergründen. Doch alle haben neben Vorteilen auch Nachteile. Klassische Feedbackinstrumente sind Leserbriefseiten und Lesertelefone. Sie werden jedoch nur von gewissen Lesertypen genutzt. Auch die jeweils verkaufte Auflage kann zur Nutzerforschung ausgewertet werden. Mächtigere Instrumente sind Copytests, verbunden beispielsweise mit Befragung oder technischen Hilfsmitteln wie Blickverlaufsaufzeichnung und Readerscan. El País, die erste Retortenzeitung Wie wichtig, ja: entscheidend konsequent ausgewerteter Feedback (etwa: Nutzerrückmeldungen) und empirische Erhebungen zum Rezipientenverhalten in den Mediengewerben sind, zeigt ein markantes Beispiel. El País („Das Land”), die größte und international bekannteste Tageszeitung Spaniens, die 1976 kurz nach dem Tod Francisco Francos gegründet wurde, ist ein auf intensive Nutzungsforschung und Leserbefragung im Vorfeld zurückgehendes „Retortenprodukt”. Das Blatt praktizierte zudem als erstes die inzwischen weitverbreitete Beilagen-Publizistik in Magazin-Form (TV-Programm, Jugendmagazin, feuilletonistische Supplements usw.). Die größtmögliche Berücksichtung der Leserwünsche und -erwartungen scheint sich für die spanische Grupo PRISA, dem bedeutendsten Medienunternehmen auf dem iberoamerikanischen Markt, gelohnt zu haben: „Eines der besten Blätter der Welt”, urteilte z.B. Hans Magnus Enzensberger[1] über die Zeitung. In einem Beitrag zum zehnjährigen Jubiläum ging „Die Zeit” noch weiter: „Andere große Journale wirken im Vergleich leicht tantenhaft (The New York Times), unzuverlässig (La Repubblica), bleiern (Le Monde) oder reaktionär (Frankfurter Allgemeine Zeitung).”[2] – Nach einem erfolglosen Versuch, den Webauftritt bezahlpflichtig zu machen (ein Schicksal, das auch zahlreichen anderen Medien, darunter die „Washington Post” oder die „New York Times”, widerfuhr), gingen die Verantwortlichen in die Offensive. Der Online-Auftritt von El País bietet seit Ende 2006 mit die umfassendsten Nutzerbeteiligungsmöglichkeiten in Form von Weblogs und anderen interaktiven Funktionen unter den führenden nachrichtenorientierten Websites[3] (siehe dazu auch: Partizipativer Journalismus; User Generated Content), die Verzahnung von Webpräsenz und Printausgabe ist mit am weitesten gediehen.[4] Explosives Wachstum: Schon um die Jahrtausendwende überstieg die Zahl der Internetnutzer weltweit die Zahl der Zeitungskäufer (2005: 439 Mio. lt. Angaben der World Association of Newspapers). Man muss allerdings berücksichtigen, dass Zeitungsexemplare nicht nur in ärmeren Ländern (viele davon in der medial in jeder Hinsicht notorisch unterversorgten afrikanischen Subsahara[5];[6]) i.d.R. von mehreren Personen gelesen werden und das oftmals mit mehr Aufmerksamkeit. Andererseits bietet der Zeitungsmarkt nicht im Entferntesten die (potentielle) Vielfalt des Webs, von dessen Aktualitätsvorsprung ganz zu schweigen; zahlreiche Leser sind – nicht selten sogar erzwungenermaßen – auf eine Monopol-Publikation verwiesen. – Zu den Zusammenhängen siehe: Medienkompetenz; Digitale Kluft, 100-Dollar-Laptop; allgemeiner: Digitale Revolution, Informationsgesellschaft, Wissensgesellschaft Nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) war der deutsche Tageszeitungsmarkt mit einer Auflage von 21,67 Millionen Exemplaren im ersten Quartal 2005 der größte Markt in Westeuropa. Demnach wurden in diesem Zeitraum pro Erscheinungstag 27,376 Millionen Tages-, Wochen- und Sonntagszeitungen verkauft; davon seien rund 18 Millionen Exemplare (65 Prozent) im Abonnement vertrieben worden. Weltweit ist der chinesische Zeitungsmarkt der größte, gefolgt von Japan. Deutschland liegt hinter den USA und Indien auf Rang fünf, hieß es.[7] 2005 verzeichnete der internationale Zeitungsmarkt nach einem Bericht der World Association of Newspapers (WAN) ein Wachstum von 0,56 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Einnahmen aus dem Anzeigengeschäft kletterten demnach auf ihr bestes Ergebnis seit vier Jahren. Seit der Jahrtausendwende steigerten sich die globalen Zeitungsverkäufe um rund sechs Prozent, wofür vor allem die Zuwächse das boomende Geschäft auf dem asiatischen Markt sowie die zunehmende Verbreitung von kostenlosen Titeln sorgte. Wie Timothy Balding, Geschäftsführer der WAN, mitteilte, wächst die Leserschaft sowohl im Print- als auch im Online-Bereich; die Reichweite könne durch die Nutzung verschiedener Distributionswege gesteigert werden, die von kostenlosen Tageszeitungen bis hin zu den Internetpräsenzen reichen. Trotz der starken Konkurrenz durch andere Medien seien Zeitungen „unverwüstlich“, unterstrich Balding. Die Gratiszeitungen konnten ihre Reichweite laut WAN weltweit um rund sechs Prozent, in Europa sogar um 17 Prozent steigern. Dabei erhöhten sich die Werbeeinnahmen der Verkaufszeitungen 2005 im Vorjahresvergleich um 5,7 Prozent. Gemessen am Stand des Jahres 2000 haben sie um 11,7 Prozent zugelegt. Während die Verkäufe in China und Indien 2005 gesteigert werden konnten, hatten die USA und Deutschland Rückgänge zu verzeichnen. Insgesamt verringerten sich in Europa die Einnahmen auf dem Zeitungsmarkt um 0,24 Prozent, in Nordamerika um 2,5 Prozent und in Australien um zwei Prozent. Das größte Wachstum wies Südamerika mit einem Plus von 3,7 Prozent auf. In Asien habe das Geschäft mit den Tageszeitungen um 1,7 Prozent zugenommen, in Afrika gab es einen Zuwachs von immerhin 0,2 Prozent. Insgesamt untersuchte die WAN eigenen Angaben zufolge den Zeitungsmarkt in 216 verschiedenen Ländern. Weltweit kaufen rund 439 Millionen Menschen Tageszeitungen. Rechnet man die Gratis-Zeitungen hinzu, steigt die Verbreitung sogar auf 464 Millionen, so die WAN.[8] Tageszeitungen in Deutschland 2005: Einbrüche bei der Nutzung, Glaubwürdigkeit ungebrochen Die Langzeitstudie Mediennutzung von ARD/ZDF ergab im Frühjahr 2005[9], dass im Vorjahr bei einer Gesamtnutzung tagesaktueller Medien von 600 Minuten pro Tag die Tageszeitungen mit 28 Min. gegenüber dem Internet (44 Minuten) schon beträchtlich ins Hintertreffen geraten waren (2000: 30 zu lediglich 13 Min. Internet); nach Angaben des Lobby-Verbandes BDZV hatten sie zum Zeitpunkt der Erhebungen dennoch nach wie vor einen geradezu uneinholbar scheinenden Glaubwürdigkeitsvorsprung nicht nur vor Webpublikationen. Die Glaubwürdigkeit der Mediengattungen wurde demnach wie folgt eingeschätzt[10]: * Tageszeitungen: 44 Prozent * Öffentlich-rechtliches Fernsehen: 31 Prozent * Öffentlich-rechtlicher Hörfunk: 11 Prozent * Privates Fernsehen: 7 Prozent * Privater Hörfunk: 2 Prozent * Internet-Online-Dienste: 1 Prozent 1. Ausgabe der Aviso vom 15. Januar 1609 Der Begriff Zeitung tauchte als „zidunge“ mit der Bedeutung „Kunde“ oder „Nachricht“ im Raum Köln bereits am Anfang des 14. Jahrhunderts auf und wurde für mündliche oder schriftliche Botschaften bis ins 19. Jahrhundert gebraucht. Das Wort tidinge aus dem Mittelniederdeutschen oder Mittelniederländischen bedeutet so viel wie Botschaft oder Nachricht. Nach der Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg in der Mitte des 15. Jahrhunderts (1445) waren neben der Buchproduktion bald auch Pressedrucke im eigentlichen Sinn, die Einblattdrucke aufgekommen - teilweise mit Graphiken (Holzschnitten, Kupferstichen) illustrierte, einseitig bedruckte, ereignisbezogene, also nicht-periodisch erscheinende Blätter (mehr dazu im Artikel Flugblatt). Solche Einblattdrucke (wie auch mehrseitige Flugschriften jener Zeit) trugen gelegentlich den Titel Newe Zeitung von … = „neue Nachricht von …“. Diese Praxis mag dazu beigetragen haben, dass sich die Bedeutung des Begriffs „Zeitung“ allmählich von „Nachricht“ auf den Nachrichtenträger selbst, das Medium (der „Zeitungen“ = Nachrichten), verschob. Ende des 17. Jahrhunderts war diese Bedeutungsverschiebung abgeschlossen. Seither ist eine „Zeitung“ ein mit Nachrichten aus aller Welt gefülltes mehrseitiges Druckwerk, das mindestens einmal in der Woche öffentlich vertrieben wird. Flugschrift von Reinhard Lutz: „Warhafftige Zeitung von den Gottlosen Hexen” (1571) Neben der Gattung des Flugblattes existiert seit dem 15. Jahrhundert auch die Pressegattung der Flugschriften. Hierbei handelte es sich um mehr- bis vielseitige, ungebundene, nicht periodisch erscheinende Druckwerke, in denen Ereignisse und Gegenstände beliebiger Art thematisiert wurden. Im Zeitalter der Reformation spielten Flugschriften eine überaus bedeutende Rolle im öffentlichen Streit der konfessionellen und politisch-sozialen Parteiungen (vgl. Flugblatt). Eine weitere nicht-periodische Pressegattung der Frühen Neuzeit sind die „Mess-“ oder „Semestralrelationen“. Es handelt sich, 1583 vom Historiker Michael von Aitzing in Köln aus der Taufe gehoben, um halbjährlich zur (Frankfurter) Buchmesse erscheinende Chroniken der vergangenen wichtigsten politischen Ereignisse in Europa. Die Bezeichnung dieser Gattung der politischen Presse ergab sich also durch die Erscheinungsweise. Wie der ältere (Jahres-)Kalender (siehe auch: Almanach) gehörte auch die Messrelation noch dem Genre der retrospektiv summierenden Annalistik an - erst die etwas jüngere politische Wochenzeitung realisiert dann das Kriterium unüberholbarer Aktualität der Nachrichten. Extrablatt zur Wiener Zeitung vom 21. Mai 1799 zum Kampf von österreichischen und französischen Truppen in der Schweiz Die Pressegeschichte im weiteren Sinne reicht zurück bis zu den Kaufmannsbriefen, die seit 1380 nachweisbar erschienen. Das erste gedruckte Nachrichtenblatt, das die Bezeichnung einer Zeitung im modernen Sinn verdient, ist die Relation aller Fuernemmen und gedenckwuerdigen Historien[11] (häufig in der Forschung auch nur als „Relation“ bezeichnet). Sie erschien ab dem Herbst des Jahres 1605 in Straßburg im Elsass. Gegründet wurde sie von Johann Carolus und sie wurde, wie durch den überlieferten Jahrgang 1609 belegt, wöchentlich einmal ausgegeben. Eine Quelle dafür ist die (undatierte) Supplik des Carolus an den Straßburger Rat, in der er ein Privileg (d. h. das Monopol der Herstellung) für sein neuartiges Druckwerk in Straßburg erbittet. In der Begründung schreibt Carolus, er habe seit einigen Wochen und jetzt das zwöhlffte Mahl ein gedrucktes Blatt herausgebracht. Der Rat Straßburgs lehnte die Eingabe am 21. Dezember 1605 ab. Da solche Suppliken vom Rat gewohnheitsmäßig unmittelbar nach ihrem Eingang behandelt wurden, dürfte des Carolus Bittschrift frühestens eine Woche vor dem 21. Dezember verfasst worden sein. Zurückgerechnet muss der Beginn des Zeitungsdrucks also auf Ende September oder Anfang Oktober 1605 zu datieren sein. Die älteste erhaltene Ausgabe dieser Zeitung stammt allerdings erst aus dem Jahr 1609. Als die erste regelmäßig erscheinende Zeitung auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands gilt der „Aviso, Relation oder Zeitung“. Dies war eine Wochenzeitung, deren erste Nummer am 15. Januar 1609 in Wolfenbüttel erschien. Um 1615 entstand die Frankfurter Postzeitung, die in den nächsten 250 Jahren regelmäßig von Postillons verteilt wurde und kuriose Neuigkeiten, später auch amtliche Nachrichten, im ganzen Land verbreitete und erstmals eine mit heutigen Blättern vergleichbare überregionale Bekanntheit erreichte. Im Jahr 1650 erscheint in Leipzig mit den Einkommenden Zeitungen zum ersten Mal eine Tageszeitung mit sechs Ausgaben pro Woche. Die älteste noch erscheinende Zeitung ist die seit 1645 in Schweden erscheinende Post- och Inrikes Tidningar. Die Tageszeitung blieb zunächst eine Ausnahme, ihre interessanteste Funktion gewann sie vor dem 19. Jahrhundert mit der seit 1702 in London erscheinenden „Daily Courant”, dem Blatt, das die Funktionen des Veranstaltungskalenders der Großstadt übernahm (in kleineren Städten wurden die lokalen Veranstaltungen rascher durch den Ausruf vermeldet). Entstehung der Zeitung „auf der historischen Tagesordnung” Johannes Weber fasste die Entwicklung und ihre vielschichtigen Voraussetzungen, Anlässe, Hintergründe und Konsequenzen so zusammen: „Um 1600 sind alle technischen, infrastrukturellen und kommunikativen Komponenten vorhanden, die das komplexe Phänomen der modernen Zeitung ermöglichen. Der Buchdruck gestattet die massenhafte Reproduktion von Nachrichtentexten; die regelmäßige Stafettenpost bedient ein professionelles handschriftliches Korrespondenzsystem mit Meldungen aus aller Welt. Die Entstehung es ersten gedruckten periodischen Nachrichtenblattes im Herbst 1605 ist deshalb auf der historischen Tagesordnung gewesen. Der Übergang von chirographisch kopierten zu typographisch gefertigten Zeitungen war von weit reichenden Folgen, da die nunmehr mögliche massenhafte Verbreitung der Blätter die neue Qualität der regelmäßigen Publizität des Politischen mit sich brachte. Der Siegeszug des Massenmediums vollzog sich unaufhaltsam. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts boten Zeitungen die meistgelesene weltliche Lektüre. Sie bildete die Voraussetzung politischer Bildung und Aufklärung. Die Säkularisierung des Politischen in den Köpfen der Untertanen wurde durch das fortgesetzte kleinteilige Referat von Herrschaftshandeln vertieft.” (Johannes Weber: Straßburg 1605: Die Geburt der Zeitung – Abstract; a.a.O.) Erste regelmäßig illustrierte Zeitungen; Postzeitung In Amsterdam wird von dem Drucker Caspar Van Hilten 1618 die erste niederländische Wochenzeitung namens „Courante uyt Italien, Dytsland & c.“ herausgegeben. Das wöchentlich erscheinende Blatt kann auch als erste Zeitung im Broadsheet-Format bezeichnet werden; frühere Nachrichtenpublikationen wurden gewöhnlich im Quart-Format gedruckt (heute definiert: 225 × 285 Millimeter). Das einzige noch existierende Exemplar der Erstausgabe (sie enthielt vier verschiedene Berichte, u.a. aus Venedig und Prag) wird in der Kungliga Biblioteket in Stockholm aufbewahrt. Spätere Ausgaben von 1628 bis 1664 befinden sich in der Koninklijke Bibliotheek in Den Haag. – Die erste gedruckte Zeitungsanzeige erschien 1626 in der niederländischen Zeitung „Jansz' Tydinghen uyt Verscheyde Quartieren”. Ab 1620 gibt der belgische Drucker Abraham Verhoeven in Antwerpen die Nachrichtenblätter „Nieuwe Tijdingen” heraus. Dabei handelte es sich um die erste regelmäßig (mit Holzschnitten) illustrierte Zeitung. Der kaiserliche Postmeister Johann von der Birghden (1582–1645) verwendete 1621 in seinem in Frankfurt am Main herausgegebenen Blatt „Unvergreiffliche Postzeitungen” erstmals den Begriff „Postzeitung”. Dieses Blatt erschien, später unter dem Titel „Frankfurter Ober-Postamts-Zeitung”, bis 1866. Die Postmeister verfügten in der Entstehungszeit der Zeitungen häufig über den besten Zugang zu aktuellem Nachrichtenmaterial. Frankreich: „La Gazette” Théophraste Renaudot Als die ersten Zeitungen Frankreichs gelten die Nachrichtenzeitung „La Gazette” bzw. die Wochenzeitung „Nouvelles ordinaires de divers en-droits”. „La Gazette”, herausgegeben von den Buchhändlern L. Vendosme und J. Martin, erschien ab Januar 1631 bis 1915. Durch Kardinal Richelieus Privilegierung gewann sie den Charakter der offiziellen Staatszeitung in Frankreich, einen Status, den sie bis 1789 fast ununterbrochen innehaben sollte. Die Zensurkommision Maître de la Librairie (wörtlich: Büchereimeister) gewährleistete insbesondere im Hinblick auf Berichte zu internationalen Angelegenheiten und Ereignissen, dass nichts veröffentlicht wurde, was den Auffassungen und Interessen der Regierung in Paris zuwiderlief. Die „Gazette” erschien zunächst einmal pro Woche (am Samstag) im Umfang von acht bis zwölf Seiten, gegliedert in das Hauptheft sowie die „Nouvelles Ordinaires” als Beilage. Die Zeitung nannte sich ab 1762 „Gazette de France”. Théophraste Renaudot, der „Vater des französischen Journalismus” Der französische Arzt, Publizist und Historiograph von König Ludwig XIII. (1610–1653), Théophraste Renaudot (* Loudun, Département Vienne 1586, † Paris 1653), der „Vater des französischen Journalismus” (manchmal wird er auch als der Begründer des modernen Journalismus überhaupt gesehen; der Prix Renaudot gehört zu den fünf großen Literaturpreisen Frankreichs), eröffnete im Jahr 1630 in Paris ein Anzeigenbüro. Kaufangebote und -gesuche wurden an den Wänden angeschlagen. Wer eine Stellung suchte oder anbot, konnte sich in eine Liste eintragen, die Renaudot ab 1633 als „Feuilles du bureau d’adresses et de rencontres” druckte und vertrieb; sie waren die Vorläufer der Anzeigenblätter (Intelligenzblätter), die ihre Blütezeit im 18. Jahrhundert erlebten[12]. Renaudots „Nouvelles ordinaires” erschienen in Paris wöchentlich ab 30. Mai 1631. Das Wochenblatt veröffentlichte die ersten Kleinanzeigen („petites affiches”). 1633 wurde in England der erste regelmäßige Schiffspostdienst Europas für die Postbeförderung zwischen Dover und Calais bzw. nach Dublin eingerichtet. Erste Buchdruckerei auf dem amerikanischen Kontinent Die erste Buchdruckerei auf dem amerikanischen Kontinent wurde 1638/1639 in Neuengland von dem aus Cambridge (England) stammenden Drucker Stephen Daye (1594–1668) und seinen Söhnen Stephen und Matthew eingerichtet. Ihr erster Druck war das Formular eines Treueeides für den König („The path of a freeman”, 1639); danach folgte ihr erstes gedrucktes Buch („The Whole Booke of Psalms”, 1640). Früheste Veröffentlichung einer Statistik Etwa zur gleichen Zeit erfolgte in Leipzig die vermutlich früheste Veröffentlichung einer Statistik in einer deutschen Zeitung, wo in den „Einkommenden Wochentlichen Zeitungen” eine Übersicht über „Aufgebotene, Getraute, Getaufte, Begrabene” erschien. Der älteste Beleg einer (personalisierten) Todesanzeige stammt allerdings erst aus dem 18. Jahrhundert.[13] Diese Veröffentlichungen, mutmaßlich irgendwo zwischen (bezahlter) Annonce und redaktioneller Kurzmitteilung, blieben zunächst aber überwiegend ein Mittel von Geschäftsleuten, notwendige gewerbliche Veränderungen mitzuteilen; Entsprechendes wurde ggf. auch in kleiner Auflage gesondert gedruckt und postalisch zugestellt, u.U. auch ausgehängt. Obgleich die Todesanzeigen heute sicher eine der meist gelesenen Seiten vor allem der lokalen und regionalen Tagespresse sind, wurde diese Mitteilungsform erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch zum Ausdrucksmittel privater Trauer im Bürgertum: Es erschienen die ersten gedruckten Todesanzeigen in den Zeitungen. „Gazeta”, die erste Zeitung Portugals, erschien 1641 bis 1642 in Lissabon. Mezzotintotechnik 1642 wurde vom deutschen Kupferstecher Ludwig von Siegen (getauft Köln 1609, † Wolfenbüttel 1680) in Holland die Mezzotintotechnik (ital. mezzotinto = halb gefärbt; dt. Schabkunst) erfunden. Es handelt sich dabei um ein besonderes Kupfer- und Stahlstichverfahren, das auch Halbtöne im Druckergebnis ermöglicht. England 1644: John Milton streitet für die Pressefreiheit Titelseite von John Miltons Areopagitica (London, 1644) Der englische Dichter John Milton (1608–1674) hielt 1644 – auf dem Höhepunkt des Englischen Bürgerkriegs – vor dem britischen Parlament eine leidenschaftliche Rede, in der er für das grundsätzliche Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit eintrat. Seine Rede, die als erstes Zeugnis der Einforderung publizistischer Freiheit der Neuzeit gilt, wurde ohne Erlaubnis im gleichen Jahr in London unter dem Titel „Areopagitica; a peech for the liberty of unlicensed printing to the Parlament of England”[14] gedruckt. 1645 wurde die erste Zeitung in schwedischer Sprache herausgegeben. Die „Orinari Post Tijender” des Postmeisters Johan von Beijer wurde von Ignatius Meurer, einem Deutschen, in Stockholm gedruckt. Redaktionslokal und Nachrichtenbörse: das Kaffeehaus Ein englisches Kaffeehaus am Ende des 17. Jahrhunderts. Vor den Gästen am Tisch liegen Papiere (Zeitungen?), im Hintergrund wird eifrig diskutiert 1647 wurde in Venedig das erste europäische Kaffeehaus eröffnet; in ihm lagen bereits Zeitungen und Zeitschriften zur Lektüre aus und wurden Spiele (Karten, Schach, Billard) und Unterhaltung (Musik, Gesang, später Kabarett) geboten. Weitere Kaffeehäuser folgten 1650 in Oxford, 1652 in London, 1674 in Paris, um 1677 in Hamburg und 1685 in Wien, 1686 in Regensburg (gegenüber dem Rathaus und dem Immerwährenden Reichstag). – Das Kaffeehaus entwickelte sich als Treffpunkt von Literaten, Künstlern, Journalisten, Gelehrten, Politikern, Geschäftsleuten usw. besonders im 18. und 19. Jahrhundert zu einem wichtigen Kommunikationszentrum. Diverse Presseunternehmen verdanken dem Kaffeehaus ihre Gründung. So dienten z.B. die Londoner Kaffeehäuser den Herausgebern der englischen moralischen Wochenschriften als Redaktionslokal und Nachrichtenbörse (vgl. Button’s Coffee-house). Die erste deutsche Zeitschrift, die möglicherweise im Kaffeehaus entstanden ist, ihm zumindest aber ihre Existenz verdankte („Kaffeehauszeitschrift”), erschien in Leipzig 1698 unter dem Titel „Das curieuse Caffe-Hauß zu Venedig”. Fiktive Kaffeehausdiskurse zu Themen wie Mode, Barttrachten, politische Ränkeschmieden bzw. Gerüchte und dergleichen bildeten überwiegend den Inhalt. „Das neue und curiöse Caffe-Hauß, vormals in Italien, nunmehro aber in Teutschland eröffnet” erschien ebenfalls in Leipzig von 1707 bis 1708; es hatte nichts mit dem „Caffe-Hauß zu Venedig” von 1698 zu tun. Briefkästen Die nachweislich ersten Briefkästen wurden 1653 in Paris angebracht. In sie durfte man Briefe werfen, an denen ein Papierstreifen mit der Bestätigung des vorausbezahlten Portos („billet de port payé”) befestigt sein musste. Diese Billets können als die ältesten Postwertzeichen angesehen werden. – In Deutschland wurde der erste Briefkasten 1766 in Berlin aufgestellt. Landesweit wurden Briefkästen in Preußen am 1. Januar 1824 offiziell eingeführt. Größere Bedeutung erlangten sie jedoch erst mit der Einführung der Briefmarke. 1656 erschien in Haarlem die erste heute noch bestehende niederländische Zeitung als der „Weeckelycke Courante van Europa”. Heute heißt das Blatt „Haarlems Dagblad”. Die erste polnische Zeitung, der „Merkuriusz Polski” („Polnischer Merkur”), erschien ab dem 3. Januar 1661 wöchentlich in Krakau, ab dem 14. Mai 1661 auch in Warschau. Deutschland: erste Impulse zur Vereinheitlichung der Rechtschreibung Erste Impulse zur Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung gingen vom Sprachwissenschaftler und Schriftsteller Justus Georg Schottel, latinisiert Schottelius, (* Einbeck 1612, † Wolfenbüttel 1676) aus, der die Schreibung der deutschen Sprache nach der Aussprache regeln wollte („Ausführliche Arbeit von der Teutschen Haubt Sprache”, Braunschweig 1663). Haupt- und Staatsblatt: die „London Gazette” Titelseite der „London Gazette” für die Woche vom 3. bis 10. September 1666 mit einem Bericht über den großen Brand in der Hauptstadt Englands Die 1665 ins Leben gerufene „London Gazette” war während des Zweiten Englisch-Niederländischen Krieges die einzige in England offiziell zugelassene Zeitung. Das Blatt erschien zweimal wöchentlich montags und donnerstags im einblättrigen Folioformat; Vorder- und Rückseite eines jeden Blattes waren zweispaltig bedruckt. Die „London Gazette” hatte bis zu 105 Nummern mit rund 210 Seiten Umfang. Herausgeber in den 1670er-Jahren war Thomas Newcomb. – Gegründet wurde das Blatt, das als erste reguläre englischsprachige Zeitung gilt, ursprünglich als „Oxford Gazette”, weil der englische Königshof wegen der Pest aus London geflohen war. Die „Continuation of Our Weekly News”, ein Newsbook im Quartformat mit acht bis 24 Seiten, war in London seit 1623 publiziert worden. Die Geschichte der dänischen Presse begann mit der Monatszeitung „Den Danske Mercurius”, der in Kopenhagen von 1666 bis 1677 erschien. Um 1670 erfand ein Unbekannter in Holland die erste die Papierfabrikation rationalisierende Maschine. Die zum Zerkleinern (Mahlen) der Hauptrohstoffe dienende Vorrichtung wird „Holländer” genannt. Zeitungswesen: frühe Kritik, frühes Lob Als die erste Buchveröffentlichung mit Kritik am Zeitungswesen gilt die 1676 in Jena erschienene Schrift „Discursus de novellarum, quas vocant Newe Zeitungen, hodierno usu et abusu” (dt. Diskurs über den Gebrauch und Mißbrauch von Nachrichten, die man Newe Zeitungen nennt) des Dichters, Rechtsgelehrten und Hofkanzlers Ashaver Fritsch (* Mücheln 1629, † Rudolstadt 1701). In diesem Pamphlet polemisierte Fritsch gegen die „Zeitungssucht” und „eitles, unnötiges, unzeitiges und daher arbeitsstörendes, mit unersättlicher Begierde getriebenes Zeitungslesen”.[15] Vom Schulmann und Dichter Christian Weise (* Zittau 1642, † ebd. 1708) stammt die früheste Rechtfertigung des Zeitungswesens (und des Zeitungslesens). Seine Apologie des damals noch jungen Mediums veröffentlichte er in dem Buch „Schediasma curiosum de lectione novellarum” (dt. Interessanter Abriß über das Lesen von Zeitungen), Frankfurt/M., Leipzig 1676. 1706 veröffentlichte Weise sein Werk „Curieuse Gedancken von den Nouvellen oder Zeitungen“. Die erste deutsche zeitungswissenschaftliche Dissertation, „De relationibus novellis” (dt. Über Zeitungsberichte), wurde an der Universität Leipzig von Tobias Peucer aus Görlitz (Lausitz) angefertigt und 1690 veröffentlicht. Peucer untersuchte in ihr vor allem den wissenschaftlichen Nutzen der Zeitungslektüre für den Historiker. Die erste umfassende Gesamtdarstellung des Zeitungswesens verfasste der Barock-Schriftsteller und -Sprachforscher Caspar (Kaspar) Stieler (* Erfurt 1632, † ebd. 1707; 1705 geadelt) mit der 1695 in Hamburg erschienen Abhandlung „Zeitungs Lust und Nutz, Oder: derer so genannten Novellen oder Zeitungen, wirckende Ergetzlichkeit, Anmut, Notwendigkeit und Frommen …”. Darin heißt es unter anderem: „Die Zeitungen sind der Grund / die Anweisung und. Richtschnur aller Klugheit.“ Stieler gab hier bereits detaillierte Anweisungen für guten und angemessenen Zeitungsstil: „Inmittels muß der Stilus / oder Schreibart Historisch verbleiben / daß ist / er muß einfältig / aber doch auch munter; gleich fliessend / doch auch hurtig und sinnreich seyn. Alles gekünstelte und gezwungene findet darinnen keine statt. Wortwandlungen und Blumenwerk gehören in die Zeitungen nicht / so wenig als Poetische Grillen und neu erfundene Worte.“ Und er klärt seine Leser über das Wesen der Zeitung auf: „Das Wort: Zeitungen kommt von der Zeit / darinnen man lebet / her und kan beschrieben werden / daß sie Benachrichtigungen seyn / von den Händeln / welche zu unserer gegenwärtigen Zeit in der Welt vorgehen / dahero sie auch Avisen / als gleichsam Anweisungen genannet werden. Denn das Wort Avisen bedeutet anweisen / anzeigen / oder berichten / was bey uns oder anderswo sich begibt. […] Sie seyn Gedruckte Erzehlungen derer hin und wieder / oder vermeintlich vorgegangenen Dinge / ohne gewisse Ordnung und Beurteilung: zu ersättigung der Lesenden Neugirigkeit und Benachrichtigung der Welt-Händel erfunden.“ Die wahrscheinlich erste spanische Zeitung erschien 1677 unter dem Titel „Gaceta de Madrid” (eingestellt 1680, neugegründet 1697, seit 1808 Amtsblatt, 1936 erloschen). Erste Zeitungen in den britischen Kolonien Nordamerikas Die erste amerikanische Zeitung: „Publick Occurrences, Both Foreign and Domestick” (25. September 1690) Die erste, von dem Quäker William Bradford (1663–1732) und anderen gegründete Papiermühle Amerikas nahm 1690 in der Nähe von Germantown (Pennsylvania) den Betrieb auf. Im gleichen Jahr erschien am 25. September auch die erste amerikanische Zeitung unter dem Titel „Publick Occurrences, Both Foreign and Domestick” (etwa: „Öffentliche Begebenheiten aus dem Aus- und Inland”) in Boston, herausgegeben von Richard Pierce und Benjamin Harris. Der britische Gouverneur von Massachusetts verbot die Zeitung umgehend, weil er das Nachrichtenmonopol offizieller Informationen aus London aufrechterhalten wollte. Am 24. April 1704 erfolgte die zweite Zeitungsgründung in den britischen Kolonien Nordamerikas mit dem von Bartholomew Green in Boston gedruckten „Boston News Letter” (erschienen bis 1776). Der „Boston News Letter” für die Woche von 17. bis zum 24. April 1704 Die ersten „Wettervorhersagen” erschienen am 14. Mai 1692 in dem von John Houghton (1640–1705) herausgegebenen Wochenblatt „A collection for improvement of husbandry and trade” (dt. Sammlung für den Fortschritt von Landwirtschaft und Handel). Dabei handelte es sich allerdings nur um eine Tabelle mit Angaben zum Luftdruck und zu den Windstärken der gleichen Zeit des Vorjahres, mit der sich die Leser selbst die Vorhersage erstellen sollten. Houghtons weithin als unwissenschaftlich angesehene Methode wurde mehrfach nachgeahmt; erst nach Einführung der Telegrafie waren Wettervorhersagen in Zeitungen auf wissenschaftlicher Grundlage möglich. Die erste Heiratsanzeige erschien am 19. Juli 1695 ebenfalls in Houghtons Wochenblatt. „Ein Herr von etwa 30 Jahren mit ansehnlichem Besitz” suchte mit der Annonce „für die Ehe eine junge Dame mit einem Vermögen von ca. 3000 Pfund”. Die erste Frauenzeitschrift der Welt: „The Ladies’s Mercury” „The Ladies’s Mercury”, die erste Frauenzeitschrift der Welt, erschien am 27. Juni 1693 in London. Das von dem Buchhändler John Dunton herausgegebene Blatt enthielt bereits eine Kummerspalte, eine heute noch vielfach in vergleichbaren Publikationen geplegte Einrichtung. Die Zeitschrift stellte ihr Erscheinen noch im selben Jahr ein. – 1725 erschien in Leipzig eine der ersten deutschen Frauenzeitschriften, die von Johann Christoph Gottsched (1700–1766) und seiner Ehefrau Louise Adelgunde (1713–1762) gegründete Zeitschrift „Die vernünftigen Tadlerinnen” (in der Tradition der englischen Moralischen Wochenschriften). Der Begriff „Zeitschrift” wird jedoch erst 1751 gesichert verwendet; vorher sprach man von einem Journal, Magazin oder einer Monatsschrift. Titelseite der „Boston Gazette” Nr. 1739 vom 26. November 1787. Das Motto der Zeitung lautete nach dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg: „A free press maintains the majesty of the people“ Bis allerdings Frauen regelmäßig selbst zu Berufsjournalistinnen (namentlich zu Redakteurinnen) aufsteigen konnten, verging noch mehr als ein Jahrhundert. In den Niederlanden etwa wurde erst im Jahr 1884 mit Henriëtte van der Meij (1850 bis 1945) die erste festangestellte Journalistin bei einer Zeitung beschäftigt („Middelburgsche Courant”, heute: „Provinciale Zeeuwse Courant”). Eine Ausnahme war Ann Franklin, die 1762 in Newport, Rhode Island, die Zeitung „The Newport Mercury” herausgab. Sie hatte die Stellung als Herausgeberin von ihrem Mann James Franklin, einem Halbbruder von Benjamin Franklin, übernommen. Der Drucker James Franklin publizierte ab 1719 die „Boston Gazette”, die als Konkurrenzblatt zum „Boston News-Letter” intendiert war, und druckte ab 1728 auch den „Rhode Island Almanac”. Weitere Wegmarken Seite aus der 1703 erstmals erschienenen ersten russischen Zeitung „Sankt-Peterburgskie Vedomosti” vom 28. Juni 1711 Die älteste noch (bzw. seit 1991 wieder) bestehende russische Zeitung, die „Sankt-Peterburgskie Vedomosti”, erscheint 1703 zum ersten Mal. Ihre Publikation wurde von Peter dem Großen am 16. Dezember 1702 per Ukas angeordnet. Sie stand in der Tradition der handschriftlich abgefassten „Kuranty” des 17. Jahrhunderts (Erstausgabe: 1621) und beinhaltete wenig mehr als Berichte über diplomatische Beziehungen und Peters militärische Siege – entweder von ihm höchstpersönlich verfasst oder aus holländischen Zeitungen seiner Wahl übersetzt. Die Erstausgabe der ältesten immer noch erscheinenden Zeitung Dänemarks, der „Berlingske Tidende”, datiert von 1749. 1763 wird der „Norske Intelligenz-Sedler”, die erste Zeitung Norwegens, zum ersten Mal herausgegeben. 1785 gründet John Walter die britische Zeitung „The Daily Universal Register”. Ab dem 1. Januar 1788 nennt sich das Blatt „The Times”. Die später sehr angesehene Zeitung war zunächst im Wesentlichen ein Skandalblättchen; Walter verdiente einige Jahre einen Teil seines Einkommens mit Nachrichten, die er nicht veröffentlichte. Wie es damals durchaus üblich war, bezahlten ihm Prominente Geld dafür, dass bestimmte Meldungen unterdrückt oder unterschlagen wurden. Mit „El Mercurio” wird 1827 in der Hafenstadt Valparaíso die erste spanischsprachige Zeitung Südamerikas publiziert. Das heute führende Blatt Chiles ist die älteste noch erscheinende Zeitung in spanischer Sprache weltweit. Die ältesten noch erscheinenden deutschsprachigen Zeitungen * Wiener Zeitung (1703) * Hildesheimer Allgemeine Zeitung (1705) * Bremer Nachrichten (1743) * Neue Zürcher Zeitung (1780) Ein Lesekabinett um 1840; Gemälde von Heinrich Lukas Arnold, Dresden (vgl.: Lesegesellschaft, Lesezirkel) Im 19. Jahrhundert entstand die Massenpresse, was zum großen Teil an technischen Neuerungen der Druckpressen lag. 1812 wurde die Schnellpresse erfunden, 1845 die Rotationsmaschine und 1884 die Linotype-Setzmaschine. Außerdem stieg das Interesse der Bevölkerung an Informationen aus Politik und Gesellschaft; immer mehr Bürger konnten lesen (vgl. dazu auch: Kulturelle Bedeutung des Lesens, Lesekompetenz; im Weiteren: Literalität, Gutenberg-Galaxis, Alphabetisches Monopol; übergreifend: Mediengenealogie). Zudem wurde das staatliche Anzeigenmonopol aufgehoben; dadurch entstand für das Zeitungswesen die zweite Einnahmequelle – der Anzeigenverkauf. Durch den Anzeigenverkauf konnte nun die Zeitung selbst günstiger verkauft werden, was zu einer wesentlich größeren Verbreitung führte. Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Deutschland circa 3500 Zeitungen. Ungeachtet bedeutsamer technischer und gesellschaftlicher Fortschritte verhinderten besonders im deutschsprachigen Raum (mit Ausnahme, unter Vorbehalt, der Schweiz), die politischen Umstände zunächst die Herausbildung einer hinreichend unabhängigen und freien Presse, die andernorts frühzeitig als ein wesentlicher Bestandteil eines genuin demokratischen Gemeinwesens erachtet und geachtet wurde. Gerade auch in diesem Zusammenhang ist an Helmuth Plessners These von Deutschland als der „verspäteten Nation” zu erinnern. Nach dem Sturz des Hauses Stuart hatte England als erster moderner Staat eine genuine Freiheit der Presse eingeführt; das Parlament lehnte 1695 eine Verlängerung der Zensurgesetze ab. Allerdings blieben den Zeitungen steuerliche Belastungen auferlegt, die erst Mitte des 19. Jahrhunderts aufgehoben wurden. „Das Vorbild Englands strahlte hinüber in die Neue Welt und zurück auf den Alten Kontinent”, wie Martin Löffler 1969 in seinem Presserechtskommentar schrieb.[16] Titelkopf der Heilbronner Zeitung „Wochentlich Heilbronnisches Nachricht- und Kundschafts-Blatt” vom 30. September 1760, in dem ausdrücklich die „hochgeneigte Bewilligung” des Magistrats erwähnt wird „Gazetten dürfen, so sie delecti[e]ren sollen, nicht geni[e]ret werden” – diese an Voltaire gerichtete Äußerung des aufgeklärten preußischen Königs Friedrich II. vom Mai 1740 wird bisweilen als Plädoyer und Beleg für eine weitreichende Pressefreiheit im Preußen des 18. Jahrhunderts gewertet. Allerdings bezogen sich die neuen Bestimmungen ausschließlich auf den Lokalteil der Zeitungen. So wurde der Verleger der „Berlinischen Privilegirten Zeitung” schon im September 1740 darauf aufmerksam gemacht, dass er fortan nur mit „mehrer Überlegung und Behutsamkeit” die ihm „erlaubete Freyheit” gebrauchen dürfe. Nach dem Angriff Preußens auf Schlesien konnte von Garantien für die Pressefreiheit im Militärstaat Preußen keine Rede mehr sein. Der Bremer Presseforscher Holger Böning stellte fest, dass Friedrich II. „persönlich für eine Pressereglementierung” gesorgt habe, „die an Strenge in Deutschland kaum ihresgleichen fand.” Andererseits habe er „so früh wie wenige andere die Bedeutung der öffentlichen Meinung” erkannt. „Während der Schlesischen Kriege wurden von ihm unter der Identität eines 'vornehmen preußischen Officiers' vorzügliche Berichte über die militärischen Operationen verfaßt, die das Bild des genialen Schlachtenführers auszumalen halfen. Sie wurden in die Berliner Zeitungen eingerückt und überall in Deutschland nachgedruckt. Planvoll bis ins letzte Detail perfektioniert wurde die preußische Nachrichtenpolitik im Siebenjährigen Krieg. Durften die anderen deutschen Zeitungen auch der österreichischen Sicht Raum geben, so war das den Berliner Blättern untersagt. Selbst für den gelehrten Artikel hatte der König persönlich Vorzensur - Tod jeder aktuellen und interessanten Zeitung - angeordnet. Der junge Lessing schrieb seinem Vater aus Preußens Hauptstadt, er verzichte auf die Übersendung der Berliner Zeitungen, weil diese 'wegen der scharfen Censur größtentheils unfruchtbar und trocken sind, daß ein Neugieriger wenig Vergnügen darin finden' könne.” Während die Berliner Presse verkümmert sei, habe Friedrich, „perfekt die Klaviatur der Meinungslenkung beherrschend, an seinem Ruhm als Freund der Gerechtigkeit und Schirmherr der Geistesfreiheit” gearbeitet.[17] „Der Denker Club. Wichtige Frage, welche in heutiger Sitzung bedacht wird. Wie lange möchte uns das Denken wohl noch erlaubt bleiben?” (Deutsche Karikatur von 1819) Auch in Österreich, wo Joseph II. für wenige Jahre vorübergehend die Zügel gelockert hatte (z.B. auch im Hinblick auf die Kritik an seiner Person, die gestattet war, „wenn es nur keine Schmähschriften sind”), wurde alsbald wieder eine härtere Gangart eingeschlagen, die in der offenen Unterdrückung und systematischen Verfolgung im Metternichschen Polizeistaat kulminierte (vgl. Restaurationszeit; Karlsbader Beschlüsse; Wiener Kongress). Die weitreichendsten Freiheiten im Europa des 18. Jahrhunderts genossen wohl die Schweden unter ihrem König Gustav III., der nicht nur ein Freund der Wissenschaft, sondern auch selbst Schriftsteller war. Noch vor den Revolutionen in Amerika und Frankreich erließ Schweden 1766 ein Pressegesetz, das die Pressefreiheit garantierte. (Dennoch gab es auch in Schweden in der Folge noch teilweise spektakuläre Fälle von Zensur; so wurden 1770 Emanuel Swedenborgs theologische Schriften verboten, der berühmteste Liederdichter Schwedens, der spätere Nationaldichter Carl Michael Bellman – gewiss kein Experte in zurückhaltender Ausdrucksweise – erhielt 1773 eine Warnung wegen eines Impromptus.) 1810 folgte ein mit Verfassungsrang ausgestattetes Gesetz über die Freiheit der Presse, 1992 das Gesetz über die Meinungsfreiheit, dessen Geltungsbereich sich auf die elektronischen Medien erstreckt. Die frühzeitig begründete Tradition hat tiefgreifende Folgen bis heute: „Die Meinungs- und Pressefreiheit genießt in Schweden eine überragende Stellung; der Schutz des Persönlichkeitsrechts tritt dahinter deutlich zurück. Ein Gegenveröffentlichungsrecht ist nicht vorgesehen und die Haftungsverantwortlichkeit für Veröffentlichungen auf den Redakteur beschränkt (es haften also weder der Verleger noch der Verfasser noch der Informant!).”[18] Im September 1770 ließ Johann Friedrich Struensee, der zum Staatsminister aufgestiegene Leibarzt des dänischen Königs Christian VII., für die Herzogtümer Schleswig und Holstein die Zensur förmlich aufheben (Rescript, betreffend die Aufhebung der Censur)[19]. Die Hamburger Presse genoss für kurze Zeit eine „gewisse Englische Freiheit”, wie der Oberpostmeister zu Hamburg Maximilian von Kurtzrock es ausdrückte. Nach Struensees Hinrichtung am 28. April 1772 machte einer seiner schärfsten Kritiker, Ove Høegh-Guldberg, sämtliche von diesem veranlassten Reformen rückgängig und beschleunigte die Rückkehr zum dänischen Absolutismus alter Prägung. 1773 wurde die Zensur wieder eingeführt; Publizisten hatten sich direkt gegenüber dem Polizeimeister zu verantworten. In diversen mittleren und kleineren Staaten, etwa in Sachsen-Weimar, Hessen-Darmstadt, Mecklenburg-Strelitz und Neuwied, lagen die Verhältnisse ähnlich. „Antinapoleonisches Blatt” eines „romantischen Feuerkopfes” (Michael Rutz): Johann Joseph von Görres' „Rheinischer Merkur”, Erstausgabe vom 23. Januar 1814 – „Durch alle Völkerschaften, die den Boden des alten Germanien bedecken, geht ein Geist freudigen Entsagens und muthigen Zusammenhaltens, eine schöne Begeisterung glüht in aller Herzen … Die Folgen dieser Erhebung einer starken Nation sind schon in die Weltgeschichte aufgenommen; die Schlacht bey Leipzig hat ihres Gleichen nicht an Wichtigkeit seit jener auf den Catalaunischen Feldern; und seit dem großen Bunde der Germanier gegen die römische Oberherrschaft, hat Teutschland nie so eins in sich, so wehrhaft, so gründlich stark und unüberwindlich da gestanden.” Die Restauration machte der Aufbruchstimmung ein jähes Ende: Eine Kabinettsorder Preußens verbot am 3. Januar 1816 das weitere Erscheinen der Zeitung, Görres floh 1819 nach Straßburg. In der Terrorphase der Französischen Revolution (Schreckensherrschaft) zerbrach das Bündnis zwischen den gemäßigteren Regierungen in Deutschland, die sich nun auch vor einem Übergreifen der Umwälzungen auf ihren Herrschaftsbereich fürchteten, und der aufklärerischen Presse. Die bis dahin in einer Reihe von Städten und Territorien zurückhaltend gehandhabte Pressezensur wurde deutlich verschärft; das Recht der freien Meinungsäußerung bzw. der ungehinderten Informationsbeschaffung („Publizität”), ein Kernanliegen der Aufklärung, wurde dadurch neuerlich massiv beeinträchtigt. In Frankreich selbst war mit Artikel 353 der Verfassung von 1793 die Vorzensur aufgehoben worden. Unter der Herrschaft der Jakobiner war das Publizieren gefährlich geworden: Es genügt oftmals die bloße Denunziation durch bezahlte Spitzel oder Neider, um etwa Buchhändler oder Verfasser von Flugblättern „royalistischer Umtriebe” zu bezichtigen und im Schnellverfahren auf die Guillotine zu bringen. Unter Napoleon wird die Pressefreiheit in der Direktorialverfassung von 1796 (Artikel 355) gewährleistet – allerdings mit wesentlichen Restriktionen. Zwar gab es keine Vorzensur mehr; dafür wurden Buchhändler und Autoren jetzt nach der Publikation belangt. Dazu diente eine Impressumspflicht mit der Angabe der realen Namen von Verleger und Autor. Der für die weitere Rechtsentwicklung gerade auch in Deutschland vorbildliche Code Civil Napoleons (1804) garantierte Freiheit und Rechtsgleichheit, allerdings war die Pressezensur keineswegs abgeschafft. Noch stärker wirkte ab August 1806 die Einschränkung der Presse unter der napoleonischen Herrschaft und die damit verbundenen staatlich verordneten Konzentrationen in der deutschen Zeitungslandschaft. In den Rheinbundstaaten und in Norddeutschland durfte in jedem Departement nur eine Zeitung erscheinen, die ausschließlich die Berichte des Pariser Amtsblatts „Le Moniteur universel” nachdrucken durfte. Die nach der Beendigung der Herrschaft Napoleons (siehe dazu: Befreiungskriege) im Artikel 13 der Bundesakte versprochenen Verfassungen wurden in den deutschen Staaten nur zögerlich umgesetzt; so erhielt z.B. Sachsen-Weimar-Eisenach (1815 auf dem Wiener Kongress zum Großherzogtum aufgestiegen) am 5. Mai 1816 als einer der ersten deutschen Staaten durch Carl August eine teils altständische, teils moderne Verfassung, die als erste in der deutschen Geschichte die vollständige Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit einschloss. Nach der Ermordung von August von Kotzebue durch Karl Ludwig Sand 1819 blieb dieses Versprechen weitgehend Makulatur. – Vgl. Wartburgfest, Urburschenschaft; Deutscher Bund. Die „Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe“; erst am 1. Januar 1842 in Köln gegründet, wurde sie von den Behörden am 31. März 1843 bereits wieder verboten. Wichtigster Autor und ab 15. Oktober 1842 Redaktionsleiter: Karl Marx. Erst durch die Paulskirchenverfassung wurde die Pressefreiheit 1848 gesetzlich verankert (wenn auch zunächst folgenlos) und 1874 dann in die Reichpressegesetze [20] übernommen, wobei sich deren beinahe unbedingte Hochschätzung in Deutschland besonders auch in der Rechtsprechung erst nach dem Zweiten Weltkrieg allmählich herausbildete (siehe dazu u.a.: Lüth-Urteil, Spiegel-Affäre). [21] Im Vormärz hatte sich z.B. der Deutsche Preß- und Vaterlandsverein „die Wiedergeburt Deutschlands in einem freiheitlichen Europa“ auf die (schwarz-rot-goldenen) Fahnen geschrieben; die Freiheit der Presse erkannte man als ein entscheidendes Vehikel zur Verwirklichung dieses Ziels (für Österreich vgl. u.a.: Juridisch-Politischer Leseverein, Revolution von 1848/49 im Kaisertum Österreich[22]). „Der Kontinent tat 1848 einen großen Schritt in Richtung Informationsgesellschaft - ein Terminus, der also nicht erst seit heute in der Welt ist: Europa wuchs zu einem großen Kommunikationsraum zusammen. 'Das Eigene und das Fremde erhielt für Menschen aller Sozialkreise neue Konturen.' (Langewiesche). Dank der schnellen Informationsausbreitung waren Nachrichten nicht mehr zu 'kanalisieren', zurückzuhalten oder zu instrumentalisieren. Es begann sich die moderne Staatsbürgergesellschaft zu formieren, in der alle teilhaben an Informationen und Meinungen. Die 'Exklusivität' war zerstört. Partizipation trat an ihre Stelle. Auch wenn die Revolution scheiterte - es bleibt das historische Verdienst des deutschen März, der Durchsetzung der Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland den Weg bereitet zu haben.[..] Die 'Schicksalsstunde der Demokratie', die 'uns noch immer mit der Trauer über eine verlorene Möglichkeit erfüllt', wie der Historiker Thomas Nipperdey die März-Revolution nannte, war also doch nicht vergebens.“[23] In den Vereinigten Staaten von Amerika ist die Presse-, Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit seit 1789/91 durch den Ersten Verfassungszusatz (dem First Amendment) in der Bill of Rights de jure offiziell uneingeschränkt[24]; die staatliche Nichteinmischung wird explizit gewährleistet („Der Kongress wird kein Gesetz erlassen [..], das die Freiheit der Rede [..] oder die der Presse einschränkt.“). Die Väter der US-amerikanischen Republik waren sich der fundamentalen Bedeutung einer freien Presse für eine freiheitliche Demokratie von Anfang an bewusst: „Wäre es an mir zu entscheiden, ob wir eine Regierung ohne Zeitungen oder Zeitungen ohne eine Regierung haben sollten, sollte ich keinen Moment zögern, das Letztere vorzuziehen“, so Thomas Jefferson im Jahr 1787. – Vgl. Vierte Gewalt; Meinungsfreiheit, Rezipientenfreiheit. Nichtsdestoweniger ist die Geschichte der Presse und der Zeitung bis in unsere Tage[25] stets auch die Geschichte der Zensur. Allerdings: Nicht nur die Behinderung der freien Information durch meist staatliche Zensur, Willkür und Repression, sondern auch das grob fahrlässige (etwa aus Mangel an Professionalität oder durch unverantwortliche Leichtgläubigkeit), in aller Regel aber bewusste und gezielte Fälschen und Erfinden von Nachrichten begleiten die Presse- und Mediengeschichte von Anfang an. Illustration der „New York Sun” zu ihrer Serie über die „Entdeckungen” John Herschels (1835) In den USA gilt die „große Mondente“ in dem von Benjamin Day herausgegebenen Blatt „The New York Sun” von 1835 als das erste Beispiel einer großangelegten und bewussten Fälschung (in diesem Fall durch maßlose Übertreibung, willkürliche Ausschmückung und Hinzuerfindung) im Zeitungsjournalismus. Dabei wurde ein Aufenthalt des britischen Astronomen Sir John Herschel am Kap der Guten Hoffnung in Südafrika, wo er ab 1834 ein Observatorium einrichtete, am 25. August 1835 zum Anlass für wild ausufernde und frei erfundene Schilderungen dessen genommen, was Herschel angeblich „mit Hilfe seines immensen Teleskops völlig neuen Prinzips“ habe erblicken können. Die für die verblüfften Leser ohnehin schon mehr als faszinierende Beschreibung von Vegetation, Meeren und Stränden, Bisons und Ziegen, Kranichen und Pelikanen auf dem Erdtrabanten wurde schließlich getoppt durch die vorgebliche Entdeckung von pelzbekleideten, geflügelten Menschen, die wie Fledermäuse aussehen sollen. Beim Erscheinen des ersten Teils der Serie hatte „The Sun” noch eine Auflage von 15000 verkauften Exemplaren täglich; als die vermeintliche Existenz von Menschen auf dem Mond enthüllt wurde, verkündete Benjamin Day, dass sein Blatt mit 19360 Expl. die höchste Auflage aller Zeitungen weltweit habe. Viele der konkurrierenden Verleger waren vor Neid außer sich und druckten die Serie eilig nach. Die höchst verwunderliche Zeitungsente sorgte drei Wochen lang für so erheblichen Aufruhr, dass eine Missionsvereinigung in Springfield, Massachusetts, ernsthaft erwogen haben soll, Missionare zum Mond zu entsenden, um die Fledermausmenschen zu bekehren. – Erst am 16. September 1835 räumte die „Sun” die Fälschung ein und stieß damit nicht etwa auf Empörung, nein: Die Öffentlichkeit reagierte größtenteils amüsiert (was in unseren Tagen bei vergleichbaren Vorkommnissen wohl kaum mehr der Fall wäre; siehe: Hitler-Tagebücher, Tom Kummer, Jayson-Blair-Affäre). „The Sun” konnte sogar die mit dem legendären Hoax erreichte Auflagenhöhe dauerhaft halten.[26] Statistik: Das Wachstum des Zeitungsmarktes in den USA von 1840 bis 1860 Die 1833 gegründete „New York Sun” war auch die erste so genannte Penny-Press-Zeitung. Benjamin Day kam auf den Einfall, die Leserschaft und den Absatz seiner Zeitung durch einen günstigen, für beinahe jedermann erschwinglichen Preis und durch organisierten Straßenverkauf zu vergrößern (siehe: Kaufzeitung). Die meisten Blätter dieser Tage kosteten sechs US-Cents (viel zu viel für weniger Bemittelte) und wurden per Abonnement vertrieben. „The Sun” wendete sich auch inhaltlich bzw. konzeptionell an ein breiteres Publikum, befleißigte sich eines vereinfachten, direkteren Stils, einer lebhaften Sprache und publizierte Human-Interest-Geschichten. Der parataktische und elliptische Stil mit oftmals gezielt übertreibenden, nicht selten reißerischen Formulierungen ist bis heute kennzeichnend für weite Teile der Boulevardpresse („Räuberpistolen”). Der von James Gordon Bennett herausgebene „New York Herald”, ebenfalls ein erschwingliches Massenblatt, praktizierte als erster mittlerweile durchweg gängige Formen der Nachrichtengewinnung: Die Zeitung zog nicht nur (vielfach offizielle oder offiziöse) Dokumente und mittelbar (meist im Nachhinein) recherchierte Berichte als Informationsquellen heran, sondern auch die observierende (Vor-Ort-)Reportage und das Interview. Der „New York Herald” beschäftigte neben zahlreichen Lokaljournalisten, die z.B. regelmäßig auch von der Wall Street berichteten, ab 1838 zudem einen Stab von sechs festangestellten Korrespondenten in Europa und weitere in wichtigen Städten der Vereinigten Staaten. Dazu gehörte auch der erste Reporter in Washington D.C., der regelmäßig aus dem US-Kongress berichtete. Bennetts „Herald” kann somit als die erste moderne Zeitung nach heutigem Verständnis gelten. Horace Greeleys „New York Tribune” Daguerrotypie aus dem Studio von Matthew Brady: die Redaktion der „New York Tribune”, ca. 1850; in der Mitte Horace Greeley Von 1841 bis in die 70-er Jahre des 19. Jahrhunderts zählte die von Horace Greeley herausgegebene „New York Tribune” zu den führenden und einflussreichsten Zeitungen in den Vereinigten Staaten. Greeley wollte dem Publikum in einer Zeit, in der Blätter wie die „New York Sun” und der „New York Herald” durch ihre Sensationsheischerei prosperierten, eine geradlinige und vertrauenswürdige Nachrichtenquelle zur Verfügung zu stellen. Das Blatt hatte rasch Erfolg und gewann zehntausende von Abonnenten im gesamten Land, auch weil sie als führendes Blatt der Whig-Partei in New York City galt. Der Historiker Allan Nevins meinte 1931: „Die Tribune setzte einen neuen Standard im amerikanischen Journalismus mit seiner Kombination geballter Nachrichten, guten Geschmacks, hoher Moralstandards und intellektuellem Anspruch. Polizeiberichte, Skandale, zweifelhafte medizinische Reklameanzeigen und oberflächliche Personennachrichten waren von ihren Seiten verbannt, die Leitartikel waren markig, aber gewöhnlich gemäßigt, die politischen Meldungen waren die genauesten der Stadt, Bücherberichte und Buchauszüge waren zahlreich und als eingefleischter Dozent räumte Greeley Vorträgen großzügig breiten Raum ein. Das Blatt wirkte anziehend auf solide und geistreiche Leute.“ – Ursprünglich ein Gründungsmitglied der Republikanischen Partei (1854), blieb Greeley an seiner Grundüberzeugung orientiert, dass alle Amerikaner politisch und wirtschaftlich frei sein sollten. Er sprach sich – ähnlich wie Thomas Jefferson – vehement gegen Monopole aus und unterstützte die neu entstandenen Gewerkschaften (labor unions). Vom utopischen Sozialisten Albert Brisbane (der das Journal The Phalanx herausgab) beeinflusst, war er in wesentlichen Belangen ein Anhänger des Fourierismus. Brisbane schrieb für die „Tribune” eine wöchentliche Kolumne. Kompromisslos war seine Ablehnung der Sklaverei, was zum Bruch mit Abraham Lincoln führte, den er publizistisch wiederholt wegen dessen in seinen Augen zu zögerlichen Vorgehens in der Sklavenfrage anging. Aufgrund der zunehmenden Zahl eingewanderter, ursprünglich europäischer Leser in den Staaten nach dem Revolutionsjahr 1848 suchte Greeley journalistische Kontakte jenseits des Atlantiks – so wurde zum Beispiel Lincolns Duz-Freund Karl Marx als Londoner Korrespondent für die „New York Tribune” verpflichtet; auch Friedrich Engels schrieb für die US-Zeitung. „Illustrated London News”; erste Wirtschaftszeitungen „The Illustrated London News”: Die Titelseite der Erstausgabe vom 14. Mai 1842 zeigt u.a. ein Bild der Feuersbrunst in Hamburg Nachdem im November 1841 in London der „Jewish Chronicle”, die älteste noch erscheinende jüdische Zeitung der Welt, gegründet worden war, erschienen in der britischen Hauptstadt am 14. Mai 1842 die „Illustrated London News”, die erste durchgehend illustrierte Wochenzeitung im Vereinigten Königreich (32 Holzschnitte auf 16 Seiten). Das Blatt erschien bis 1971, danach monatlich. Ab 1989 wurde es zunächst zweimonatlich, dann vierteljährlich publiziert, um schließlich endgültig eingestellt zu werden. Gründer waren Herbert Ingram und sein Freund Mark Lemon, Mitherausgeber des „Punch”. Am 2. September 1843 wurde die Wirtschaftszeitung „Economist“ ins Leben gerufen, der sich zum Ziel gesetzt hatte, den freien Handel zu propagieren und zu fördern (vgl. Industrielle Revolution; Kapitalismus). Obgleich das heute jeden Freitag erscheinende Blatt sich selbst als Zeitung bezeichnet, wird es vielfach als Zeitschrift wahrgenommen. (Die „Financial News”, Vorläufer der seit 1888 erscheinenden „Financial Times”, eines der einflussreichsten Wirtschaftsblätter weltweit, folgten erst 1884.) Ebenfalls 1843 erschien mit der von John Browne Bell herausgegebenen „News of the World” auch in England erstmals eine billige Kaufzeitung für drei Schilling. Der Zeitungshandel (in jenen Jahren entstanden auch die ersten Bahnhofsbuchhandlungen und Zeitungskioske; siehe dazu auch: Geschichte der Eisenbahn) weigerte sich zunächst, eine Zeitung zu einem so niedrigen Preis zu vertreiben. – Das als Sonntagszeitung erscheinende Blatt kann als Wochenzeitungspendant zu der weltweit größten englischsprachigen Tageszeitung „The Sun” betrachtet werden (beide Publikationen gehören heute dem Medientycoon Rupert Murdoch). Ab 21. Januar 1846 gab Charles Dickens die „Daily News” heraus. Abschaffung des Stamp Act ermöglicht Massenpresse im Vereinigten Königreich Das unangefochtene Zentrum der britischen Presse bis in die 80-er Jahre des 20. Jahrhunderts: die Fleet Street in London, Blick nach Osten auf St. Paul's Cathedral (Fotografie des viktorianischen Lichtbildners James Valentine, ca. 1890) Erst die Widerrufung des Stamp Act am 1. Juli 1855 allerdings ermöglichte das Aufkommen einer preisgünstigen Massenpresse auf den britischen Inseln. Vorausgegangen war erheblicher lobbyistischer Druck vor allem durch das von Henry Hetherington geführte Newspaper stamp act Abolition Committee. Der British Stamp Act war die Besteuerung von Papierprodukten durch im Voraus zu zahlende Stempelmarken; er verteuerte Zeitungen erheblich. Erhoben wurde die Steuer in England nach dem Modell der Niederlande (wo sie 1624 im Zuge einer „öffentlichen Ausschreibung” erfunden und eingeführt worden war) seit dem Jahr 1694 – eigentlich als eine Art zeitlich befristeter Kriegssteuer auf Papier- und Pergamentprodukte, nämlich An act for granting to Their Majesties several duties on Vellum, Parchment and Paper for 10 years, towards carrying on the war against France (vgl. Pfälzischer Erbfolgekrieg; in der englischen Geschichtsschreibung gewöhnlich der Nine Years' War genannt, in älteren historiografischen Texten auch: War of the Palatine Succession oder War of the English Succession. – Die Londoner City war spätestens mit der Gründung der Bank of England am 27. Juli 1694 auch zum bedeutendsten Bankenstandort der Welt aufgestiegen.) – Es entstanden in der Folge der Aufhebung des Stamp Act auch typografisch modern gestaltete Blätter, die durch ihre Augenfälligkeit Aufmerksamkeit im zunehmenden Zeitungswettbewerb zu erregen versuchten. Erstes Presseverzeichnis 1846 wurde „Mitchell's Newspaper Press Directory” (später: Benn's Media Directory[27]) gegründet, eines der ersten umfassenden Medienverzeichnisse der Welt. – Für Deutschland wurde unter derlei Verzeichnissen neben dem offiziellen Zeitungskatalog (Preisliste) des deutschen Generalpostamtes u.a. der Deutsche Zeitungs-Katalog (Leipzig 1841-1853), fortgesetzt u.d.T. Hübner's Deutscher Zeitungs-Katalog (Leipzig 1862 ff.), bedeutend. Adressbücher, Annoncenkataloge, Hand- und Jahrbücher, aktuelle Bestandsverzeichnisse und Spezialbibliographien dieser Art gewannen in den folgenden Jahrzehnten rasch an Bedeutung – für die Medienmacher selbst wie auch für die Rezipienten. In unseren Tagen wäre zum Beispiel das Angebot des Internets ohne einschlägige Datenbanken, Webkataloge und Suchmaschinen nur sehr eingeschränkt oder überhaupt nicht nutzbar. Postreform im Vereinigten Königreich Rowland Hill reformierte ab 1837 das englische Postwesen. Er entwickelte u.a. die Idee für die so genannte Portoquittung, die heutige Briefmarke. Zeitzeugnis: Meyers Konversationslexikon über die englische Presse In der vierten Auflage von Meyers Konversationslexikon aus dem Verlag des Bibliographischen Instituts (Leipzig und Wien, 1885-1892; 16. Band: Uralsk - Zz) hieß es zur Presselandschaft des Vereinigten Königreichs im 19. Jahrhundert: „Der Charakter der englischen Presse ist Gediegenheit, innerlich und äußerlich. Großbritannien zählt unter seinen ca. 4000 periodischen Schriften ca. 1800 Journale vorwiegend politischen und ca. 700 überwiegend nichtpolitischen Inhalts; letztere erscheinen fast ausschließlich in Form von Wochenblättern, Revuen oder 'Magazines'. Tagesblätter gibt es 145, von denen die Hälfte in London erscheint, wo überhaupt gegen 1470 periodische Schriften herauskommen. [..] Von den bedeutendern, jetzt noch bestehenden Blättern stammen nur wenige aus dem letzten Jahrhundert. Die 'Times', immer noch das einflußreichste Blatt, wurde 1788 gegründet, während der konservative 'Standard' das gediegenste der Pennyblätter, der vielgelesene 'Telegraph', die 'Daily News', das Hauptblatt der Manchesterleute, erst Schöpfungen der Neuzeit sind. Zahlreich sind auch die politischen Abendblätter, wie 'Pall Mall Gazette', 'Globe', 'Echo' und 'Star', letzteres ein radikal-irisches Blatt. Unter den Wochenblättern allgemeinern Inhalts nehmen die 'Saturday Review' [Anm.: Das Blatt verursachte Ende der 1890-er Jahre mit der Schlagzeile „Germania delenda est” (Deutschland muss zerstört werden; s. Ceterum censeo; German-Bashing) einen erheblichen Aufruhr im Deutschen Reich[28]], 'Observer' und einige Arbeiterzeitungen, wie 'Lloyd's News', einen hervorragenden Rang ein. 'Punch' behauptet noch immer den Vorrang unter den Witzblättern, während die illustrierte 'Graphic' der ältern 'Illustrated London News' den Rang streitig macht und das 'Athenaeum' an der Spitze der rein litterarischen Zeitschriften steht. Zahlreich und teilweise glänzend ausgestattet sind die monatlichen 'Magazines', welche der Mehrzahl nach der bloßen Unterhaltung dienen, teilweise aber im Dienste der Wissenschaft, der Kirche, der Kunst und andrer Interessen stehen. Ehrwürdig durch ihr Alter sind hier die 'Edinburgh', die 'Westminster' und die 'Quarterly' Reviews, mehr gelesen aber die 'Fortnightly' und das 'Nineteenth Century'. Vgl. Duboc, Geschichte der englischen Presse (Hannov. 1873).”[29] Eine Jahrhundert-Meldung: Heinrich Schliemann schreibt in einem Bericht aus Troja vom 17. Juli 1873 in der „Augsburger Allgemeinen”, er habe den Schatz des Priamos gefunden Die „Allgemeine Zeitung“, am 1. Januar 1798 von Johann Friedrich Cotta in Tübingen zunächst unter dem Titel „Neueste Weltkunde“ gegründet (erster Chefredakteur sollte nach Cottas Wunsch Friedrich Schiller werden, der jedoch absagte), war bis zur Märzrevolution 1848 die renommierteste deutsche Tageszeitung und das erste deutsche Blatt von Weltgeltung. Ihre bekanntesten Mitarbeiter waren u.a. Heinrich Heine (ab 1832 Korrespondent der Zeitung in Paris; vgl. Junges Deutschland, Julirevolution), Ludwig Börne und Friedrich Engels (bezeichnete das Blatt als „die deutsche Times“). Am 5. August 1873 landete die damals schon als „Augsburger Allgemeine” firmierende Zeitung einen Jahrhundert-Scoop, wie man heute sagen würde: Heinrich Schliemann, der exklusiv für das Blatt und die Londoner „Times” schrieb, meldete, habe den Schatz des Priamos gefunden: „Es scheint, daß die göttliche Vorsehung mich für die übermenschlichen Anstrengungen während meiner dreijährigen Ausgrabungen in Ilion auf eine glänzende Art und Weise hat entschädigen wollen …” Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren die globalen Wirtschaftsschwerpunkte und die kolonialen Ecksteine des britischen Weltreiches bereits bemerkenswert eng vernetzt, große Teile der Welt blieben jedoch nachrichten- und verkehrstechnisch noch lange außen vor 1835 wurde die weltweit erste Nachrichtenagentur gegründet, die Agence Havas in Paris; am 20. August 1944, dem Tag der Befreiung von Paris, wurde sie zunächst in Agence française de Presse, einen Monat später in Agence France-Presse umbenannt. Die heute weltweit führende Associated Press (AP) wurde im Mai des europäischen Revolutionsjahrs 1848 in New York City als „Harbour News Association“ ins Leben gerufen[30]. Ganz wesentlichen Anteil an der Verbesserung der Zuverlässigkeit, der Qualität und vor allem der Aktualität der Nachrichten hatte – neben der Anstellung hauptberuflicher Korrespondenten, die zunächst meist in den wichtigen Häfen stationiert wurden, die stets auch Umschlagplätze für Neuigkeiten aus aller Welt waren – die Erfindung des Telegrafen durch Samuel F. B. Morse im Jahr 1837. Plötzlich war es möglich, äußerst zeitnah über Geschehnisse zu berichten, die hunderte und tausende Kilometer entfernt stattgefunden hatten (vgl. auch: Paul Julius Reuter). „Es gibt keinen Zweifel darüber, dass das Telegramm ein revolutionäres Stück Kommunikation war, das die Welt mitgestaltet hat und die Menschen näher zusammen gebracht hat”, erklärte David Hay, Chef von BT Heritage, zum 170-jährigen Jubiläum der Telegrafie im Jahr 2007. BT (vormals British Telecom) betrachtet sich als direkter Nachfolger der von William Cooke 1846 gegründeten Electric Telegraph Company als ältestes Telekommunikationsunternehmen der Welt.[31] – Siehe dazu auch: Charles Wheatstone. Der erste Zeitungsbericht in Europa, der auf einer telegrafischen Übermittlung beruhte, wurde am 6. August 1844 von der Londoner „Times” gedruckt. Gemeldet wurde die Geburt von Alfred, später „Alfie” genannt, Sohn der Königin Victoria I., die einer ganzen Epoche (s. Viktorianisches Zeitalter, 1837 bis 1901) den Namen gab. 1847: erstes Dampfschiff für den regulären transatlantischen Postverkehr Am 1. Juni 1847 wurde in den USA die Washington, das erste Dampfschiff für den regelmäßigen transatlantischen Postverkehr, in Dienst gestellt und stach nach Bremerhaven in See. Die in der Folge der Märzrevolution vom Verleger Bernhard Wolff (1811-1879) zusammen mit dem Journalisten Theodor Mügge am 1. April 1848 gegründete Berliner „National-Zeitung“ gilt als eines der frühesten Beispiele der parteibezogenen Meinungspresse (ohne deshalb eine genuine Parteizeitung zu sein) in Deutschland; sie entwickelte sich in den 1860er Jahren zum Hausblatt der Nationalliberalen Partei in Preußen. „Wir wollen den Fortschritt in jeder Beziehung”, proklamierte der Leitartikel der Erstausgabe. Vor den Märzereignissen gab es in Berlin nur vier Tageszeitungen: neben der „Vossischen Zeitung” und der „Spenerschen Zeitung” (1874 in der „National-Zeitung” aufgegangen), die beide aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stammten, die seit 1819 bestehende „Allgemeine Preußische Zeitung” als offizielles Regierungsblatt und als deren Gegenspielerin seit 1846 die „Zeitungs-Halle”.[32] In der ersten Ausgabe der in Lyon erschienenen Tageszeitung „Le Salut Public” (dt. Das öffentliche Heil, sieben Ausgaben pro Woche) vom Montag, 13. März 1848 heißt es in eigener Sache: „Die Presse, plötzlich befreit von ihren Fesseln, die ihre Handlungsfreiheit einschränkten und ihren Aufschwung aufhielten, erlangt heute eine unerwartete Autorität und einen unerwarteten Einfluss.” Die Presse nehme das Erbe der drei anderen Gewalten an, die dazu beigetragen hätten, sie zu zerstören. – Vgl. Februarrevolution 1848, Zweite Französische Republik Bernhard Wolff gründete 1849 auch Wolffs Telegraphisches Bureau (W.T.B.), zunächst unter dem Namen „Telegraphisches Correspondenz-Bureau (B. Wolff)“. Zunächst verbreitete das W.T.B. nur kommerzielle (Börsen-), bald aber auch politische Nachrichten. Seit dem Jahre 1868 veröffentlichte es zudem die amtlichen Nachrichten der preußischen Regierung, später auch die der Reichsregierung. Die Meldungen des W.T.B. war daher zu großen Teilen zumindest offiziös, amtliche Verlautbarungen gaben den offiziellen Standpunkt der preußischen bzw. deutschen Regierung natürlich ohnehin gänzlich unredigiert und unkommentiert wieder, was vielfach in Hofberichterstattung mündete. Die erste Telegraphen-Depesche der „National-Zeitung” (1849) In Wolffs „National-Zeitung” wurden telegraphische Depeschen zunächst auf der letzten Seite abgedruckt; die allererste lautete: „Politisch Wichtiges Nichts.” – Es war umständlich und noch längere Zeit sehr teuer, Nachrichten mit dem Telegrafen zu verschicken. So kostete ein Telegramm mit 20 Wörtern von Berlin nach Aachen 1849 gemäß dem preußischen „Regulativ über die Benutzung der elektro-magnetischen Staatstelegraphen seitens des Publikums“ 5 Thaler und 6 Silbergroschen. Der Historiker Heinrich Wuttke beschrieb die Auswirkungen auf Nachrichtengestaltung und -stil im Jahr 1875 so: „Weil das Telegrafiren noch so theuer berechnet wird, faßt man die Nachricht so kurz als möglich, überspringt also Zwischenworte, übergeht Nebensächliches.” Diese Zwänge erklären auch, weshalb seitdem in Nachrichten das Wichtigste immer vorne steht; der klassische Aufbau einer Meldung (Lead und Body) war daher nicht nur den unsicheren Leitungen etwa im US-Bürgerkrieg geschuldet, wie häufig kolportiert wird, sondern schlicht dem Preis der Übermittlung.[33] Vor dem Ersten Weltkrieg war das W.T.B. eine der größten Unternehmungen seiner Art. Mit der britischen Nachrichtenagentur Reuters und der französischen Havas bestanden seit 1870 Kooperationsverträge. – Am 1. Januar 1934 wurden das W.T.B. und die zum Hugenberg-Konzern gehörende Telegraphen-Union (T.U.) verstaatlicht; beide gingen im von den Nationalsozialisten gegründeten staatlichen Deutschen Nachrichtenbüro auf. Der Krimkrieg (1853-1856) gilt als erster europäischer Medienkrieg. Kriegsberichterstatter wie etwa der aus Dublin stammende William Howard Russell, der wegen seiner Reportagen von der Krim Berühmtheit erlangte, konnten ihre Berichte ohne Zeitverlust an Zeitungsredaktionen senden, etwa jenen über die verklärte Attacke der Leichten Brigade. Die Londoner „Times“ meldete bereits am selben Abend den militärisch sinnlosen Angriff. Die Berichterstattung Russells war teilweise so genau, dass der russische Zar meinte, er brauche keine Spione, er habe die „Times“. Eine Folge dieser neuen realistischen Schilderungen war, dass der britische Oberkommandierende, General William John Codrington, im Februar 1856 die Zensur einführte. – Erstmals wurde ein bedeutender Kriegsschauplatz auch fotografisch dokumentiert, obgleich auch schon hier Aufnahmen bewusst (nach-)gestellt wurden (wenn auch überwiegend auf Grund technischer Zwänge; vgl. dazu: Roger Fenton) – womit eine bis dato fortgesetzte unrühmliche Tradition einen weiteren Höhepunkt erreichte. [34] Dennoch verfehlten die Presseberichte ihre Wirkung in der Öffentlichkeit nicht (siehe dazu: Florence Nightingale). Die russische Tageszeitung Kolokol („Die Glocke“) erschien von 1857 bis 1867 (vgl. Alexander Iwanowitsch Herzen; begründete die freie russische Auslandspresse) „Mesalliance zwischen Presse und Militär“ Aber schon bei der Entscheidung für den Krieg selbst – der „Vorwegnahme von Verdun“, den „ersten Krieg der Moderne“, den „ersten industriellen Krieg“ – „hatte für die britische Regierung auch der Druck der öffentlichen Meinung eine Rolle gespielt. In Großbritannien sah man die Türkei als eine schwache, liberale (!) Nation an, die von einer starken autokratischen Nation [nämlich Russland] angegriffen worden sei. Diese Stimmung wurde durch die antirussisch eingestellte Presse angeheizt.”[35] Der Krimkrieg leitete „eine lange dauernde Mesalliance zwischen Presse und Militär” ein. „Neben waffentechnischen Neuerungen kam 1855 erstmals die Presse als Kriegsberichterstatter zum Einsatz und spielte eine zentrale Rolle in der Beeinflussung der öffentlichen Meinung, insbesondere in Großbritannien. – Das Nachrichtenmanagement in Kriegen, heute salopp als 'CNN-Effekt' umschrieben, nahm im Krimkrieg seinen Ausgang, als erstmals Telegraf und Fotografie zum Einsatz kamen, um ein möglichst realistisches Bild vom Kriegsschauplatz zu liefern. [..] Obwohl im Krimkrieg der politische Einfluss der geschriebenen Nachrichten noch größer war, zeichnete sich erstmals die Wirkmächtigkeit und Einflussgewalt visueller Berichterstattung ab und leitete eine ikonografische Wende in der Art ein, dass sich das Verhältnis zwischen Wort und Bild zu verkehren begann: Das Bild kam nicht mehr zum Text hinzu, um diesen zu illustrieren, sondern das Wort kam zum Bild, wodurch sich diese Beziehung in ihr Gegenteil verkehrte. Die im Krimkrieg aufgetretene erste Revolution in Reporting Affairs stellt so einen Meilenstein auf dem Weg zur Integration medialer Informationskriegführung in das moderne militärstrategische Denken dar.”[36] – Vgl. u.a.: Embedded Journalist; Revolution in Military Affairs. Mathew B. Brady dokumentierte mit seinem Kamerateam, zu dem u.a. A. Gardner, T. H. O’Sullivan und G. N. Barnard gehörten, den amerikanischen Bürgerkrieg 1861-1865 auf rund 7.000 Nassplatten-Negativen, von denen über tausend digitalisiert wurden und über die Website der Library of Congress abrufbar sind[37]. Davon wurden allerdings zeitgleich auch nur wenige einem größeren Publikum bekannt, da Bildvorlagen für den Druck zunächst aufwändig und weitestgehend manuell in Strichzeichnungen umgesetzt werden mussten (vgl. Holzstich; Kupferstich)[38]. Die moderne Bildberichterstattung und Pressefotografie entwickelte sich nämlich erst ab ca. 1880, als die ersten Fotos als Illustrationen in Zeitungen erschienen: Stephen H. Horgan veröffentlicht im „New Yorker Daily Graphic“ ein gerastertes Halbtonfoto. 1883 erschien das erste Foto in einer deutschen Publikation: Georg Meisenbach veröffentlichte in der Leipziger „Illustrirten Zeitung“ eine gerasterte Fotografie (siehe Autotypie). – Die Entwicklung einsatzbereiter Verfahren zur Bildtelegrafie[39] dauerte bis zum ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts (vgl. Arthur Korn[40]). Im November 1907 begannen regelmäßige Übertragungen zwischen Paris, Berlin und London. Am 17. März 1908 wurde das erste Fahndungsfoto in zwölf Minuten von Paris nach London übertragen und im „Daily Mirror“ abgedruckt. Durch dessen Veröffentlichung konnte ein flüchtiger Juwelenräuber gefasst werden. Der „Daily Mirror” hatte 1904 als erste Zeitung zur Wiedergabe von fotografischen Bildinformationen vollständig auf den Autotypiedruck umgestellt. – Allerdings konnte erst 1923 ein Bild (des Papstes Pius XI.) von Rom nach New York über den Atlantik geschickt werden. 1861 war die erste interkontinentale Telegraphenverbindung zwischen Nordamerika und Europa hergestellt worden (siehe auch: Seekabel). Aufschwung, aber keineswegs allerorten: Auf der Berliner Gewerbeausstellung 1879 wurde von Siemens (1847 als Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske gegründet; s. Zeigertelegraf) erstmals eine elektrisch angetriebene Lokomotive gezeigt, Voraussetzung auch für moderne Straßenbahn- und U-Bahnfahrzeuge, die das urbane Leben bis heute entscheidend beeinflussen und prägen. Schon kurz nach dem Sieg über Frankreich wurde die industrielle Produktion Großbritanniens eingeholt (s. Made in Germany). Zwischen 1871 und 1914 versechsfachte sich Deutschlands industrielle Produktion, die Ausfuhren vervierfachten sich (Anteil an der Weltindustrieproduktion 1914: rund 15 Prozent, UK: 14, USA: 32 Prozent). 1871 hatten lediglich acht Städte mehr als 100.000 Einwohner, 1910 waren es bereits 48 (Anteil der Großstadtbevölkerung an der Gesamtbevölkerung: 21,3 Prozent). Die Gesamtbevölkerung wuchs von knapp 41 Millionen (1870) über 50 Millionen (1890) auf 67 Millionen (1913) – und damit natürlich auch die potentielle Zeitungsleserschaft. Die Ära der großen Berliner Tageszeitungen begann 1872 nach der Konstituierung des Deutschen Reichs mit der Gründung des Berliner Tageblatts durch Rudolf Mosse (vgl. Gründerzeit, Wilhelminismus). Nach einer Buchhandelslehre ging Rudolf Mosse (* 1843) 1861 nach Berlin, wo er im Verlag der Satirezeitschrift „Kladderadatsch” mitarbeitete. In Leipzig übernahm er wenig später die Geschäftsleitung des Telegraphen der „Gartenlaube”, danach leitete Mosse mit großem Erfolg deren Anzeigenakquistion. 1867 gründete er die Annoncen-Expedition Rudolf Mosse, 1872 seine erste Zeitung, das „Berliner Tageblatt”. Die Anfänge des Blattes schilderte Fritz Mauthner in seinem Schlüsselroman Die Fanfare (1888). Es setzte konsequent auf die Gewinnsteigerung durch den Inseratenteil. Mosse ging schließlich dazu über, die Inseratenteile anderer Zeitungen und Zeitschriften als Ganze zu pachten, um sie ausschließlich mit von seinem Unternehmen vermittelten Inseraten bestücken zu können. Im Zeitungskrieg des ausgehenden 19. Jahrhunderts gründete der jüdische Verleger gemeinsam mit Emil Cohn (nicht zu verwechseln mit dem Physiker gleichen Namens) 1889 die „Berliner Morgen-Zeitung”, ein Konkurrenzblatt zu der von Leopold Ullstein herausgegebenen „Berliner Abendpost” – worauf Ullstein ab dem 20. September 1898 seinerseits wiederum mit der „Berliner Morgenpost” konterte. Das Blatt nutzte eine von Ullstein betriebene Annoncen-Expedition. 1904 übernahm Mosse die „Berliner Volkszeitung”. Der Mäzen, Kunstliebhaber und Sammler war zu Beginn des Ersten Weltkriegs Berlins größter Steuerzahler mit einem geschätzten Vermögen von fünfzig bis sechzig Millionen Reichsmark. Durch Heiraten war seine Familie schließlich mit dem Kunsthistoriker Erwin Panofsky und dem Biochemiker Konrad Bloch verbunden. Der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg widmet Mosse im März 1918 – zwei Jahre vor seinem Tod – den Betrag von 400.000 Mark zur Errichtung der Rudolf-Mosse-Stiftung. Titelseite des 1888 gegründeten Reutlinger General-Anzeigers vom 1. November 1904 Der seit 1888 in Frankfurt am Main ansässige Verleger August Huck (1849-1911), genannt der „General-Anzeiger-König”, avancierte vom Besitzer einer Schriftgießerei zum Herrscher über ein reichsweites Zeitungsimperium. Zeitungen vom Typus des „General-Anzeigers” entstanden überwiegend in der Zeit von 1870 bis 1900. Diese Blätter zielten mit hohen Auflagen auf ein Massenpublikum; Gewinnstreben und Meinungsmache wurden hier in der Regel unter dem Etikett der „Überparteilichkeit” nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Kulturkampfes zwischen der katholischen Kirche und dem Königreich Preußen bzw. dem kaiserlichen Deutschen Reich unter Reichskanzler Otto von Bismarck, der zu einer erheblichen Polarisierung der deutschen Gesellschaft führte, so verknüpft und justiert, dass möglichst wenige potentielle Anzeigenkunden und Abonnenten abgestoßen oder gar verprellt werden konnten. „Die politische Haltung des Blattes wird dabei vor allem unter dem Aspekt gesehen, ob sie dem geschäftlichen Erfolg dienlich oder abträglich ist. Der redaktionelle Teil der Zeitung gerät immer mehr zur Verpackung jenes Teils, der das eigentliche Geld bringt, nämlich der Anzeigenseiten. Der 'General-Anzeiger' ist aus Prinzip 'liberal', da jede starre Festlegung dem Geschäftszweck abträglich wäre. Gerade durch den Primat des Geschäftszwecks erfüllt er aber in der zuverlässigsten und flexibelsten Weise die Bedürfnisse der herrschenden gesellschaftlichen Kräfte. Er funktioniert als eine Art Regelkreis, der unter dem kategorischen Imperativ des kommerziellen Erfolgs die Ansprüche von Lesern, Anzeigenkunden und politischen Gewalten in optimaler Weise aufeinander abstimmt.” [41] Fortsetzungsromane und andere unterhaltende Rubriken wurden – begünstigt durch das Konzept des General-Anzeigers – genauso wie Sonntagsbeilagen vermehrt fester Bestandteil der inhaltlichen Gestaltung auch von Tageszeitungen, wobei man natürlich nicht zuletzt die Leserbindung im Auge hatte (vgl. dazu auch: „Die Gartenlaube”). Das Imperium Hucks, das sich ganz überwiegend auf Provinzzeitungen stützte, hatte 1917 eine Gesamtauflage von etwa 850.000 Exemplaren. Das erfolgreichste seiner Blätter waren die „Dresdner Neuesten Nachrichten” (DNN). Der 1892 zwar nicht von Huck gegründete, aber von ihm finanzierte „General-Anzeiger der kgl. Haupt- und Residenzstadt München” wurde zum meistgelesenen Blatt der bayerischen Hauptstadt. Später übernahm Huck auch zwei Drittel der Anteile an der trotz des Engagements von Rudolf Mosse weiter kränkelnden „Vossischen Zeitung” (Berlin). Als eigentlicher Schöpfer des Generalanzeigertyps in Deutschland gilt der Aachener Verleger Josef La Ruelle, der 1871 mit dem „Aachener Anzeiger” den ersten General-Anzeiger gründete. Das Blatt erschien vom 28. Mai 1871 bis zum 12. September 1944. „Die typischen Züchter politischer Indifferenz” In seinem 1919 gehaltenen Vortrag Politik als Beruf stellte Max Weber zum vermeintlich apolitischen Charakter dieser Pressegattung resümierend fest: „Die moderne Demagogie bedient sich zwar auch der Rede: in quantitativ ungeheuerlichem Umfang sogar, wenn man die Wahlreden bedenkt, die ein moderner Kandidat zu halten hat. Aber noch nachhaltiger doch: des gedruckten Worts. Der politische Publizist und vor allem der Journalist ist der wichtigste heutige Repräsentant der Gattung. [..] Bei uns waren allerdings bisher die großen kapitalistischen Zeitungskonzerne, welche sich vor allem der Blätter mit »kleinen Anzeigen«, der »Generalanzeiger«, bemächtigt hatten, in aller Regel die typischen Züchter politischer Indifferenz. Denn an selbständiger Politik war nichts zu verdienen, vor allem nicht das geschäftlich nützliche Wohlwollen der politisch herrschenden Gewalten. Das Inseratengeschäft ist auch der Weg, auf dem man während des Krieges den Versuch einer politischen Beeinflussung der Presse im großen Stil gemacht hat und jetzt, wie es scheint, fortsetzen will. Wenn auch zu erwarten ist, dass die große Presse sich dem entziehen wird, so ist die Lage für die kleinen Blätter doch weit schwieriger. Jedenfalls aber ist bei uns zur Zeit die journalistische Laufbahn, so viel Reiz sie im übrigen haben und welches Maß von Einfluss und Wirkungsmöglichkeit, vor allem: von politischer Verantwortung, sie einbringen mag, nicht – man muss vielleicht abwarten, ob: nicht mehr oder: noch nicht – ein normaler Weg des Aufstiegs politischer Führer. [..] Es waren – ohne Parteiunterschied – zum Teil gerade die notorisch übelsten Boulevard-Blätter, die damit einen erhöhten Absatz erstrebten und auch erreichten. Vermögen haben die betreffenden Herren, die Verleger wie auch die Sensationsjournalisten, gewonnen, – Ehre gewiss nicht.” [42] Von Seiten der Politik blieb es in Deutschland oftmals bei der vordergründigen Geringschätzung der Vierten Gewalt durch die Mächtigen, die nicht erkannten oder erkennen wollten, wie sehr sie bereits in ihrem Bann waren: „Die Presse ist für mich Druckerschwärze auf Papier”, lautete einmal die ebenso lapidare wie herablassende Auskunft Fürst Otto von Bismarcks. Zeitungsverkäufer auf einem Boulevard in Paris (1873) – Gemälde von Ilja Jefimowitsch Repin (1844 bis 1930) Durch das Reichspressegesetz 1874 war die Pressefreiheit in Deutschland zum ersten Mal einheitlich gesetzlich geregelt geworden. Sie hatte jedoch keinen Verfassungsrang, konnte also mit einfacher Mehrheit des Reichstags eingeschränkt oder wieder aufgehoben werden, was während des sogenannten Kulturkampfes und im Zuge der Umsetzung des Sozialistengesetzes 1878 (in Kraft bis 1890) auch geschah. Im Kriegsfall war die Pressezensur für Gegenstände von militärischer Bedeutung vorgesehen (Paragraph 15: „In Zeiten der Kriegsgefahr oder des Krieges können Veröffentlichungen über Truppenbewegungen oder Vertheidigungsmittel durch den Reichskanzler mittelst öffentlicher Bekanntmachung verboten werden.”). Blätter, die Anzeigen veröffentlichten, waren verpflichtet, amtliche Verlautbarungen auf Verlangen gegen übliches Entgelt zu veröffentlichen. Festgelegt wurde auch ein weitreichendes Gegendarstellungsrecht von Behörden wie von Privatpersonen (§ 11). Einschränkend hieß es auch in den Schlussbestimmungen: „Das Recht der Landesgesetzgebung, Vorschriften über das öffentliche Anschlagen, Anheften, Ausstellen, sowie die öffentliche, unentgeltliche Vertheilung von Bekanntmachungen, Plakaten und Aufrufen zu erlassen, wird durch dieses Gesetz nicht berührt.” (Gesetz über die Presse, Fassung vom 7. Mai 1874) – Zu Belangen wie dem Zeugnisverweigerungsrecht, dem Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbot oder dem Datenschutz, heute weithin als Grundpfeiler der journalistischen Arbeit erachtet, gab es in Deutschland noch lange keine ausreichend präzisierten Regelungen. Im Vergleich zu den Regelungen des preußischen Pressegesetzes vom 12. Mai 1851[43] entfielen jedoch auch wesentliche Beschränkungen. So musste vorher schon bei einer Zeitungsgründung eine Kaution hinterlegt werden – als Pfand für später zu zahlende Strafgelder (Kautionszwang). Gestrichen war auch die Konzessionspflicht: Bis zum Inkrafttreten des Reichspressegesetzes waren Herausgeber einer Zeitung verpflichtet, für die Betriebseröffnung eine Erlaubnis bei den Behörden einzuholen. Die in erster Linie auf die Tageszeitungen zugeschnittenen Regulationsmittel wie Zeitungsstempel (Sondersteuer) und Postzwang (Verbot des Einzelvertriebs) wurden 1874 zwar auch abgeschafft, hatten allerdings schon erhebliche Auswirkungen auf die Struktur des Pressemarktes in Deutschland gezeitigt (in Österreich blieben Zeitungsstempel bis zum Ende der k.u.k.-Monarchie Vorschrift). Postmarken für den vorausbezahlten Massenversand von Presseerzeugnissen wurden in den USA von 1865 bis 1899 verwendet Nach der Novelle des Strafgesetzes 1899 im Kaiserreich konnten sich Gegner von unliebsamen Werken und Veröffentlichungen auf diverse Artikel des StGB (etwa: Verbreitung unzüchtiger Schriften (§ 184 des Reichsstrafgesetzbuches), Gotteslästerung, Beleidigung, Majestätsbeleidigung) berufen und so die Verbreitung dieser Werke unterbinden. Die Strafgesetznovelle im Jahr 1899 schuf wirksame Mittel im Vorgehen gegen kritische Kunst und Literatur, da die Vorwürfe nicht selten lediglich als Vorwand dienten, um Schriften und Werke aus ganz anderem Anlass zu verbieten. Eine heute eher beiläufig anmutende Anmerkung Rosa Luxemburgs etwa in einer Rede während des Reichtagswahlkampfs 1903 („Der Mann, der von der guten und gesicherten Existenz der deutschen Arbeiter spricht, hat keine Ahnung von den Tatsachen.”) trug ihr ein Verfahren und eine Gefängnisstrafe wegen Majestätsbeleidigung gegenüber Kaiser Wilhelm II. ein. Ähnlich wurde bei Presseveröffentlichungen vergleichbarer „Brisanz” verfahren – klar wird an dem Beispiel auch, dass es mitnichten um die Majestät Wilhelms ging, sondern um die Beschreibung der sozialen Lage in seinem Reich (vgl. auch: Frank Wedekind). Konrad Duden: einheitliche deutsche Rechtschreibung Das 1880 von Konrad Duden herausgegebene „Orthographische Wörterbuch“ bildete erstmals die Grundlage für eine einheitliche deutsche Rechtschreibung. An seinem Werk Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache hatte Duden 30 Jahre geschrieben. Vorangegangen war der 1872 in Leipzig erschienene „Schleizer Duden“. – Die jüngsten Neuerungen der deutschen Rechtschreibreform von 1996 werden von manchen deutschen Zeitungen (z.B. der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung”) und einigen deutschen Autoren (Martin Walser, Günter Grass) ignoriert bzw. boykottiert. – Vgl. Orthographische Konferenz von 1901. Eine Zeitung lesende Geisha (Laterna-Magica-Bild, zwischen 1870 und 1890) Die erste genuin einheimische Tageszeitung Japans, die „Yokohama Mainichi Shimbun” (Yokohama Daily News), wurde ab 1871 gedruckt. In der Forschung ist unklar, auf welchen Zeitpunkt das Erscheinen der ersten Zeitung (jap. shinbun bzw. shimbun) in Japan zu datieren ist. Genannt werden das vom Engländer A. W. Hansard auf Englisch herausgegebene Blatt „Nagasaki Shipping List and Advertiser”, die überwiegend japanische Übersetzungen holländischer Artikel enthaltende, 1862 von der Shogun-Dynastie der Tokugawa publizierte „Kampan batabiya shimbun” oder die „Kaigai Shinbun”, die ebenfalls in erster Linie Übersetzungen ausländischer Artikel veröffentlichte. Flugblattähnliche kawara-ban (Ziegeldrucke), die ab 1615 nachgewiesen werden können, gelten als Vorläufer der japanischen Zeitungen. In der Meiji-Periode (1868-1912) wurden Zeitungen in oshinbun (große Zeitung) und koshinbun (kleine Zeitung) eingeteilt. Obwohl die Regierung die Gründung von Zeitungsverlagen ermutigte, beschränkte sie gleichzeitig die Pressefreiheit: Kritik an Regierung, Verwaltung, Gesetzgebung und anderem war untersagt und wurde mit Geld- oder Gefängnisstrafen geahndet. In diese Zeit fallen die Gründungen der drei größten nationalen Zeitungen des heutigen Japans: „Yomiuri Shinbun” (die auflagenstärkste Zeitung der Welt; 26 Mio. Leser in Japan, also rund ein Fünftel der Bevölkerung) in Tokyo (1874), „Asahi Shinbun” (1879; heute die zweitgrößte Zeitung Japans und der Welt) und „Mainichi Shinbun” (1888) in Osaka. Alle großen japanischen Tageszeitungen kooperieren mit Fernsehsendern bzw. besitzen selber solche.[44] „Die Schrecken des Telefons”: Der Fernsprecher war noch gar nicht richtig erfunden – und wurde umgehend zum Gegenstand von Karikaturen (aus: „Daily Graphic”, New York, 15. März 1877) Die Erfindung des Telefons war eine weitere technische Neuerung, die sich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts immer tiefgreifender auf die journalistische und redaktionelle Arbeit, aber auch auf die persönliche und gesellschaftliche Kommunikation insgesamt auswirkte. Der erste per Telefon gemeldete Bericht in einer Zeitung erschien bereits am 13. Februar 1877 im „Boston Globe”. Heinrich von Stephan reformierte das Post- und Telegraphenwesen nicht nur in Deutschland grundlegend (u.a. Übernahme der Thurn- und Taxisschen Post durch den preußischen Staat, Verbindung aller wichtigen Städte des Deutschen Reichs mit Telegrafenkabeln). Unter der Devise „Jedem Bürger sein Telefon“ baute er zwischen 1877 und 1881 das Telefonnetz in Deutschland auf. Mit der von ihm initiierten Schaffung des Weltpostvereins (mit Sitz in Bern) wurde der internationale Nachrichtenaustausch vereinheitlicht und somit erheblich erleichtert und verbessert. Wiener Postkongress 1891: Zeitungsverein regelt internationalen Bezug von Publikationen Allerdings wurde erst auf dem Wiener Postkongress am 1. Juli 1891 auch der internationale Zeitungs- und Zeitschriftenbezug geregelt. Am 1. Juli 1892 trat das Postzeitungsabkommen zwischen Deutschland, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich-Ungarn, Rumänien, Schweden, der Schweiz, Ägypten und Uruguay in Kraft. Die Postanstalten der genannten Länder nahmen danach Bestellungen von Publikationen aus den Vertragsländern an; Deutschland vermittelte für die anderen Zeitungsvereinsländer den Zeitungsverkehr mit Nichtvereinsländern, insbesondere mit Frankreich, Großbritannien, Russland, Spanien, die USA, Australien, Brasilien, Britisch-Indien, China, der Kap-Kolonie (das spätere Südafrika), Japan und Marokko. Der Zeitungsbezugsdienst vollzog sich durch Vermittlung von „Auswechslungspostanstalten” (also Ersatzpostämtern), die von jeder Verwaltung zu benennen waren. Es war vorher keineswegs so einfach wie heute, an ausländische Zeitungen und Zeitschriften zu gelangen, insbesondere im Abonnement. Im Jahr 1900 waren in den USA bereits rund 1,6 Millionen Kilometer Telefonleitungen verlegt. Der 25. Präsident der USA (von 1897 bis 1901), William McKinley, in dessen Regierungszeit die USA außenpolitisch einen imperialistischen Kurs einschlugen und zur Weltmacht aufstiegen, war dafür bekannt, per Telefon Dauergespräche zu führen. Die Firma Zwietusch & Co. produzierte 1902 in Berlin den ersten Münzfernsprecher in Deutschland; durch seine Einführung konnten endlich auch jene die Technik nutzen, die sich – entgegen der Zielsetzung des Generalpostdirektors Heinrich von Stephan – selbst kein Telefon leisten konnten. Bemerkenswerterweise stellte der „Berliner Börsen-Courier” (vgl. Börse) – eine 1868 gegründete Tageszeitung, die 1934 mit der „Berliner Börsen-Zeitung“ vereinigt wurde – 1885 den ersten Sportredakteur in Deutschland ein. Die erste deutsche Tageszeitung, die eine regelmäßige Sportrubrik einführte, war im Jahr 1886 die „Neuesten Nachrichten” (München, 9. April 1848 bis Juni 1887; dann unter dem Titel „Münchner Neueste Nachrichten” vom 14. Juni 1887 bis 28. April 1945 erschienen. Die „Süddeutsche Zeitung” setzte ihre Tradition nach dem Zweiten Weltkrieg fort). Das erste deutsche internationale Zeitungsmuseum wurde 1885 in Aachen von Oscar von Forckenbeck (* 1822, † 1898) als Privatsammlung ins Leben gerufen. Seit 1899 befindet es sich im Besitz der Stadt Aachen und heißt heute „Internationales Zeitungsmuseum der Stadt Aachen”. Von Forckenbeck, Bürgermeister von Rheine, Sammler und Privatgelehrter, gab auch „Das Zeitungs-Museum” heraus (Aachen, Jg. 1, 1889-1890), die erste deutsche Fachzeitschrift für das Zeitungswesen. Eine der zweifellos wichtigsten technischen Innovationen des 19. Jahrhunderts wird in ihrer Tragweite und in ihren Auswirkungen auf die Textproduktion im Allgemeinen und den Journalismus im Besonderen oftmals nicht annähernd angemessen gewürdigt, was sich vermutlich auch ihrer späteren Allgegenwart bis in die 90-er Jahre des 20. Jahrhunderts, in denen sie recht rasch von Computern verdrängt wurde, verdankt, obwohl Zeitgenossen sich dessen schon sehr wohl bewusst waren: Die Schreibmaschine zeitigte neben den einschlägigen Fortschritten bei Satz und Druck die sicher nachhaltigsten Folgen in den damit verbundenen Metiers.[45] Die US-Journalistenfachzeitschrift „The Fourth Estate” (dt. Die Vierte Gewalt) beschrieb sie 1897 „als förmlich notwendig” in den meisten Nachrichtenredaktionen und bemerkte: „Die rasche Einführung der Schreibmaschine in den Zeitungsredaktionen verdankt sich weitgehend dem Umstand, dass sie in Verbindung mit der Setzmaschine von vorteilhaftestem Wert ist. Die Schreibmaschine bedeutet eine praktisch perfekte Kopie, die leicht in kleinen 'Schnipseln' verteilt werden kann.”[46] „The Journalist” erklärte: „Es gibt keine moderne Erfindung mit Ausnahme vielleicht des Fahrrads, die so offensichtlich einen lang empfundenen Wunsch erfüllt und die ihren Platz in der Ökonomie des modernen Geschäftslebens eingenommen hat wie die Schreibmaschine.” Als die American Newspaper Publishers’ Association ihr Jahrestreffen in New York City im Februar 1897 einberief, stand unter anderem auch die Frage auf der Tagesordnung: Do typewriters “lower the literary grade of work done by reporters?”, also etwa: „Vermindern Schreibmaschinen die literarische Qualität der von Reportern geleisteten Arbeit?”[47] Junge Frau an einer Schreibmaschine (Detail einer handkolorierten französischen Postkarte, um 1900) Derlei damit angestoßene Debatten finden in unseren Tagen ungebrochen ihre Fortsetzung: „Der Computer beeinflusst den Stil, das ist gewiss. Nur wie weiß so genau niemand. Schon bei der Schreibmaschine gab es nur Vermutungen. Zum Beispiel, dass die Schreibmaschine für den 'kargen Stil des Ernest Hemingway' verantwortlich gewesen sei, da er 'einer der ersten Schriftsteller war, die in die Maschine tippten'. Das schreibt der Stilist Wolf Schneider, der übrigens den Computer eine 'elektronische Schlampe' nennt. 'Der Computer begünstige einen schlampigen Umgang mit der Sprache, das im Durchschnitt schlechtere, ärmere Deutsch'. – Sein Hamburger Journalistenkollege Dieter Zimmer stellt sich in seinem Buch 'Die Elektrifizierung der Sprache' ebenfalls die Frage: 'Verändert der Computer das Schreiben?' Er beobachtet einen 'Qualitätssturz.'[48] – Der Schriftsteller Hemingway selbst, der zeitlebens auch als renommierter Journalist tätig war (trotz der Ankündigung gegenüber Gertrude Stein im Jahr 1920: “I am going to chuck journalism I think. You ruined me as a journalist last winter.”), hatte einen ähnlichen Verdacht schon im Hinblick auf die Schreibmaschine und plädierte – entgegen dem, was ihm nachgesagt wird – für den handschriftlichen Erstentwurf: “When you start to write you get all the kick and the reader gets none. So you might as well use a typewriter because it is much easier and you enjoy it that much more. After you learn to write your whole object is to convey everything, every sensation, sight, feeling, place and emotion to the reader. To do this you have to work over what you write. If you write with a pencil you get three different sights at it to see if the reader is getting what you want him to. First when you read it over; then when it is typed you get another chance to improve it, and again in the proof. Writing it first in pencil gives you one-third more chance to improve it. That is. 333 which is a damned good average for a hitter. It also keeps it fluid longer so that you can better it easier.”[49] Distinguierte Herren in repräsentativen Räumlichkeiten: die Redaktion der französischen Tageszeitung „Le Progrès” (Lyon; dt. Der Fortschritt) um Mitternacht im Jahr 1894 – noch ohne Schreibmaschinen und Telefone … (Foto: M. Heron) Der erste Schriftsteller und Journalist im Besitz einer (Remington-)Schreibmaschine war Mark Twain (* Florida, Missouri 1835, † Redding, Connecticut 1910), der sie, verführt durch ein im Schaufenster eines Bostoner Geschäftes präsentiertes Modell, 1874 erwarb. Als erster Autor konnte er seinem Verlag ein maschinengeschriebenes Buchmanuskript abliefern, nämlich den Text zu The Adventures of Tom Sawyer, London: Chatto & Windus, 1876. William Randolph Hearst, US-amerikanischer Verleger und Medien-Tycoon (ca. 1905) Die Besetzung der Philippinen durch die Vereinigten Staaten von Amerika im Jahre 1898 wird als ein entscheidender Wendepunkt in der US-Außenpolitik gesehen. Die USA wurden erstmals in großem Stil Kolonialmacht und fassten als solche auch weit außerhalb ihrer Hemisphäre Fuß (vgl. Philippinisch-Amerikanischer Krieg, Geschichte der Philippinen: Amerikanische Kolonialzeit, Spanisch-Amerikanischer Krieg; zum außenpolitischen Paradigmenwechsel: Monroe-Doktrin). Vor allem die Zeitungsbarone William Randolph Hearst[50] (sein wichtigstes Blatt war neben seinem Flaggschiff „San Francisco Examiner” das „New York Journal”) und Joseph Pulitzer (u.a. Herausgeber der „New York World”) heizten die Stimmung gegen Spanien an, wobei der Schlachtruf der Hearst-Presse unter Anspielung auf das am 15. Februar 1898 im Hafen von Havanna durch eine Explosion, deren Ursache bis heute umstritten ist, gesunkene US-Kriegsschiff Maine lautete: „Denkt an die Maine – Zur Hölle mit Spanien!“ („Remember the Maine, to hell with Spain!“). Legendär ist noch heute Hearsts Anweisung an seinen 1897 nach Kuba entsandten Korrespondenten Frederick Remington, in Havanna zu bleiben und Bilder zu schicken: „You furnish the pictures. I’ll furnish the war.” (Sie liefern die Bilder. Ich liefere den Krieg.) – als prompte Antwort auf Remingtons Einwand, es gebe keinen Ärger und es werde keinen Krieg geben: „There is no trouble here, there will be no war.” „Tötet jeden über zehn“ – der berüchtigte Befehl des US-Generals Jacob H. Smith im Philippinisch-Amerikanischen Krieg war Gegenstand dieser Karikatur auf der Titelseite von Hearsts „New York Journal“ am 5. Mai 1902 Es war der Höhepunkt der Yellow Press: „Yellow Journalism ist, kurz gesagt, eine voreingenommene Meinung, die sich als objektive Tatsache maskiert. Darüber hinaus ging der Yellow Journalism mit Sensationsmache, verfälschten Storys und irreführenden Bildern zum einzigen Zweck der Zeitungsverkaufssteigerung und der Erregung der öffentlichen Meinung einher.“[51] (Das deutsche Regenbogenpresse denotiert und konnotiert teilweise andere Eigenarten und Schwerpunkte dieser Art von Presseerzeugnissen, so dass der Ausdruck nur bedingt als Übersetzung des englischen Yellow Press taugt.) 1905 wies Hearst seine Redakteure an, Schlagzeilen zu verfassen, die „die Öffentlichkeit wie eine Bulldogge beißen” (vgl. Bulldog edition). In Orson Welles' Film Citizen Kane, der oft als verhülltes Portrait von William Randolph Hearsts Leben und Karriere gesehen wird, sagt Charles Foster Kane zu seiner zweiten Frau Susan Alexander: „Die Bulldogge ist gerade zur Presse gegangen“, worauf Susan sarkastisch erwidert: „Schön – ein Hurra für die Bulldogge.“ Der Yellow Journalism kann als eine degenerierte Form des sich nach dem Amerikanischen Bürgerkriegs herausbildenden New Journalism gesehen werden, der nicht etwa grundsätzlich und in allen Facetten unlauter oder gar korrupt war und der die US-Presselandschaft in der Zeit von 1865 bis 1919 dominierte.[52] – (Anm. In den 60-er und 70-er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es unter dem gleichen Etikett New Journalism, diesmal von Tom Wolfe geprägt, unkonventionelle Publikationsformen in den Staaten, die davon unterschieden werden müssen.) Präsident William McKinley bezeichnete den Erwerb der Philippinen als ein „Gottesgeschenk“ und Senator Albert Beveridge sah sie als „Sprungbrett nach China“, dessen gigantische Märkte den Amerikanern nun offenstünden. Dropping the Pilot (dt. etwa: Absetzung des Steuermanns, meist ungenau übersetzt mit: Der Lotse geht von Bord) von Sir John Tenniel zur Entlassung Bismarcks 1890, erschienen im „Punch“, ist wohl auch heute noch eine der bekanntesten Karikaturen des 19. Jahrhunderts Das 19. Jahrhundert erlebte frühzeitig auch erste Höhepunkte der Karikatur (vgl. z.B. Honoré Daumier, Kladderadatsch, Punch); Cartoons und Comics wurden allmählich zum festen Bestandteil zunächst vorwiegend angelsächsischer Presseerzeugnisse. Auch das war ein bedeutender und keineswegs zu unterschätzender Teil des „Visualisierungsschubs”[53] der Epoche. Der erste täglich in einer Zeitung erscheinende Comic-Strip war A. Piker Clerk, den Clare Briggs 1904 für den „Chicago American” zeichnete. Der Strip wurde jedoch nach vierzehn Tagen wieder eingestellt. Mit der „Daily Graphic” wurde in London am 4. Januar 1890 die erste europäische illustrierte Tageszeitung gegründet. Ab dem 3. Januar 1953 nannte sie sich „Daily Sketch and Daily Graphic”. Sie wurde durch ihre aktuellen Zeichnungen, u.a. aus dem Parlament, bekannt. „Die Woche. Moderne illustrierte Zeitschrift”, erschienen von 1899 bis 1944 im von August Hugo Friedrich Scherl (* Düsseldorf 1849, † Berlin 1921) 1883 in Berlin gegründeten Scherl-Verlag, führte als erste deutsche Illustrierte den Mehrfarbdruck und die aktuelle Fotoreportage ein. – Die weltweit erste Farbillustration in einer Tageszeitung war 1877 im niederländischen „Algemeen Handelsblad” erschienen. Die erste farblich illustrierte Zeitung überhaupt, „Colored News”, erschien erstmals am 4. August 1855 im Vereinigten Königreich; sie war jedoch bereits am 29. September des gleichen Jahres wieder eingestellt worden. In Deutschland wurde die erste Rotationsmaschine, die gleichzeitig Text und Bilder drucken konnte, 1902 für den Druck der „Berliner Illustrirten Zeitung” (Berlin 1892-1945, seit 1894 im Verlag Ullstein) in Betrieb genommen. Der Offsetdruck, heute sowohl beim Druck von Büchern (Bogen-Offsetmaschine) als auch beim Zeitungsdruck (Rotations-Offsetmaschine) das am häufigsten angewandte Druckverfahren, wurde 1904 vom US-Amerikaner Ira Washington Rubel, dem Besitzer einer kleinen Papierfabrik in Nutley (N. J.), entwickelt. Die erste Offsetmaschine der Welt wurde 1905 nach Rubels Entwürfen von der Druckmaschinenfabrik Potter Printing Press Company in New Jersey gebaut. 1884 hatte Heinrich Rudolf Hertz James Clerk Maxwells elektromagnetische Theorie des Lichts experimentell bestätigt. Am 13. November 1886 gelang ihm die Übertragung elektromagnetischer Wellen von einem Sender zu einem Empfänger. – Seit 1890 widmete sich Guglielmo Marconi, ein weiterer bedeutender Pionier der drahtlosen Kommunikation, der drahtlosen Telegrafie. Am 12. Dezember 1901 gelang nach 62 Tagen erfolgloser Versuche die erste transatlantische Funkübertragung (zwischen Cornwall und Neufundland, Kanada). Das System wurde sogleich von der Kriegsmarine übernommen. Noch bevor ein Seekabel verlegt worden war, konnte Island am 26. Juni 1905 das erste Telegramm seiner Geschichte empfangen. Seit 1907 gibt es einen drahtlosen transatlantischen Telegrafendienst für die Öffentlichkeit (vgl. Funktechnik, Funkdienst). Der Funk ermöglichte im beginnenden 20. Jahrhundert auch die beschleunigte nachrichtentechnische Erschließung von Weltregionen und Gebieten, die ohne ihn gewiss noch lange abseits geblieben wären. Die ersten Nachrichten per Schiffsfunk empfing am 22. Februar 1902 der britische Dampfer Philadelphia über eine Entfernung von 3200 km – ein revolutionärer Fortschritt, wenn man bedenkt, dass Schiffe auf hoher See (die für die interkontinentale Passagierbeförderung und den Welthandel noch geraume Zeit alternativlos blieben) vordem von jeglicher Kommunikation schlichtweg abgeschnitten waren, und das oft über Wochen oder Monate. Weltweit waren 1902 rund 380.000 km Seekabel verlegt; auf sie als telekommunikative Infrastruktur stützt sich noch heute weitestgehend das Internet. Das erste Telegramm rund um die Erde wurde am 11. Juli 1903 von der 1861 bis 1942 in Paris erschienenen Zeitung „Le Temps” aufgegeben. Es durchlief eine Strecke von rund 60.000 km in gut sechs Stunden - zum großen Teil noch durch Seekabel. Die Geburtsstunde des Rundfunks als eines publizistischen Mediums Der kanadische Elektrotechniker Reginald Aubrey Fessenden (* East Bolton, Provinz Quebec 1866, † Bermuda-Inseln 1932) unternahm im Jahre 1900 die ersten Versuche zur drahtlosen Sprachübertragung. Am 28. September 1901 wurde ihm das erste Patent für die Übertragung der menschlichen Stimme durch Funkwellen erteilt. Fünf Jahre später gelang ihm die erste Funkübertragung von Sprache und Musik unter Verwendung eines Lichtbogensenders, der 1903 von dem dänischen Physiker Valdemar Poulsen (* 1869, † 1942) zur Erzeugung ungedämpfter elektrischer Schwingungen erfunden worden war, und einer Hochfrequenzmaschine (zwischen 1904 und 1906 von dem schwedischen Hochfrequenztechniker Ernst Frederik Werner Alexanderson (* 1878, † 1975) konstruiert). Am 24. Dezember 1906 sendete Fessenden von seiner Versuchsstation in Brant Rock (Massachusetts) aus über einen 130 m hohen Antennenmast das erste Rundfunkprogramm der Welt – als Weihnachtsüberraschung: Es begann mit Charles François Gounods Lied „O heilige Nacht”, das Fessenden auf der Violine spielte. Dann sang und rezitierte er einige Verse aus dem Lukasevangelium. Im Laufe der 20-er Jahre des 20. Jahrhunderts erwuchs den Zeitungen mit dem neuen Medium erstmals eine ernsthafte Konkurrenz. Aufgrund der rasanten Zunahme der Funkübertragungen fand bereits 1906 die erste Konferenz der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) statt, auf der Grundsätze und Verhaltensregeln im drahtlosen Kommunikationsverkehr festgelegt wurden. – Vgl. Rundfunkgeschichte; Nikola Tesla, Alexander Stepanowitsch Popow. Mehr zur Geschichte der Zeitungen unter Pressegeschichte und den einzelnen Artikeln. Erst die Rotationsdruckmaschine ermöglichte die rasche Herstellung hoher Auflagen; sie war eine der wesentlichen technischen Voraussetzungen für den exponentiellen Aufschwung im Zeitungswesen ab den 1840-er Jahren Die große Zeit der Zeitungen war vor der Einführung und Verbreitung des Radios, als Verlagsobjekte aus den Berliner Mosse-, Scherl- und Ullstein-Verlagen teilweise viermal am Tag erschienen: Morgenausgabe, Mittagsausgabe, Abendausgabe, Nachtausgabe. Die weltweit schnellsten Zeitungs-Rotationspressen standen damals an der Spree. Die reiche Zeitungskultur der Zwanziger Jahre wurde neben den neu hinzugekommenen Medien Radio und Fernsehen[54] auch durch Konzentrationsprozesse (Hugenberg-Konzern; Ufa) und so genannte Arisierungen (Amann-Verlag) während der Zeit des Nationalsozialismus ab- und aufgelöst. Die Einführung des Radios wurde seinerzeit von einigen Zeitgenossen ähnlich skeptisch aufgenommen wie später das Fernsehen (als es gerade mal zwei bzw. drei öffentlich-rechtliche Programme gab, machte in den 60-er Jahren vornehmlich in besorgten Pädagogenkreisen das Schlagwort von der vermeintlichen „Reizüberflutung“ die Runde) und Ende des 20. Jahrhunderts das Word-Wide-Web, in dem nicht wenige Uneingeweihte erstaunlich lange vornehmlich einen unseligen Verbreitungsweg von Kinderpornographie erkennen wollten. Die Zeitungsverlage z.B. in Deutschland und der Schweiz versuchten geraume Zeit durchaus erfolgreich, die Verbreitung von tagesaktuellen Informationen und Nachrichten, die sie als ihr angestammtes Terrain betrachteten, übers Radio zu verhindern.[55] Das Gegenstück zum deutschnationalen Hugenberg-Konzern war in der Weimarer Republik das Medienkonglomerat des Kommunisten Willi Münzenberg, der in seinem Neuen Deutschen Verlag u.a. die Zeitungen „Welt am Abend“, „Berlin am Morgen“ und vor allem die nicht nur in politischer Hinsicht revolutionäre „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ (AIZ) publizierte. Die AIZ und ihre Bildautoren (darunter u.a. der Erfinder der politischen Fotomontage, John Heartfield) setzten Maßstäbe in der Entwicklung des modernen Fotojournalismus und mittelbar darüber hinaus, mit nachhaltiger Wirkung bis in den Bereich der Werbefotografie – ähnlich der US-Zeitschrift TIME (ab 1923) und noch vor dem dann darin führenden LIFE Magazine ab Mitte der 1930-er Jahre in den USA (vgl. dazu auch: Berliner Illustrirte Zeitung; Illustrierte). Die „Vossische Zeitung“, das Blatt des liberalen Bildungsbürgertums und – indirekt über ihre Vorläufer – die älteste Zeitung Berlins, nahm in der ersten deutschen Demokratie in etwa jene Stellung ein, die die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ in der Bundesrepublik innehatte und teilweise noch innehat. Ein so renommierter Autor wie Kurt Tucholsky schrieb sowohl für die „Vossische Zeitung“ (1924 Korrespondent des Blattes in Paris) als auch für die „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ (dort in der Regel unter einem seiner Pseudonyme: Theobald Tiger). 1927 titelte die „Vossische“ in ihrem Feuilleton anlässlich einer Besprechung von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ noch höhnisch: „'Mein Kampf' gegen die deutsche Sprache“. – 1934 musste sie ihr Erscheinen auf Druck der Nazis einstellen. 11. November 1918: Die „New York Times“ meldet das Ende des Ersten Weltkriegs und den Zusammenbruch des Kaiserreichs. Illustrationslose „Bleiwüsten“ wie noch diese insbesondere auf der Titelseite (Frontpage) wären in unseren Tagen undenkbar (vgl. Layout, Satzspiegel, Umbruch, Typographie; Newsdesign). – Links oben der Slogan des Blattes: „All the news that fit to print“; etwa: „Alle Nachrichten, die zum Druck geeignet sind.“ Aber schon während des Ersten Weltkrieges und auch später in der Weimarer Republik war die Pressefreiheit nicht gesetzlich gewährleistet (siehe dazu: Weltbühne-Prozess, Republikschutzgesetz). Das unmittelbar der Obersten Heeresleitung unterstellte Kriegspresseamt, eine Unterabteilung des militärischen Nachrichtendienstes, gab ab 1915 bis zum Ende des Kaiserreichs regelmäßig ein Zensurbuch heraus; es beinhaltete stets neu überarbeitete Bestimmungen unterschiedlichster Art mit Blick auf Publikationen jedweder Provenienz. [56] Während des Dritten Reichs wurde das Pressewesen „gleichgeschaltet“ und von staatlichen Stellen, wie der Reichspressekammer, streng kontrolliert[57]. Die 20-er Jahre des 20. Jahrhunderts (siehe auch: Goldene Zwanziger) waren unzweifelhaft ein Höhepunkt in der Zeitungsgeschichte: Weil das Radio noch in den Kinderschuhen steckte und das Fernsehen noch lange nicht zur Marktreife entwickelt war, genossen Zeitungen als Massenmedien quasi eine Monopolstellung. Zudem erlebte das Jahrzehnt – nicht nur in Deutschland – zahlreiche bewusst und gezielt geführte weltanschauliche Propagandaschlachten, die sich erstmals mit teilweise beträchtlichem Aufwand überwiegend der Massenmedien Zeitung und zunehmend auch des Films bedienten. Nachdem jenseits des Atlantiks bereits vor dem Ersten Weltkrieg riesige Zeitungsimperien entstanden waren, die bereits erheblichen und unverhohlenen Einfluss auf die Politik ausübten (Hearst, Pulitzer), war nun auch in Deutschland und im übrigen Europa vor dem Hintergrund zunehmender Konzentrationsbestrebungen endgültig das Zeitalter der Medienzaren bzw. Pressemagnaten und Medienkonzerne angebrochen, eine Entwicklung, die sich nach 1945 in Westdeutschland fortsetzte (s. z.B. Axel Springer, Rudolf Augstein; Medienkonzentration). Durch seine präzisen und sprachlich auf höchstem Niveau aufbereiteten Milieuschilderungen und Reiseberichte gilt Egon Erwin Kisch, der „rasende Reporter“ (so der Titel eines seiner wohl bekanntesten Werke, 1924 erschienen in Berlin), als der Begründer der literarischen Reportage. Samuel Sillen nannte in einmal „den am meisten nachgeahmten Schriftsteller der Welt“, so umfassend, ja: durchschlagend war seine Wirkung nicht nur auf den Journalismus im engeren Sinne. Die Leica I von 1925, eine Kleinbild-Sucherkamera, die auch die Pressefotografie revolutionierte Der Pressefotograf Erich Salomon, eigentlich Doktor der Jurisprudenz, der erst 1926 im Alter von 40 Jahren überhaupt mit der Fotografie in Kontakt kam, erregte nicht durch seine Bildreportagen und die meist mit der neuartigen, für damalige Verhältnisse äußerst lichtstarken und gleichzeitig relativ kleinen Ermanox-Kamera teilweise heimlich (oder genauer: „investigativ“) entstandenen Aufnahmen Aufsehen, die er 1931 in seinem Bildband Berühmte Zeitgenossen in unbewachten Augenblicken veröffentlichte – der Meister der candid camera (ein von der Londoner Zeitschrift „Graphic“ 1929 geprägter Begriff für Salomons Arbeitsweise [58]) erfand auch die Berufsbezeichnung Bildjournalist als solche. An Wirkung und stilprägendem Einfluss kommen dem „König der Indiskreten“, wie ihn der französische Außenminister Aristide Briand einmal spontan nannte (und der dabei auf Salomons berühmtestem Foto abgebildet ist), höchstens Fotografen wie Henri Cartier-Bresson gleich, der 1947 Mitbegründer der Fotoagentur Magnum Photos war und dessen Auffassung des fotografischen Metiers der Salomons wohl am nächsten kommt. Die Technik der „versteckten“ oder „unbemerkten“ Kamera wurde später allerdings von den Paparazzi auch systematisch missbraucht und deshalb vielfach in Verruf gebracht. Die Einführung der Kleinbildkameras, allen voran der Leica (ab 1925), hatte weitreichende Auswirkungen auf den Fotojournalismus und änderte in mannigfacher Hinsicht auch die Sicht der Massen auf die Welt. – Das Berliner Boulevardblatt „Tempo” veröffentlichte von 1928-33 in täglich drei Ausgaben „Bilder vom Tage”. Zahlreiche Fotoagenturen wurden in den Zwanzigern gegründet; eine der erfolgreichsten war – vor allem durch ihre Geschwindigkeit, ihren großen Mitarbeiterstab und die Vielfalt ihrer Sujets – die Schweizer Pressebildagentur Keystone (seit 1892, in Deutschland seit 1924). Durch sie übermittelte Bilder der Berliner Maifeiern 1929 zum Beispiel, aufgenommen um 10.30 Uhr, erschienen sowohl in London als auch in New York noch am selben Abend in dort ansässigen Zeitungen. Die Fotografie-Theoretikerin Gisèle Freund bemerkte dazu: „Die Einführung des Photos in der Presse ist ein Phänomen von außerordentlicher Bedeutung. Das Bild verändert die Sehweise der Massen […] Mit der Photographie öffnet sich ein Fenster zur Welt. Die Gesichter von Personen des öffentlichen Lebens, die Ereignisse, die sich in seinem Land abspielen und auch diejenigen, die außerhalb der Grenzen stattfinden, werden ihm vertraut. […] Die Photographie leitet das Zeitalter der visuellen Massenmedien ein, als das Einzelportrait durch das kollektive Massenportrait verdrängt wird. Gleichzeitig wird die Photographie zu einem mächtigen Instrument der Propaganda und der Manipulation[59]. Die Bilderwelt wird entsprechend den Interessen jener gestaltet, die die Presse besitzen: die Industrie, das Finanzkapital, die Regierungen.” [60] – Insbesondere „brachten es die Nationalsozialisten auch auf dem Gebiet der politischen Instrumentalisierung der Bilder zu einer traurigen Perfektion.” (Ralf Hecht, a.a.O.; vgl. Leni Riefenstahl) Die weltanschaulichen Grabenkämpfe und ideologischen Schlachten der Weimarer Republik lassen sich in ihrer Härte und Kompromisslosigkeit an einer zentralen Figur der äußerst rechten Publizistik dieser Zeit veranschaulichen, die heute – sofern nicht vergessen – meist als Paradebeispiel für einen unverbesserlichen und uneinsichtigen Steigbügelhalter des Nationalsozialismus herangezogen wird und die sich mit ihrer oft schwülstig aufgeblähten Rhetorik und bisweilen erschreckend aggressiven völkisch-nationalen Demagogie zum unangefochtenen Vorreiter einer unversöhnlichen und rigoros antidemokratischen Gesinnungsjournaille entwickelte, der selbst die Nazis nach dem Ende der mit allen Mitteln verächtlich gemachten „Systemzeit” nicht viel hinzuzufügen hatten – obgleich sie natürlich vehement den Anspruch erhoben, die einzig wahre „nationale Bewegung” zu repräsentieren.[61] Der deutschnationale Publizist Friedrich Hussong, frühzeitig Anhänger Alfred Hugenbergs und dessen Alldeutschen Verbandes, der ab 1. Januar 1919 für den von Hugenberg aufgekauften Scherl-Verlag tätig wurde (und dessen Chefredakteur ab Oktober 1922 war), wo er zunächst als Leitartikler für den „Tag” und den „Berliner Lokal-Anzeiger” (zu jener Zeit Berlins auflagenstärkste Tageszeitung) schrieb, gilt weithin als der „rabiateste journalistische Demagoge“, den die „Zeitungsstadt Berlin je erlebt hat“, wie Peter de Mendelssohn einmal feststellte: „Er entwickelte eine publizistische Manier und Technik, die in allem Wesentlichen den später von Joseph Goebbels im „Angriff” zur Hochblüte emporgezüchteten Stil vorwegnahm.“ Die liberalen Hauptstadt-Blätter rechneten zu seinen bevorzugten Zielscheiben; insbesondere schürte Hussong den Hass auf Theodor Wolff (von 1906 bis 1933 Chefredakteur des „Berliner Tageblatts”) als führenden Repräsentanten der liberalen Hauptstadtpresse. Zahlreiche nachweisbare Leitartikel in den Provinzzeitungen des Scherl-Verlags (insgesamt hatte Hugenbergs Imperium 14 davon) belegen, dass er als einer der einflussreichsten Publizisten seiner Zeit gelten muss. Georg Honigmann bezeichnete Hussong 1976 deshalb als „Stimme seines Herrn“, Alfred Hugenberg. Zum demagogischen Repertoire Hussongs zählten wie bei anderen rechtsgerichteten Journalisten und Politikern Schlagworte wie „Novemberverrat”, „Schandvertrag” oder „Dolchstoß”. Bei Bekanntwerden der Friedensbedingungen sprach Hussong 1918 von „volksmordenden Bedingungen“, „Notzüchtigung der Nation“ und „unerträglicher, planmäßiger Erwürgung”. Demokratische Politiker schmähte er als „Speichellecker von Feindesstiefeln”. Im „Gewirre und Getriebe der parlamentarischen Schiebungen” witterte er allerorten „parlamentarische Wandelganggerüchte” oder „parteipolitische Geschäftemacher”, in „parlamentarische Klüngelbildung” verstrickt. Die Notverordnung von Reichskanzler Heinrich Brüning vom Sommer 1930, die die Weimarer Verfassung faktisch außer Kraft setzte, kommentierte Hussong ätzend unter der Überschrift „Sterbendes Schweinchen“: „Dieser Parlamentarismus ist nicht einmal mehr einer Katastrophe fähig. Zu einem Abgang und Untergang mit irgendwelchem Aplomb fehlt ihm alles. Er rutscht und sinkt leise greinend in sich zusammen, wie das Kinderspielzeug, das sterbende Schweinchen, wenn es komisch seufzend die eingepustete Luft ausströmt und lächerlich verröchelt.“ Kurt Tucholsky antwortete auf die antiintellektuelle und „volkhaft”-mythisch unterfütterte Dauerhetze Hussongs („Wichtiger als alle Vivisektion des Intellektualismus ist das Wachstum eines nationalen Mythos; eines Mythos, nicht aus den Nerven geschwitzt, sondern aus dem Blute blühend.”) in der „Weltbühne”: „Das ganze Kleinvolk, das sich heute die Kehlen gegen die Ratio, gegen die Liberalen, gegen die Demokratie heiser brüllt, wäre nicht, wenn die Aufklärer nicht gewesen wären. [..] Und wichtiger als alle Volkheit scheint mir zu sein, dass sich der Mensch nicht zum Vieh degradiere, auch nicht für sein Vaterland. Was eine sanfte Beleidigung des Viehs darstellen dürfte. Im übrigen sagt Hussong vom Mythos das richtige, ohne es sagen zu wollen: 'Er ist in der Bildung begriffen.' – Was ist das nur, was sich da heute als theoretische Begründer des deutschen Nationalismus aufspielt –? Carl von Ossietzky erlaube mir, dass ich ihn zitiere: Germanisches Café.”[62] Letztere Einlassung ist eine Anspielung auf das wahrscheinlich bekannteste Café Berlins in dieser Zeit, das Romanische Café, das ein (wie man es später vielleicht genannt hätte) beliebter Szenetreff war (vgl. auch: Bohème).[63] Weitere einflussreiche Publizisten der Weimarer Republik waren neben den schon genannten unter anderem: * Alfred Kerr, einer der einflussreichsten Berliner Kritiker in der Zeit vom Naturalismus bis 1933 * Siegfried Jacobsohn, als Theaterkritiker war Jacobsohn Antipode von Alfred Kerr, aus seiner Zeitschrift die „Die Schaubühne” (1905) wurde im April 1918 „Die Weltbühne” (Jacobsohn verstarb bereits 1926) * Ulrich Rauscher (vor 1914 zeitweise ein enger Mitarbeiter von Siegfried Jacobsohn und Korrespondent für die linksliberale „Frankfurter Zeitung” in Straßburg und Berlin; nach 1914 im Kriegspresseamt; im November und Dezember 1918 persönlicher Referent von Philipp Scheidemann, seit Anfang Januar 1919 Pressechef der Reichsregierung, zwischen Oktober 1919 und Juni 1920 Leiter der vereinigten Presseabteilung von Reichsregierung und Auswärtigem Amt, später Vertrauter von Gustav Stresemann; auch als Diplomat tätig) * Erich Kästner, schrieb als freier Mitarbeiter von 1927 bis 1933 für verschiedene Tageszeitungen wie z.B. das „Berliner Tageblatt” und die „Vossische Zeitung” sowie für „Die Weltbühne” * Theodor Lessing (veröffentlichte u.a. im „Prager Tagblatt” und im „General-Anzeiger für Dortmund”; bereits 1933 von den Nazis ermordet; u.a. bekannt geworden durch seine 1925 erschienene Studie über den Serienmörder Fritz Haarmann) * Stefan Großmann, gründete 1923 den linksdemokratischen „Montag Morgen“, kurz M.M. genannt „und damit die journalistisch weitaus beste der Berliner Montagszeitungen” (Peter de Mendelssohn) * Leopold Schwarzschild, schrieb für den M.M. und „entwickelte sich zu einem der gefürchtetsten Journalisten Berlins” (ebd.) * Erik Reger, nach dem Zweiten Weltkrieg erster Chefredakteur des „Tagesspiegel” * Joseph Roth (der Schriftsteller war einer der führenden und teilweise höchstbezahlten Feuilletonisten jener Jahre) * Alfred Polgar (der Wiener lebte in den 20-ern überwiegend in Berlin und schrieb für das „Berliner Tageblatt” und das „Prager Tagblatt”) * Friedrich Sieburg * Hans Zehrer, nach dem Zweiten Weltkrieg erster Chefredakteur der „Welt” und nach einem Intermezzo beim „Sonntagsblatt” erneut von 1953 bis 1966 * Moritz Goldstein, von November 1918 bis März 1933 - also während des gesamten Bestehens der Weimarer Republik - arbeitete er als Redakteur, Journalist, Feuilletonist und als Reporter bei der „Vossischen Zeitung”; bekannt wurde er vor allem durch seine Gerichtsreportagen, die er von 1928 bis 1933 unter dem Pseudonym „Inquit” veröffentlichte * Gabriele Tergit * Friedrich Torberg * Erich Maria Remarque, verfasste 1928 seinen Fortsetzungsroman „Im Westen nichts Neues“ für die „Vossische Zeitung” * Hermann Orth, u.a. Chefredakteur der „Germania - Zeitung für das Deutsche Volk”, einer politischen Zeitung, die der Deutschen Zentrumspartei nahestand sowie * Eugen Kogon und Walter Dirks (Dirks war von 1923 bis 1934 Redakteur der linkskatholischen „Rhein-Mainischen Volkszeitung” sowie Sekretär von Romano Guardini; beide letzteren Protagonisten waren später führend in der katholischen Publizistik auch der Bundesrepublik) Gegen Ende der Weimarer Republik und im Übergang zum so genannten Dritten Reich gab es in Deutschland so viele Zeitungen wie nie zuvor und auch später nicht mehr. 1932 wurden 4703 Tages- und Wochenzeitungen mit einer Gesamtauflage von 25 Millionen (einschließlich Nebenausgaben) gezählt; die Hälfte war grundrichtungsbestimmt (s. Tendenzbetrieb). – Viele Blätter mussten jedoch wirtschaftlich subventioniert werden. Laut Peter de Mendelssohn (a.a.O) wurden „Mitte der Zwanziger bereits rund 1000, also mehr als ein Drittel aller damals im Reich erscheinenden Zeitungen, von Berlin aus mit Matern versorgt”, also mit einem Mantel. Demnach gab es um 1928 „in ganz Deutschland nur etwa 35 bis 40 Zeitungen, die es sich zeitlich und finanziell leisten konnten, mehrere Nachrichten- und Korrespondenzdienste nebeneinander in Anspruch zu nehmen”. Die bei weitem erfolgreichste Nachrichtenagentur im Deutschland jener Jahre war Hugenbergs Telegraphen-Union; sie war „so mächtig geworden, daß sie sogar einen allgemeinen Weltnachrichtendienst betreiben konnte, den TU-Pressefunk mit eigenem Sender.” Die elf Korrespondenzdienste unter der Flagge des Literarischen Verlag Patria sollten Vielfalt und Neutralität vorschützen. „Wirklich neutral und politisch objektiv war aber keiner von Hugenbergs Diensten. Die Telegraphen-Union gab sich als Nachrichtenfabrik, war jedoch eher eine Meinungsfabrik. Waren im Jahre 1925 bereits ca. 1200 Zeitungen an den TU-Korrespondenz-Dienst angeschlossen, so waren es 1926 bereits ca. 1600 und Ende der 20-er ca. 2000, also gut zwei Drittel aller in Deutschland erscheinenden Blätter. Die Spannweite der Zeitungen ging von der 'Deutschen Zeitung' auf der Rechten [nicht zu verwechseln mit der „Deutschen Zeitung”, die vom 1. Juli 1847 bis Ende September 1850 erschien und die sich im Vorfeld der Märzrevolution als Leitorgan des aufgeklärten bürgerlichen Liberalismus verstand], bis hin zur 'Roten Fahne' auf der Linken. Nur sehr wenige der großen deutschen Tageszeitungen konnten es sich leisten, den TU-Dienst bis zuletzt zu meiden”, stellte de Mendelssohn fest. Als der „erste weltweite Mediensuperstar“, der „unwissentlich den Weg für das Zeitalter der massenmedialen Berühmtheiten bahnte“[64], gilt der „erste Held des 20. Jahrhunderts“, der – wie ihn Teile der Presse vor seinem sensationellen Non-Stopp-Flug über den Atlantik (1927) verspotteten – „fliegende Narr“ Charles Lindbergh (1902 bis 1974). Zeitungen in den USA und auf allen Kontinenten begleiteten das waghalsige Unternehmen des Postfliegers aus der amerikanischen Provinz mit einem ehedem ungesehenen Aufwand, Millionen von Menschen versammelten sich vor den Radios, um die jüngsten Neuigkeiten über den Verlauf des Fluges zu hören. Nicht nur seine bahnbrechende Tat, sondern auch die Entführung und Ermordung seines erstgeborenen Sohnes, die durch die umfassende zeitgleiche Berichterstattung beinahe „Event“-Charakter gewann (wie man vielleicht heutzutage formulieren würde; manche sprechen vom einem regelrechten „Medienzirkus“) und später sein unverhohlenes Symphatisieren mit dem „Dritten Reich“, verbunden mit einer vehementen Befürwortung einer isolationistischen Haltung der Vereinigten Staaten (vgl. dazu: America First Committee), sicherten ihm eine unerhörte Bekanntheit und globale Aufmerksamkeit.[65] Beinahe umgehend wurde er auch zur literarischen Figur, so etwa in Bertolt Brechts Hörspiel Der Ozeanflug (1929) oder in Agatha Christies Roman Mord im Orient-Express (1934). „Charles Lindbergh war die größte Berühmtheit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der erste, der dem vollen und unbarmherzig grellen Licht der modernen Massenmedien ausgesetzt war.“[66] Auf Bestreben Karl Büchers war bereits 1916 in Leipzig das Institut für Zeitungskunde eingerichtet worden, dessen erster ordentlicher Lehrstuhlinhaber 1917 Erich Everth war. Emil Dovifat, der zu den Begründern der Publizistikwissenschaft (heute: Kommunikationswissenschaft) in Deutschland gehört, arbeitete seit 1924 als Assistent des neu gegründeten Deutschen Instituts für Zeitungswissenschaft und wurde 1928 dessen Leiter. Schon zuvor, 1926, wurde er zum außerordentlichen Professor für Zeitungswissenschaft und Allgemeine Publizistik an die Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin berufen. Neuerung im Nachrichtenaustausch: Fernschreiber Quasi eine Kombination von Funkgerät und Schreibmaschine: das technische Innenleben eines Fernschreibers. Die gelbe Rolle ist ein Lochstreifen, neben der Lochkarte eine frühe Form der Datenspeicherung. Ab ca. 1930 kamen vermehrt Fernschreiber in Gebrauch (sowohl bei Nachrichtenagenturen und Redaktionen wie auch z.B. für die Geschäftskommunikation bei international tätigen Firmen), die entweder über das Telefonnetz bzw. spezielle Fernschreibnetze kommunizierten oder über Kurzwelle sendeten (siehe auch: Nachrichtenticker). Diese haben den entscheidenden Vorteil, dass Texte direkt und unkodiert über eine Schreibmaschinentastatur eingegeben werden können; gewöhnlich geschulte Bürofachkräfte konnten solche Geräte bedienen. Sie waren bis in die 1990-er Jahre weithin im Einsatz. Die onomatopoetische Wortprägung Ticker aufgrund des typischen Geräusches beim Ausdrucken von Meldungen hat sich bis heute weitgehend erhalten – selbst im Internet. Für die weitere Entwicklung in Deutschland siehe: * Presse im Nationalsozialismus * Presse in der Besatzungszeit 1945-1949 * Presse in der Bundesrepublik Deutschland * Die Presse in der DDR * Die Presse nach der Wiedervereinigung Für die Entwicklung in Österreich siehe: * Liste österreichischer Zeitungen * Medien in Österreich * Wiener Zeitungskrieg Zur Entwicklung in der Schweiz vgl.: * Liste Schweizer Zeitungen * Medien in der Schweiz Bald passé? Europäische Tageszeitungen, hier abgebildet im Formatvergleich zu einem DIN-A4-Blatt (siehe auch: Zeitungsformat, Zeitungsdruck) Konzentrationsprozesse und Zusammenschlüsse der Presse halten aus meist wirtschaftlichen Gründen bis heute an (siehe: Mantelzeitungen, Publizistische Einheit, Einzeitungskreis [67]). Paul Sethe, einer der fünf Gründungsherausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zwischen 1949 und 1955, formulierte vor diesem Hintergrund in einem Leserbrief an den „Spiegel“ am 5. Mai 1965 seinen bekannten Ausspruch: „Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“ Von 1964 bis 2004 sank die Zahl selbstständiger deutscher Zeitungsverlage um nahezu 40 Prozent; im Zuge dieser Entwicklung verschwanden annähernd 250 Zeitungen vom Markt (Quelle: A.T. Kearney 2006, a.a.O.). In Österreich konnte man 1946 zwischen 35 Tageszeitungen wählen, 1998 erschienen nur noch 17.[68] Angesichts der weiteren Zuspitzung der Medienkonzentration[69] und einer damit einhergehenden – für die Konsumenten und Rezipienten oftmals undurchschaubaren oder nicht als solche erkennbaren – „Scheinvielfalt”[70] (siehe dazu auch: Medientransparenz) der Mono-, Duo- und Oligopole (siehe z.B.: Bertelsmann, Verlagsgruppe Holtzbrinck, Hubert Burda Media, Silvio Berlusconi, Rupert Murdoch, Gazprom-Media, Time Warner) schon lange vor der Jahrtausendwende (insbesondere nach dem Aufkommen des Privatfernsehens), verbunden mit einer forcierten Digitalisierung und Konvergenz beinahe aller Medien[71][72], befürchten Beobachter zunehmende Gefahren für die Demokratie als solche: „Pluralismus und Meinungsvielfalt könnten nicht mehr nur als Aufgabe der lokalen Politik begriffen werden, schreibt auch Aidan White, Generalsekretär der European Federation of Journalists [73]: 'Es ist ein europäisches Thema und verlangt nach Antworten auf europäischer Ebene.' Ohne die nötigen Maßnahmen, so White, werde 'das europäische Demokratiemodell, das wir mittlerweile seit Generationen für ganz selbstverständlich genommen haben, ernsthaft kompromittiert'”. [74] – In diesem Zusammenhang stellt sich offenbar immer dringlicher auch die Frage nach der (Über-)Lebensfähigkeit des klassischen Mediums Zeitung selbst. Seit Ende des 20. Jahrhunderts ergänzen viele Zeitungsverlage ihre gedruckten Ausgaben durch die Neuen Medien. Vorreiter dieser Entwicklung in Deutschland war die „Schweriner Volkszeitung“, deren Webauftritt hansenet bereits am 5. Mai 1995 online ging. Sie war damit die erste deutsche Tageszeitung im Internet. – Es folgten u.a. „Die Welt“, der Berliner „Tagesspiegel“, die „Rhein-Zeitung“ (Koblenz) und die „taz – die tageszeitung“. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass weltweit 1995 nicht mehr als 200 Zeitungen mit einem eigenen Angebot im Netz waren, meist US-amerikanische Blätter. In Deutschland hatten erst etwa fünf bis sechs Prozent der Bürger Zugang zum Internet, die Nutzerzahlen waren daher zwangsläufig sehr gering.[75] Durch fallende Preise bei Hard- und Software sowie durch zunehmend verbilligte Telekommunikationsleistungen, verbunden mit dem beschleunigten Ausbau der Netzinfrastruktur (vgl. u.a.: Digital Subscriber Line), änderte sich dies bis zur bzw. ab der Jahrtausendwende rasch. Nicht nur zahlreiche Unternehmen, sondern auch viele hartgesottene IT- und Medienprofis standen dem anhebenden Siegeszug des Webs allerdings ungewöhnlich lange mehr als nur skeptisch gegenüber, um dann, dessen Unausweichlichkeit und Potential erkennend, im Zuge der Dotcom-Blase geradezu euphorisch und nicht selten unverantwortlich hasardierend auf den Zug aufzuspringen.[76] Das Ausmaß und die Tragweite des inzwischen erfolgten Wandels und Umbruchs fasste das US-Magazin „Time“ so zusammen: „Vor zehn Jahren war es eine Herausforderung für Websites, Leute dazu zu bewegen, ihre Zeit zum Vergnügen vor einem Computerbildschirm zu verbringen. 'Ihr Problem wird statistisch gelöst werden', versicherte ein IT-Professor einer Gruppe von Webpionieren, und ganz sicher wurde es das. Jetzt ist das Problem, Leute unter 50 oder so dazu zu bringen, eine Zeitung zur Hand zu nehmen.“[77] Die Neuen Medien werden von den etablierten Zeitungsverlagen mehr oder weniger geschickt zur Cross-Promotion genutzt. Die gedruckten Ausgaben der Zeitungen in den führenden Industrieländern verlieren unterdessen dennoch kontinuierlich an Auflage; die Leser wandern zunehmend zu deren Webportalen ab[78] [79]. Viele Redaktionen bewerten ihre Online-Ausgabe mittlerweile als zumindest gleichberechtigt mit ihrer Print-Ausgabe, bei einigen spielt sie seit geraumer Zeit bereits die Hauptrolle[80]. Die „New York Times“ – fraglos eine der bedeutendsten Zeitungen der Welt – erwägt sogar die Einstellung der Druckausgabe: „Ob die ‚New York Times‘ in fünf Jahren noch gedruckt wird, ist mir egal“, so Herausgeber Arthur Ochs Sulzberger jr. Anfang 2007[81]. Auch eine Analyse des Meinungsforschungsinstitutes Allensbach belegt, dass bei jungen Menschen die Bedeutung der Zeitung zugunsten des Internets stark abnimmt.[82] Eine weitere Studie zeigt das Überlaufen von Lesern von Zeitungen zu Onlinenachrichten.[83] US-Amerikaner nutzen als Nachrichtenquellen vorwiegend (48 Prozent) das Internet, wogegen die Zeitungen nur noch von 10 Prozent als primäre Nachrichtenquelle genutzt werden nach Fernsehen (29 Prozent) und Hörfunk. [84] „Ich bin überzeugt, dass es in zehn bis 15 Jahren keine Papierzeitung mehr geben wird“, meinte Prof. Klaus Schönbach vom Kommunikationswissenschaftlichen Seminar der Freien Universität Berlin bereits am 29. Oktober 2000 [85]. Seit der Jahrtausendwende entspann sich eine anhaltende Diskussion um die Zukunftsaussichten bzw. -fähigkeiten und die mögliche künftige Rolle des ehedem unangefochtenen Leitmediums (vgl. Online-Journalismus). Die Auseinandersetzungen werden durchaus nicht immer sachlich geführt: Angesichts der rapiden Änderungen in den Nutzungsgewohnheiten und der zunehmenden, im Einzelfall gewiss auch existenzgefährdenden[86] Konkurrenz etwa durch das „Mitmach-Internet“ (s. Web 2.0[87]) kommt es dabei gelegentlich auch zu einer „rhetorisch hochgeschraubten, argumentativ allerdings nicht gerade besonders herausragenden Polemik“[88] etablierter Printmedien „gegen die Niederungen des Internetpöbels“. [89] IVW: Rekordzuwächse bei Onlineangeboten von 2007 bis 2008 Von März 2007 bis März 2008 verzeichneten die von der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) erfassten (ganz überwiegend deutschen) Onlineangebote einen Zuwachs bei den Pageviews von 118 Prozent und damit einen neuen Rekord.[90] Besonders unter den jüngeren Konsumenten geht diese Entwicklung zusehends nicht nur zu Lasten der Printmedien im Allgemeinen, sondern betrifft immer mehr auch das (klassische) Fernsehen.[91] [92] „Wir werden es bald erleben, dass sich große deutsche Tageszeitungen für einen wöchentlichen Erscheinungsrhythmus entscheiden“, gab sich Wolfgang Blau, seit März 2008 Chefredakteur von Zeit Online, anlässlich einer Podiumsdiskussion der dpa-Tochter News aktuell am 8. April 2008 gewiss und wollte die Notwendigkeit einer Marktbereinigung erkannt haben: „In Deutschland gibt es zu viele Tageszeitungen. An dieser Wahrheit kommen wir nicht vorbei.“ – Gleichzeitig plädierte Blau für eine neue Offenheit im Journalismus. [93] „Online First“ (etwa: das Web hat Vorrang) wurde jenseits des Atlantiks bereits ab ca. 2005 zum Trend: Anfang 2008 hat z.B. die in Madison, Wisconsin, ansässige „Capital Times“ angekündigt, ihr tägliches Erscheinen einzustellen, um sich auf ihren Webauftritt zu konzentrieren. Das seit 90 Jahren existierende Blatt kommt nun mit zwei Ausgaben wöchentlich auf den Markt; in einer davon werden vorwiegend Editorials und Kommentare veröffentlicht, die andere hat als erweitertes Feuilleton die Schwerpunkte Kunst, Literatur und Musik.[94] Noch 2006 zeigte sich Markus Ruppe, Geschäftsführer der Zeitungs Marketing Gesellschaft, im Hinblick das traditionelle Kerngeschäft der Zeitungsverlage weitaus optimistischer: „Zeitungen müssen einen Internet- und Printauftritt anbieten, um auch weiterhin wettbewerbsfähig bleiben zu können.“ Der Webauftritt einer Tageszeitung allein werde nicht ausreichen oder gar die dominierende Oberhand gewinnen, so Ruppe. Er hob hervor, dass „der Vorteil im Internet zwar in der Gestaltung von Anzeigen für Kunden liegt, dennoch ist die Tendenz zur Darstellung von Unternehmen in herkömmlicher Weise – das heißt im Papierformat – wieder evident nachzuvollziehen. Das Internet wird viel stärker als Suchmedium für traditionelle Printmedien verwendet, was sich vor allem im Immobilien- und Stellen-Anzeigenmarkt ablesen lässt“.[95] Konzentrationstendenzen auch im Online-Bereich, zunehmende IT-Kompetenz Unübersehbare Konzentrationstendenzen haben indessen – trotz des (oftmals vordergründigen) Hypes um Online-Communitys[96][97], Social Networks[98] und Blogs[99] – auch die Internetpublizistik erfasst. Einer Studie von Prognos mediareports[100] zufolge wird aus dem bisherigen Innovationswettbewerb zunehmend ein Verdrängungswettbewerb. Auch im Web bauen demnach die großen Player ihre Stellungen immer mehr aus, während kleine und mittlere Online-Medien ins Hintertreffen geraten. „Bislang genügte eine gute Idee, um in den Internetmarkt einzutreten. Inzwischen dominieren aber auch hier bereits ein paar große Medienkonzerne den Markt und die kleineren Zeitungsverlage müssen sich mehr und mehr nach Nischen umsehen, um erfolgreich zu sein”[101], erläuterte dazu Josef Trappel, Herausgeber des mediareports, Ende 2006. Grundsätzlich werden Print- und Online-Medien künftig harmonisch nebeneinander existieren können, gab er sich zuversichtlich. Für die Zeitungen sei es nun aber wichtig, sich eine neue Position zu suchen und auf das Online-Medium zu reagieren, so Trappel. Bis 2010 werde ein Großteil der Internetnutzer zur Gruppe der erfahrenen User zählen. Für diese Gruppe sei das Internet schon heute als Informationsmedium unverzichtbar. Steigende Werbeeinnahmen der Zeitungen im deutschsprachigen Raum könnten ein Grundproblem im Printbereich auf Dauer nicht verdecken – nämlich die beständig abnehmenden Reichweiten und Auflagen der Kaufzeitungen.[102] ZDF-Intendant Markus Schächter hingegen fasste einen Kern der Problematik ebenso nonchalant wie unterschwellig drohend zusammen: „Wer nicht ins Netz geht, geht ins Museum.” Allerdings ist auch das avisierte bzw. unterstellte Eindringen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten[103] in ihre (vermeintlich oder tatsächlich) ureigensten Gefilde – nämlich den „Textjournalismus” – einem Gros der Zeitungsverleger ein Dorn in Auge, was die Situation speziell in Deutschland zusätzlich kompliziert (im Mutterland alles Öffentlich-Rechtlichen, nämlich im Vereinigten Königreich, sind Auseinandersetzungen jedenfalls dieser Vehemenz[104] und ggf. medienrechtlicher Tragweite bemerkenswerterweise nahezu unbekannt). ARD und ZDF wollen im Internet möglichst unbeschränkt Angebote machen können. Alle großen Verlage wehren sich dagegen; sie fürchten, dass die mit jährlich rund sieben Milliarden Euro Gebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen Sender den Wettbewerb im Internet verzerren oder gar zunichte machen würden. Die Chefs von ARD und ZDF wendeten dieses Argument im April 2008 gegen die Verlage: Sie unterstellen den Zeitungs- und Zeitschriftenverlegern „Marktabschottungsinteressen“. Der „Schutz von Erwerbschancen“ dürfe nicht die publizistische Vielfalt beschränken, so der ARD-Vorsitzende Fritz Raff und ZDF-Intendant Markus Schächter in einem gemeinsamen Brief vom 14. April 2008 an die Landesregierung Rheinland-Pfalz. Ihr Schreiben richtet sich gegen die erklärte Absicht einiger Länder, den Onlineaktivitäten von ARD und ZDF enge Grenzen zu setzen. In einem Arbeitsentwurf des neuen Rundfunkstaatsvertrags, der unter Federführung der Bundesländer Teil der Medienordnung in Deutschland ist, ist vorgesehen, dass die beiden öffentlich-rechtlichen Anstalten online lediglich „begleitend“ zum TV-Programm tätig werden dürfen; alle Inhalte müssen nach sieben Tagen wieder aus dem Netz genommen werden. Vor allem aber dürfen die Gebührensender dem Entwurf zufolge nicht als Textanbieter auftreten: „Elektronische Presse findet nicht statt“, heißt es dazu wörtlich. Angeblich soll damit sichergestellt werden, dass die Sender mit ihren Gebühreneinnahmen nicht den sich gerade erst entwickelnden publizistischen Wettbewerb behindern, hieß es in einem Bericht von stern.de. Seit jeher dürfen ARD und ZDF auch keine Zeitungen oder Zeitschriften herausgeben.[105] Ob und wo es Textjournalismus an und für sich überhaupt noch gibt bzw. mit Aussicht auf (auch: kommerziellen) Erfolg geben kann, bliebe allerdings zu klären (und sicher auch das, was unter elektronischer Presse zu verstehen sein soll): Selbst die ihrer eigenen Tradition in höchstem Maße verpflichtete „graue Lady“ „New York Times“ unterstrich anlässlich des Relaunches ihres Webauftritts im April 2006, dass nunmehr Video und Multimedia „fundamentale Bestandteile“ der NYT-Internetpräsenz seien. Die BBC hat seit geraumer Zeit nur noch eine Multimedia-Redaktion; Inhalte (für die sich immer mehr das Marketing-Buzzword „Content” durchgesetzt hat) werden ungeachtet der Verbreitungskanäle (Radio, Fernsehen, Web) integriert aufbereitet und redigiert (vgl. Medienübergreifendes Publizieren). „Man darf den Öffentlich-Rechtlichen nicht nur das lassen, was keiner will“, erklärte der SPD-Vorsitzende und rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck zu der Auseinandersetzung: „Dass sie auch viele Texte anbieten, tut dem Internet aber nur gut.“ Mit Blick auf die Intentionen der Verleger meinte er: „Ich glaube, dass die Verleger gut daran tun, sich einer Qualitäts-Diskussion zu stellen. Denn einige sind mehr am Ertrag als an der Zeitung oder der Zeitschrift interessiert.“[106] Hans-Joachim Otto (FDP), Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen Bundestags, monierte hingegen, es werde „immer deutlicher, dass die gebührenfinanzierten Rundfunkanstalten versuchen, sich zu Anbietern elektronischer Presseerzeugnisse im Internet zu entwickeln. Das ist so unzulässig wie unnötig - und das aus mehreren Gründen. [..] Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat Rundfunk anzubieten, und natürlich darf er dieses Angebot auch über das Internet verbreiten. Darüber hinaus ist es ihm laut Rundfunkstaatsvertrag gestattet, 'programmbegleitend Druckwerke und Telemedien mit programmbezogenem Inhalt' bereitzustellen. Alles, was weitergeht, ist weder verfassungs- noch europarechtlich zulässig.” Die in der Neufassung beabsichtigte Klarstellung, dass online nur „sendungsbezogene Beiträge” angeboten werden dürfen, sei „eine pure Selbstverständlichkeit. Die Vorwürfe aus dem ZDF, hier werde zensiert oder ein Morgenthau-Plan gestrickt, sind völlig deplatziert.”[107] Das „tragbare Lesesystem“ (Portable Reader System) PRS-505 von Sony (2007) Bill Hagerty, Herausgeber der „British Journalism Review“, sagte Ende 2006: „Ich besuchte die 'Washington Post' und die haben eine ganze Menge da – Radio, Fernsehen, Online und Print sitzen alle nebeneinander[108]. Es ist eine zweckmäßig integrierte Multimedia-Arbeitsweise. Das ist der Weg, den die Zeitungen gehen müssen. In Bezug auf die gedruckte Zeitung: Die befindet sich sicher im Niedergang, wenn man nicht irgendwas tut.“[109] media studie 2007: Journalisten halten Verlage nur bedingt für zukunftsfähig Bemerkenswert viele Journalisten jedenfalls in Deutschland glauben dennoch an die Zukunft der gedruckten Zeitung und räumen dem Web 2.0 nur beschränkten Einfluss auf die konkrete publizistische Praxis ein. Fast die Hälfte der im Rahmen der media studie 2007: „2.0 und dann? Journalismus im Wandel“ von news aktuell Befragten geht davon aus, dass Zeitungen in zehn Jahren noch immer überwiegend auf Papier produziert werden. Lediglich gut ein Fünftel ist dagegen vom Erfolg digitaler Lesefolien (also elektronischem Papier)[110], die sich automatisch aktualisieren, überzeugt. Allerdings glaubte schon ein Viertel an eine klare Online-Dominanz im zukünftigen Nachrichtengeschäft. Nach wie vor ist die Tageszeitung für 81 Prozent der Journalisten der Erhebung zufolge eine sehr wichtige Informationsquelle. Aber bereits jeder fünfte Medienmacher nimmt Tageszeitungen nur noch eingeschränkt oder überhaupt nicht mehr zur Kenntnis. Ihren Arbeitgebern stellen sie kein gutes Zeugnis aus: Sie halten sie „nur bedingt für zukunftsfähig. Das dynamische Wachstum von Internetunternehmen wie Google[111] [112] [113] [114] und yahoo! hat die Medienmacher anscheinend tief verunsichert“, schließen die Meinungsforscher daraus (media studie 2007, a.a.O). In der Tat dürfte der Münchner Verleger Hubert Burda („Bunte”, „Focus”), der auf die Vielzahl der Autoren im Internet setzt, noch die Ausnahme sein: „Tausende oftmals hervorragende Blogger bringen völlig neue Sichtweisen auf die Themen. Auch auf Wahlen nimmt diese neue Netzöffentlichkeit Einfluss.”[115] Ist das 19. Jahrhundert noch nicht vorbei? Benedikt Köhler, Betreiber des Weblogs viralmythen, verspottete vor diesem Hintergrund die seiner Meinung nach begrenzte Einsichtsfähigkeit insbesondere von Printpublizisten in und ihre nur zähe Adaption an die technologisch-ökonomischen Fakten als „das lange 19. Jahrhundert der Zeitungsmacher“.[116] Welche drei Begriffe verbinden Journalisten mit dem Web 2.0? – Aus: news aktuell media studie 2007 Im Hinblick auf die Journalisten-Zunft insgesamt dürfte das zu hart formuliert sein: Der Großteil der für den Medien-Trendmonitor (März 2008, a.a.O) Befragten sprach sich für Investitionen der Verlage in Internetangebote und Internetfirmen aus. Davon gab knapp die Hälfte an, dass, wer jetzt nicht mitzieht, zukünftig verloren hat. Eine Minderheit von 32,3 Prozent geht demnach davon aus, dass es auch lukrative Erlösmodelle im Internet geben wird, und 23,5 Prozent sind der Auffassung, dass die wachsenden Umsätze mit Online-Werbung die Investments in Internetangebote sichern. Insbesondere Befragte mit bis zu fünf Jahren Berufserfahrung im Journalismus sind der Meinung, dass es sich lohnt, in Internetangebote und Internetfirmen zu investieren. Investitionen in Internetangebote sind über alle (journalistischen) Berufsgruppen hinweg für die meisten Befragten ein Muss. Dennoch ergab der Trendmonitor auch eindeutig: „Die gedruckte Zeitung bleibt weiterhin das maßgebliche Leitmedium.“ Die künftige Rolle der Macher: Multiplikator und Moderator? Wikipedia-Gründer Jimmy Wales am 9. April 2006 in einem Teehaus in Taipeh mit der taiwanesischen Zeitung United Daily News, die über Wikipedia berichtete. „Profijournalisten werden künftig Verweise geben auf das, was wirklich wichtig ist und überprüfen, was man findet. An dieser Stelle wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Das betrifft nicht nur den Online-Journalismus, sondern auch die klassischen Medien. Aufgabe der Journalisten wird dann die Sichtung und Prüfung der Informationen. Der Journalismus wird sich so ändern, dass die Nutzerbeteiligung im Internet und in anderen Bereichen zunimmt. Das wird Rückwirkungen auf die Berufsrolle des Journalisten haben, die sich in Navigatoren und teilweise in Moderatoren verwandeln, die das Gespräch mit den Nutzern moderieren.“[117] David Carr zog 2005 den Erfolg von iTunes heran, um die Möglichkeit von Bezahlmodellen für Inhalte auch im Journalismus der Zukunft zu belegen. „Eine Papierzeitung ist ein statisches Produkt in einem dynamischen Nachrichtenzeitalter, und während jedes Medium um Aufmerksamkeit ringt, muss die Industrie das ziemlich wörtlich nehmen.“ Mit den sich abzeichnenden neuen Techniken (zum Beispiel via Funknetz-Abonnement[118] aktualisierte elektronische Lesefolien) wandele sich auch die Rolle des Journalisten: „Das ist die Zukunft, auf die sich die Zeitungen vorbereiten müssen. Die Leser kümmern sich nicht länger so sehr darum, wer Sie sind, sie wollen nur wissen, was Sie wissen.“[119][120][121] NYT-Herausgeber Sulzberger: „Das Internet ist ein wunderbarer Ort, und wir führen dort“ „Wir leben in der Internet-Welt. Wir haben zum Beispiel fünf Leute, die in einer speziellen Entwicklungsabteilung arbeiten, deren einziger Job es ist, Dinge zu initiieren und zu entwickeln, die mit der elektronischen Welt zusammenhängen – Internet, Mobilfunk, was immer auch kommt“, erläuterte der Herausgeber der „New York Times“ Arthur O. Sulzberger Anfang 2007 zu den Strategien seines Unternehmens. – Man habe zudem einen Vertrag mit Microsoft[122] unterzeichnet, um das Blatt mittels eines Programms namens Times Reader zu verbreiten. Die Software ermögliche es Nutzern, die Zeitung bequem auf Bildschirmen, vornehmlich Laptops, zu lesen. Zuversichtlich unterstrich Sulzberger: „Ich glaube sehr daran, dass das Erlebnis, eine Zeitung auf Papier zu lesen, auf diese neuen Geräte übertragen werden kann.“ Zum Aufwand für Entwicklung und Computerisierung meinte der NYT-Herausgeber: „Diese Kosten reichen mitnichten an die für den Druck heran. In letzter Zeit tätigten wir ein umfangreiche Investition in den Druck, die kostete nicht weniger als eine Milliarde Dollar. Die Preise für die Website-Entwicklung wachsen nicht in diese Größenordnung.“[123] * nach Erscheinungsweise o Tageszeitung o Sonntagszeitung o Wochenzeitung o Sonderausgabe * nach Verbreitungsgebiet o Stadtteilzeitung (meist von Bürgerinitiativen erstellt) o Lokalzeitung (häufig als Anzeigenblatt) o Regionalzeitung o überregionale Zeitung * nach Vertriebsart o Abonnementzeitung (durch Zusteller oder per Post) o Boulevardzeitung (Straßenverkauf) o Anzeigenblatt (wird kostenlos an alle Haushalte verteilt) o Offertenblatt (wird über den Pressevertrieb vertrieben) o Mitgliederzeitung (wird kostenlos oder gegen Kosten an Verbands-, Vereins- bzw. Parteimitglieder verteilt) o Firmenzeitung (Herausgeber ist meist die PR-Abteilung des Unternehmens oder eine separate Abteilung für die unternehmensinterne Kommunikation) o Betriebszeitung o Kiosk o Pressevertrieb (Presse-Grosso) o Zeitungsantiquariat (Lieferung alter Zeitungen für Museen, Archive, als Filmrequisiten oder als Geschenke) o Pendlerzeitung (kostenlose, durch Werbung finanzierte, Zeitungen, die an Bahnhöfen, Tram- oder Busstationen verteilt werden) o Straßenzeitung Zeitungsprojekte die meist von obdachlosen Menschen im Straßenverkauf vertrieben (manchmal auch geschrieben) werden o Elektronische Zeitung (elektronische Version einer Zeitung) * spezielle Zeitungsformen o Schülerzeitung o Abiturzeitung o Studentenzeitung o Parteizeitung o Kirchenzeitung o Hochzeitszeitung o Amtsblatt o Gefangenenzeitungen in Justizvollzugsanstalten … andererseits gilt immer noch: „Der sicherste Weg, in die Zeitung zu kommen, besteht darin, eine zu lesen, während man die Straße überquert“, worauf der italienische Filmkomiker Alberto Sordi einmal freundlicherweise hinwies. Was, wenn jetzt der Dorf-Django aus Mintraching mit seiner Singer-Voll-Zickzack über die Kreuzung rumpelt? * 400 Jahre Zeitung, 10. Juli bis 30. Dezember 2005 im Gutenberg-Museum, Mainz * Gutenberg-Museum, 10. Juli bis 30. Dezember 2005 im Gutenberg-Museum, Mitarbeiter, Termine etc. des Gutenberg-Museums, begleitend zur Ausstellung in Mainz * Das Neueste von gestern … 400 Jahre Zeitungsgeschichte in Bremen und Nordwestdeutschland, bis 23. Juni 2005 in der Bremer Bürgerschaft, danach in Oldenburg in Oldenburg und Hamburg Wikiquote Wikiquote: Zeitung – Zitate * Liste deutscher Zeitungen, Liste von Zeitungen * Pressegeschichte, Antiquarische Zeitung, Fuggerzeitungen, Newe Zeytung, Moralische Wochenschrift * Zeitungsformate, Zeitungsdruck, Printmedium * Tageszeitung, Wochenzeitung, Sonntagszeitung * Journalist, Journalistische Darstellungsform * Redaktion, Redakteur, Chefredakteur, Ressort, Lokaljournalist * Nachrichtenagentur; International Press Telecommunications Council * Verlag, Verleger, Liste von Verlagen im deutschen Sprachraum * Zeitschrift, Fachzeitschrift, Gazette * Zeitungsmuseum, Zeitungsantiquariat * Annonce, Akzidenzbeilage * Crossmedia, Medienkonvergenz * Newsdesign; Grafikdesign, Visuelle Kommunikation, Desktop Publishing * European Newspaper Award (seit 1999; gilt mittlerweile als der bedeutendste seiner Art in Europa) * European Newspaper Congress[124];[125] * Best of Newspaper Design (seit 1979; renommierter weltweiter Wettbewerb der Society for News Design, Rhode Island, USA)[126];[127] Die Zeitungsleserin (Adolph Menzel) * Glotz, Peter/Meyer-Lucht, Robin: Online gegen Print. Zeitung und Zeitschrift im Wandel. 1. Auflage. Universitätsverlag Konstanz, Februar 2008. – ISBN 3-896-69443-X; ISBN 978-3896694430 (13) * Danch, Robert: Web 2.0 - Wie sich Zeitungen den neuen Herausforderungen stellen. - 1. Auflage. - 48 Seiten, nur als PDF-Datei auf CD-ROM. Berlin, 2007. – (Bezug: [2]) * Fogel, Jean-François/Patino, Bruno: Une presse sans Gutenberg: Pourquoi Internet a bouleversé le journalisme. Editions Points, Oktober 2007. – ISBN 2-757-80393-X (10); ISBN 978-2757803936 (13) – Bruno Patino ist Präsident von Monde interactif und Vizepräsident der Le-Monde-Gruppe * Bauer, Christoph: Tageszeitungen im Kontext des Internets. 1. Auflage. Deutscher Universitätsverlag, Oktober 2005. – ISBN 3-835-00130-2 (10); ISBN 978-3835001305 (13) * Schulze, Volker: Die Zeitung. Ein medienkundlicher Leitfaden. 3. Auflage. Hahner Verlagsgesellschaft, 2005. – ISBN 3-892-94311-7 * Elfenbein, Stefan W.: The New York Times. Macht und Mythos eines Mediums. 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Inhaltsverzeichnis [Verbergen] * 1 Überblick * 2 Stummfilmära o 2.1 Früher Stummfilm + 2.1.1 Erste österreichische Filmproduktionen + 2.1.2 Filmszene um 1910 + 2.1.3 Entwicklung des Filmschaffens bis 1914 o 2.2 Im Ersten Weltkrieg + 2.2.1 Entwicklung der Filmproduktion während des Kriegs + 2.2.2 Erste Filmstars o 2.3 Später Stummfilm + 2.3.1 Höhepunkt der Filmproduktion nach Kriegsende + 2.3.2 Erste Filmproduktionsstätten außerhalb Wiens + 2.3.3 Expressionismus und Neue Sachlichkeit im österreichischen Film + 2.3.4 Aufklärung und Freizügigkeit als neue Filmthemen der 1920er Jahre + 2.3.5 Aufwändige Monumentalfilme + 2.3.6 Filmwirtschaftskrise durch enorme US-Konkurrenz + 2.3.7 Die letzten Jahre des Stummfilms * 3 Frühe Tonfilmära o 3.1 Die 1930er Jahre + 3.1.1 Die ersten Tonfilme + 3.1.2 Entstehen des Musikfilms + 3.1.3 Im österreichischen Ständestaat + 3.1.4 Vorweggenommener „Anschluss“ des österreichischen Films + 3.1.5 Kritik am aufkommenden Totalitarismus o 3.2 Während des Nationalsozialismus, 1938 bis 1945 + 3.2.1 Filmwirtschaft und erste Folgen des „Anschlusses“ + 3.2.2 Spielfilme + 3.2.3 Kultur- und Heimatfilme + 3.2.4 Propagandafilme + 3.2.5 Filmschaffen gegen Kriegsende * 4 Nachkriegsära o 4.1 Im besetzten Nachkriegsösterreich, 1945 bis 1955 + 4.1.1 Filmwirtschaft + 4.1.2 Die ersten Nachkriegsproduktionen + 4.1.3 Filmschaffen ab 1948 + 4.1.4 Vergangenheitsbewältigung im Film + 4.1.5 Filmschaffen zu Beginn der 1950er Jahre + 4.1.6 Höhepunkt der Lustspieldramaturgie o 4.2 Zwischen Kommerz- und Avantgardefilm, 1955 bis 1970 + 4.2.1 Filmwirtschaft + 4.2.2 Höhepunkt der Heimatfilmproduktion + 4.2.3 Komödien, Eisrevue-, Operetten- und Monarchiefilme + 4.2.4 Kriminal- und Agentenfilme + 4.2.5 Literaturverfilmungen + 4.2.6 Freizügigkeit und Enttabuisierung im Film + 4.2.7 Geförderte Filme und Kulturfilme + 4.2.8 Avantgardefilm und alternatives Filmschaffen * 5 Neuer Österreichischer Film o 5.1 Neuorientierung des österreichischen Films + 5.1.1 Generationenwechsel in den 1970er Jahren + 5.1.2 Aufschwung der Filmszene in den 1980er-Jahren + 5.1.3 Wiederbelebung des Komödiengenres in den 1990er Jahren o 5.2 Der österreichische Film im 21. Jahrhundert * 6 Literatur * 7 Siehe auch * 8 Einzelnachweise * 9 Weblinks Ein Stereoskop im Praterkino „Kaiserpanorama“ um 1900 Trotz wissenschaftlicher und unternehmerischer Pionierleistungen im 19. Jahrhundert, auf welche einige wesentliche Entwicklungen in der Filmtechnik zurückgehen, entwickelte sich die österreichische Filmwirtschaft anfangs nur sehr langsam. Die ersten Kurzspielfilme erschienen erst 1906, ab 1910 jedoch nahm die Produktion rasch zu und erreichte um 1920 ihren Höhepunkt. Österreich zählte in diesen Jahren zu den führenden Filmproduzenten der Welt, mit der Sascha-Film als einem der größten Produzenten Europas. Ab den 1920er Jahren wird Deutschland mit der aufstrebenden Filmmetropole Berlin ein beliebter Anziehungspunkt für österreichische Filmschaffende. Regisseure wie Max Reinhardt, Fritz Lang und G. W. Pabst feierten dort ihre größten Erfolge – viele weitere, etwa Josef von Sternberg, Richard Oswald, Fritz Kortner und Peter Lorre standen ihnen nur wenig nach. Mit Beginn der Verfolgung von Juden und Andersdenkenden im deutschsprachigen Raum emigrieren viele weiter in die Vereinigten Staaten. Neben den bereits genannten befinden sich weitere österreichische Filmgrößen wie Billy Wilder, Fred Zinnemann und Otto Preminger. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Wien neben München und Berlin zur Hauptproduktionsstätte von nationalsozialistischen Spiel- und Propagandafilmen. Der Versuch, durch starken Geschichts- und Wien-Bezug dem nationalsozialistischen Propaganda-Auftrag weitgehend auszuweichen, gelang jedoch nur bedingt. Nach dem Zweiten Weltkrieg besann man sich auf positive Stimmung verbreitende Heimatfilme und Komödien. Erst ab den 1960er Jahren konnte mit dem Niedergang der althergebrachten Filmindustrie wieder Neues entstehen. Der Avantgardefilm nahm hierbei die Rolle als Wegbereiter für den Neuen Österreichischen Film ein. Dieser brachte ab den 1980er Jahren vielfältiges und kritisches Filmschaffen hervor, das seit Ende der 1990er Jahre auf internationalen Filmfestivals vermehrt auf sich aufmerksam macht. Hauptartikel: Geschichte des österreichischen Stummfilms Obwohl österreichische Wissenschaftler und Erfinder stets aktiv zur Entwicklung der Filmtechnik beigetragen haben, war die frühe Phase des Stummfilms in Österreich eine von französischen Filmunternehmern geprägte. Die erste belegte öffentliche Filmvorführung fand am 20. März 1896 in der Wiener k. k. Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie und Reproduktionsverfahren mit dem lumièreschen Kinematographen vor geladenem Publikum statt. In den folgenden Jahren entstanden die ersten Kinos, in denen zumeist ausländische Filme vorgeführt wurden. Von richtigen Filmen konnte man damals jedoch noch nicht sprechen. Produziert wurden aus technischen Gründen nur wenige Minuten dauernde dokumentarische und fiktionale „Kurzfilme“ mit Titeln wie „Fällen eines Baumes“, „Taubenfüttern“, „Erschießung eines Spions im türkisch-griechischen Krieg“ oder „Ein unheimlicher Traum“. Hauptberufliche Filmschauspieler gab es damals noch nicht. Es spielten zumeist Laiendarsteller. Erste „Filmstars“ mit Wiedererkennungswert entstanden erst mit aufwändigeren und längeren Produktionen Mitte der 1910er Jahre. Erste österreichische Kurz- und Dokumentarfilme entstanden erst ab 1903. Erste Kurzfilme mit fiktiver Handlung stammen aus 1906. Richtige Spielfilme entstanden gar erst ab 1910 - zu einem Zeitpunkt als Länder wie Frankreich und Großbritannien bereits ihre erste Kinokrise hinter sich hatten, die durch aufwändigere und einfallsreichere Filme überwunden werden konnte. Österreich blieb diese Krise mangels eigener Filmproduktion erspart - die ersten Spielfilme hatten dennoch die Lektionen des Auslands gelernt, man orientierte sich unter anderem am neuen französischen Film d'Art. Den durch den späten Start des österreichischen Films bedingten Nachteil im internationalen Wettbewerb konnte die Filmindustrie im Ersten Weltkrieg, der „feindliche“ Filme und Unternehmen vom österreichischen Markt verbannte, wieder wettmachen. Die österreichische Filmproduktion ging vermutlich als einziger Wirtschaftsbereich gestärkt aus dem Ersten Weltkrieg hervor. Für etwa fünf Jahre wurden österreichische Filme massenhaft ins Ausland exportiert, wo bis zu 90 Prozent des Erlöses erzielt wurde. Es folgte, wie im Großteil Europas, eine wirtschaftliche Krise des Films, worauf auch in Österreich nach Demonstrationen von Filmschaffenden mit Importeinschränkungen reagiert wurde. Bis zum Ende der Stummfilmära um 1930 bewegte sich die Filmproduktion in einem für einen Kleinstaat üblichen Ausmaß, zwischen 20 und 30 Produktionen jährlich. Ankündigung der Programmänderung im Vorführraum von Eugène Dupont Mitte April des Jahres 1896 im „Illustrierten Wiener Extrablatt“ Erotische Aufnahmen für Herrenabende - produziert ab 1906 vom Wiener Fotografen Johann Schwarzer. Die ersten Filmgesellschaften Österreichs kamen aus Frankreich. Als erste eröffnete 1904 die Pathé Frères eine Niederlassung in Wien. 1908 folgte Gaumont und 1909 die Société Eclair. Sie bereiteten der ab 1910 einsetzenden regelmäßigen Filmproduktion Österreichs noch bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Wochenschaubereich große Konkurrenz. Auch die älteste erhaltene, in Österreich gedrehte Filmaufnahme wurde von Franzosen gedreht: von den Gebrüdern Lumière, 1896. Bei der ersten österreichischen Filmgesellschaft handelte es sich um einen reinen Filmverleih, welcher 1905 gegründet wurde. 1897 fand in Höritz im Böhmerwald bei der Aufführung des Theaterstückes Das Leben und Sterben von Jesus Christus die erste Aufführung von heimisch produziertem Filmmaterial statt, das zur Unterstützung des Theaterstückes gedreht wurde. Weitere österreichische Filmaufnahmen wurden im Dezember 1898 im Wiener Neustädter Hotel „Zum goldenen Hirschen“ präsentiert. Im Stil der ersten Filmaufnahmen der Gebrüder Lumière zeigte das Wanderkino von Gottfried Findeis dort unter anderem „Die Ankunft eines Zuges im Bahnhof von Wiener Neustadt“, „Eine Tunnelfahrt im Aussichtswagen während der Fahrt aufgenommen“, und „Ausgang der Arbeiter aus der Lokomotivfabrik Wiener Neustadt“.[1] Die älteste erhaltene Filmaufnahme österreichischer Produktion ist die Dokumentation „Der Kaiserbesuch in Braunau/Inn“ aus dem Jahr 1903, aufgenommen vom Wanderkinobesitzer Johann Bläser. Bis zum ersten Kurzspielfilm österreichischer Produktion dauerte es bis Mitte des Jahres 1906 - also rund 10 Jahre später als etwa Frankreich oder Großbritannien. In jenem Jahr begann der Wiener Fotograf Johann Schwarzer mit der Produktion erotischer Kurzfilme, welche die ältesten bekannten heimischen Filmproduktionen sind. Mit seiner Saturn-Film verbreitete er die Filme, die Titel wie „Eine moderne Ehe“ (1906), „Am Sklavenmarkt“, „Das Sandbad“ und „Weibliche Ringkämpfer“ trugen, auch im Ausland. Beendet wurde sein Geschäftstreiben 1911, als die Polizei die Filme beschlagnahmte. Der mit 35 Minuten Spiellänge erste abendfüllende österreichische Spielfilm, „Von Stufe zu Stufe“, soll unter der Regie von Heinz Hanus gemeinsam mit Luise Kolm, deren Ehemann Anton Kolm, sowie dem Gehilfen Jacob Julius Fleck entstanden sein und im Dezember 1908 in Wien uraufgeführt worden sein. Der Einzige der dies bei Nachforschungen, die erst Jahrzehnte später durchgeführt wurden, zu bezeugen vermochte, war der vermeintliche Drehbuchautor und Regisseur Heinz Hanus selbst. In Zeitungsberichten oder den beiden Filmzeitschriften der damaligen Zeit war entgegen der damals üblichen Praxis allerdings kein Hinweis auf eine Vorführung dieses Films zu finden. Auch andere Beweise wie etwa Drehbücher sind nicht vorhanden. 1909 erschien der erste exakt datierbare Dokumentarfilm aus österreichischer Produktion. Zwischen 8. und 11. September 1909 filmte die Photobrom G.m.b.H. in Groß Meseritsch „Die Kaisermanöver in Mähren“, auf welcher Kaiser Franz-Joseph und sein deutscher Kollege Kaiser Wilhelm II. agierten. 1910 erfolgte die Gründung der „Ersten Österreichische Kinofilms-Industrie“, der späteren Wiener Kunstfilm, durch das Ehepaar Anton und Luise Kolm sowie Jacob Fleck. Deren erste Produktion erschien noch im Frühjahr des Jahres und war eine Dokumentation mit dem Titel „Der Faschingszug in Ober-St. Veit“. Wenig später, am 14. März, filmte das Jungunternehmen das Begräbnis von Bürgermeister Karl Lueger. Der Film wurde in 22 Wiener Kinos gezeigt. Bei der (Kurz-)Spielfilmproduktion führte Anton Kolm nach französischem Vorbild den komischen Kurzfilm ein. Mit dem Berliner Schauspieler Oskar Sabo hatte er seinen Hauptdarsteller für „Die böse Schwiegermutter“ (1910) gefunden. Auch die Literaturverfilmung Die Ahnfrau (1910) wurde im selben Jahr hergestellt. Diese Filme sind die ältesten bekannten österreichischen Spielfilme. Der älteste erhaltene österreichische Spielfilm entstand ein Jahr später: Der Müller und sein Kind (1911). Neben kurzen Spielfilmen – Literaturverfilmungen nach dem französischen Vorbild des film d'art sowie komische Kurzfilme – stellten Aktualitätenberichte für Wochenschauen und dokumentarische Aufnahmen aus Österreich noch für einige weitere Jahre ein wichtiges Standbein dar. So zählen zu den ersten Produktionen der ersten österreichischen Filmproduktionsgesellschaft auch Typen und Szenen aus dem Wiener Volksleben, wo unter anderem der berühmte Wiener Volkssänger Edmund Guschelbauer zu sehen war, und Karl Blasel als Zahnarzt (1912) mit dem gleichnamigem Hauptdarsteller, der bereits seit Jahrzehnten ein beliebter Wiener Komiker war. Gewisse Kreise der Bevölkerung und die Behörden sahen Kino und Film in dessen Entstehungsjahren trotz der allgemein großen Beliebtheit, oder gerade deswegen, als „Unkultur“ an. Ein Gesetz verbot ab 1910 Kindern den Besuch von Kinos, und komplizierte Zensurprüfungen machten der Filmwirtschaft das Leben weiterhin schwer. Proteste der Kino- und Filmschaffenden ab 1907, die sich ab 1910 in Verbänden zusammenschlossen, führten erst 1912, am „Internationalen Kinematographenkongreß“ in Wien, zu Erleichterungen. Der Vizepräsident des „Bundes der Kinoindustriellen“, Alexander Ortony, verwies bei dieser Gelegenheit in einer Rede darauf, dass „viele Kulturvölker der Zensur ganz entbehren, und niemand kann behaupten, dass Frankreich, Italien oder Ungarn sich deshalb am Rande des Verderbens befänden“. Dennoch war es noch bis 1918 den Schauspielern des Burgtheaters verboten in irgendeiner Form in Filmen mitzuwirken. Ausnahmen gab es nur sehr selten. Weitere Theater, wie etwa das Volkstheater, folgten diesem Beispiel, um sich vor dem direkten Konkurrenten Kino zu schützen. Erst mit den Auftritten von Alexander Girardi und den Produktionen des Intendanten Max Reinhardt ab 1913 begann sich die Situation etwas zu entspannen. 1911 erschienen die deutsch-österreichische Co-Produktion „Der Müller und sein Kind“, Teil eins, in dem neben den deutschen Stummfilm-Stars Henny Porten und Friedrich Zelnik mit Curt A. Stark auch ein Österreicher mitspielte, sowie die rein österreichische Fortsetzung mit anderer Besetzung, Der Müller und sein Kind, Teil II, produziert von der Wiener Kunstfilm-Industrie, der bedeutendsten österreichischen Filmgesellschaft jener Jahre. Der zweite Teil ist heute der älteste erhaltene österreichische abendfüllende Stummspielfilm. Die Wiener Kunstfilm-Industrie griff in ihren Produktionen auf Literaturvorlagen von zeitgenössischen Schriftstellern wie Ernst Raupach, Franz Grillparzer, E. T. A. Hoffmann oder Ludwig Anzengruber zurück. Damit orientierte sie sich nach dem französischen Namensverwandten, der Pariser Produktionsfirma „Film d'Art“, die bereits 1908 ihre Manuskripte bei den bekanntesten Autoren bestellte, um sie von den Regisseuren und Schauspielern der größten französischen Bühnen realisieren zu lassen. 1912 gründete der Librettist Felix Dörmann gemeinsam die „Vindobona Film“, die in der Folge noch mehrmals umbenannt wurde. Da Dörmanns Produktionen nicht den erhofften Erfolg brachten, spekulierte er mit dem Bedürfnis der Besucher nach Nacktszenen. Es erschienen Filme wie „Ein Tag im Leben einer schönen Frau“, „Die Göttin der Liebe“ und „Seitensprung“, die dadurch auffielen, dass die hauptdarstellenden Frauen häufig im Badezimmer, beim Strumpfwechsel und sogar beim Toilettenbesuch gezeigt wurden. Vor allem die Badeszenen waren Anlass für die Polizei diese Filme zu zensieren, auch Jahre nach den „pikanten Filmen“ von Johann Schwarzer. 1912 war das Jahr, in welchem der Theaterregisseur und Intendant Max Reinhardt sein erstes Filmprojekt in Österreich verwirklichte. Mit seiner eigens gegründeten Filmgesellschaft inszenierte er die Literaturverfilmung „Das Mirakel“ bevor er 1913 endgültig nach Berlin übersiedelte um unter anderem die Literaturverfilmung „Die Insel der Seligen“ herzustellen, welche durch ausgedehnte Nackt- und Sexszenen für Aufsehen sorgte. Mit dem Aufblühen der heimischen sowie internationalen Filmindustrie entstanden auch nach und nach weitere Filmzeitschriften. „Das Lichtbild-Theater“ und die „Dramagraph-Woche“ folgten ab 1911, und ab 1912 erschien die „Filmkunst“, welche vom „Cinéma Eclair“ in Auftrag gegeben wurde. Ebenfalls 1912 erschien die „Kastalia“, welche für wissenschaftliche und Unterrichtsfilme von Schulleuten herausgegeben wurde. In den weiteren Jahren folgten noch „Die Filmwoche“ (ab 1913) und „Paimanns Filmlisten“ (ab 1916) - eine Zeitschrift, in der bis 1965 in lexikalischer Form Kritiken sämtlicher in Österreich angelaufener Filme aufgelistet wurden. Am 15. März 1912 fand in Wien die Premiere des ersten großen Films aus österreichischer Produktion statt: „Der Unbekannte“ - basierend auf einem Kriminaldrama von Oskar Bendiener. Regie führte Luise Kolm, die 10.000 Meter Negativmaterial abdrehte und 10.000 Kronen für die Produktion aufbrauchte. Als Schauspieler engagierte man unter anderem den Wiener Publikumsliebling Karl Blasel sowie Viktor Kutschera, Karl Ehmann, Anton Edthofer, Hans Homma und Eugenie Bernay. Im November 1912, als bereits weitere österreichische Filmproduktionsgesellschaften mit der ausländischen Konkurrenz um Marktanteile in den Kinos rangen, erschien mit „Das Gänsehäufel“ der erste Dokumentarfilm der Wiener Kunstfilm-Industrie, die sich neben den Wochenschauberichten von aktuellen Ereignissen vor allem auf Spielfilme konzentrierte. Im selben Jahr gründete der eben nach Wien übersiedelte Alexander Joseph „Sascha“ Graf Kolowrat-Krakowsky die „Sascha-Filmfabrik“ im heutigen Wiener Gemeindebezirk Liesing. Seine erste Produktion war „Die Gewinnung des Erzes am steirischen Erzberg in Eisenerz“. Es folgte Österreichs erster historischer Spielfilm: „Kaiser Joseph II.“. Ebenfalls 1912 erschien die „Vindobona-Film“-Produktion „Die Musikantenlene“, mit der von der Kritik viel gelobten Hauptdarstellerin Eugenie Bernay. Als interessanteste Neuentdeckung jenes Jahres gilt der Komiker Heinrich Eisenbach, der im „Budapester Orpheum“, einem im Zentrum des jüdischen Zuwandererviertels in Wien-Leopoldstadt gelegenen Kabarett, seine ersten Auftritte absolvierte. Bekannte Kabarettsoloszenen führte er in Filmen wie „Hausball beim Blunzenwirt“ oder „Klabriaspartie“ auf. In „Die Zirkusgräfin“ der „Vindobona Film“ von 1912 spielte er den Zirkusclown, neben Eugenie Bernay als „Minka“. Felix Dörmann selbst trat ebenfalls in diesem bereits 900 Meter langen Film als „Graf Veckenhüller“ auf. Im September 1913 wurden mit Vorführungen unter dem Titel „Sprechender Film“ in den Sofiensälen (Edison Kinetophon und Gaumont-Vorführungen) erstmals auch in Wien Tonfilme präsentiert. Aus unterschiedlichen Gründen - vor allem wegen der hohen Materialkosten und des zu geringen internationalen Verleihs zu jener Zeit - fanden diese jedoch wenig Anklang. 1914 spielte Max Neufeld, der rasch zum ersten Star der Wiener Kunstfilm wurde, in „Der Pfarrer vom Kirchfeld“ mit. Wenig später folgte „Frau Gertraud Namenlos“, wo er an der Seite der Volksschauspielerin Hansi Niese, die 1913 auch schon eine kleine Rolle in „Johann Strauß an der schönen blauen Donau“ innehatte, spielt. Ebenfalls 1914 erfolgte mit „Speckbacher“ eine Monumentalproduktion des französischen Regisseurs Pierre Paul Gilmans, die vom Befreiungskampf der Tiroler gegen Napoleon handelte. Für die Aufnahmen, an denen auch Mitglieder der Exl-Bühne wie zum Beispiel Eduard Köck beteiligt waren, wurden originale Speckbacher-Säbel und 2000, ebenfalls historische Waffen tragende, Statisten verwendet. In den ersten Jahren österreichischer Filmproduktion entstanden bis 1914 etwa 130 kurze und längere Spielfilme, vielfach aus eigenen Ideen oder heimischen Buchvorlagen, teils - vor allem was Technik betraf - auch vom Ausland, insbesondere Frankreich, beeinflusst. Hinzu kamen über 210 Dokumentarfilme. Die Bandbreite des österreichischen Filmschaffens erstreckte sich von kurzen Dokumentarfilmen und Wochenschauberichten, kleinen Volksstücken, Dramenverfilmungen und Familiendramen, Kriminalgeschichten, Operetten und historischen Großfilmen bis hin zu Filmgrotesken. Der österreichische Filmhistoriker Walter Fritz stellte zum österreichischen Filmschaffen der Vorkriegszeit fest: „Die Gedanken des Historikers Johnston zur schöpferischen Potenz der Monarchie, die sich anscheinend als ‚fröhliche Apokalypse‘ verstand, zeigen, daß eine Endstimmung vorherrschte, damals von den Kritikern so gesehen wurde und die Kraft hatte, bis heute zu wirken.“[2] Im Zuge der gegenseitigen Kriegserklärungen der europäischen Großmächte, die zum Ersten Weltkrieg führten, wurde auch Frankreich zum Feind Österreich-Ungarns, was unter anderem die Auflösung sämtlicher französischer Filmgesellschaften in der Monarchie zur Folge hatte. Zugleich wurde die Einfuhr von ausländischen Filmen verboten. In den folgenden Kriegsjahren trat zwar der erwartete Aufschwung der heimischen Filmproduktion ein, doch ging dies wesentlich langsamer von statten als vermutet. Die Geschichte der Wochenschau in Österreich begann im September 1914, als die Wiener Kunstfilm wöchentlich das „Kriegs-Journal“ in die Kinos brachte. Die Konkurrenz antwortete wenig später mit dem ebenfalls wöchentlich neu erscheinenden „Sascha-Kriegswochenbericht“. 1915 erreichte Sascha Kolowrat-Krakowsky seine Überstellung vom Automobilkorps in Galizien zum Kriegspressequartier nach Wien, wo er die Leitung der Filmexpositur übernahm, die dem Kriegsarchiv unterstand. In dieser Funktion ließ er benötigte Mitarbeiter und Schauspieler vom Militär abkommandieren. So entging der größte Teil der damaligen österreichischen Schauspieler Tod und Gefangenschaft im Krieg. Eine bekannte Ausnahme war jedoch Max Neufeld, der erst nach dem Kriegsdienst wieder als Held und Liebhaber in Erscheinung treten konnte. Auch zahlreiche Regisseure und andere Filmschaffende, unter anderem die noch jungen Talente Karl Hartl, Fritz Freisler, Gustav Ucicky und Hans Theyer, bewahrte er auf diese Weise vom drohenden Kriegsdienst.[3] 1916 ließ Kolowrat-Krakowsky ein Hangargerüst aus Düsseldorf liefern, um das bereits von einigen Regisseuren vermisste erste große Filmatelier in Sievering einrichten zu lassen. Es war das erste frei stehende Filmatelier Österreichs. Am 4. April des Jahres ging aus der bisher losen Zusammenarbeit zwischen Kolowrat-Krakowsky und Oskar Meßter die „Oesterreichisch-ungarische Sascha-Meßter-Film Gesellschaft m.b.H.“, später Sascha-Meßter-Film, hervor. Neben den unzähligen Wochenschauen und den dutzenden Propagandafilmen, die in den fünf Kriegsjahren produziert wurden, machten sich noch andere Veränderungen in der Filmproduktion bemerkbar. So wurden kaum Detektivfilme produziert, und Grotesklustspiele, wie sie bis vor kurzem noch sehr beliebt waren, verschwanden fast vollständig aus den Kinos. Stattdessen hatten Gesellschaftsdramen, diffizilere literarische Lustspiele und Kostümfilme Hochkonjunktur. Die Anzahl der gezeigten Filme brach zu Kriegsbeginn aufgrund des Importverbots von Filmen verfeindeter Nationen wie Frankreich, Großbritannien oder den Vereinigten Staaten stark ein. Die heimischen Filmproduzenten stellten sich jedoch alsbald auf die neue Marktsituation ein, und so stieg die heimische Produktion bis 1918, als die Kinos mangels Kohle nicht mehr beheizt werden konnten, und Rohfilmmangel die Filmproduktion in Bedrängnis brachte, auf Rekordhöhen an. Von den Literaturvorlagen waren besonders die Werke Ludwig Anzengrubers, die sich häufig in bäuerlichem Milieu abspielten, sehr beliebt. Von diesen wurden unter anderem „Der Meineidbauer“ (1915), „Im Banne der Pflicht“ (1917), „Der Schandfleck“ (1917) oder auch „Der Doppelselbstmord“ (1918) höchst erfolgreich verfilmt. Wie Filmkritiken von damals die Handlungen, Spielart, Drehbuchvorlagen und Regiepraktiken beschrieben, hat sich die österreichische Filmproduktion damals stark weiterentwickelt. Die Drehbücher waren durchdachter und die Handlung trotz größerer Komplexität einfacher zu verstehen. Dem deutschen expressionistischen Film der 1920er Jahre wurde hier thematisch bereits manches vorweggenommen. So etwa in „Die Schlange der Leidenschaft“ aus dem Jahr 1918, die dem deutschen Film „Der blaue Engel“ (1930) aber auch Carl Theodor Dreyers „Vampyr“ (1932) von der Thematik stark ähnelt. Weitere vorexpressionistische Filme, die in Österreich zwischen 1917 und 1919 entstanden, waren „Der Mandarin“ (1918), „Der Brief einer Toten“, „Das schwindende Herz“ und „Das andere Ich“ (1918). Wesentliche Vertreter des frühen Filmexpressionismus in Österreich waren die Drehbuchautoren bzw. Regisseure Carl Mayer, Hans Janowitz und Fritz Freisler. Waren in den Jahren zuvor die Wiener Kunstfilm und die Sascha-Film bzw. Sascha-Meßter-Film die größten heimischen Produktionsfirmen, so wurde im isolierten Österreich-Ungarn neuen Unternehmen Platz geboten. Mit Filmag, A-Zet Film, Astoria-Film und Leyka Film konnten sich neue Produzenten am Markt behaupten. Wurden zwischen 1906 und 1914 insgesamt rund 120 Filme produziert, so waren es in den Kriegsjahren zwischen 180 und 190. Hinzu kam noch eine Vielzahl an Kriegswochenschauen, die ebenfalls in den Kinos gezeigt wurden. Einige der Propagandadokumentationen und -filme waren „Die Befreiung der Bukowina“, „Krieg in 3000 Meter Höhe“, „Kampftag bei den Tiroler Kaiserjägern“ sowie die Zweiteiler „Die wirtschaftliche Erschließung Montenegros“ und „Der Zusammenbruch der italienischen Front“. Von der Zensur wurden diese Filme dennoch geprüft. Ein bekannter Propagandafilm der „Sascha-Meßter“, der Skeptiker und Kriegsgegner „eines Besseren“ belehren sollte, handelte von einem Nörgler, der im Traum die Anstrengungen der Soldaten im Krieg miterlebt, was ihn sehr erschüttert. Als in der „Realität“ zwei Buben zu wenig Geld haben, um Kriegsanleihen zeichnen zu können, gibt er ihnen das Geld und zeichnet auch gleich selbst. Weitere erwähnenswerte Propagandafilme waren die „Wiener Kunstfilm“-Produktionen „Der Traum eines österreichischen Reservisten“ (1915), „Mit Herz und Hand fürs Vaterland“ (1915), „Mit Gott für Kaiser und Reich“ (1916), „Freier Dienst“ (1918). Die Qualität solcher Filme trat naturgemäß in den Hintergrund, ging es doch lediglich darum, Kriegsbegeisterung in der Bevölkerung zu erwecken und zu erhalten. Die Filmkritiken kannten nur noch gute Filme und schwärmten von den Inhalten. 1918 wagte sich die Sascha-Meßter-Film an die Verfilmung eines Werkes Beethovens heran. Fritz Kortner spielte in „Der Märtyrer seines Herzens“ Beethoven so gut, dass er in der Folge zu einem der wichtigsten expressionistisch spielenden Schauspieler im deutschsprachigen Raum avancierte. Aufnahmen fanden beispielsweise im neu errichteten großen Filmatelier der „Sascha-Film“ in Wien-Sievering statt, wo eigens Schützengräben ausgehoben wurden. Die Filmmusik stammte häufiger als vor den Kriegsjahren von bekannten Komponisten wie Franz Lehár und Carl Michael Ziehrer, die sich wie viele andere kulturelle Persönlichkeiten dieser Zeit vom Krieg begeistern ließen. Seltene, aber umso prominentere, Kritik an den Propagandafilmen kam von Karl Kraus, der das Kriegspressequartier, die „Sascha-Film“, Hubert Marischka, Dichterkollegen und Wochenschauoperateure öffentlich kritisierte. 1914 machte Robert Müller, Besitzer der gleichnamigen Filmproduktionsgesellschaft, erste Versuche mit Trickfilmen. Er engagierte den Zeichner Theo Zasche der aus aktuellem Anlass mehrere Propaganda-Karikaturen fürs Kino herstellte. In den folgenden Jahren tauchten mit Ladislaus Tuszyński und Peter Eng zwei vielseitigere Vertreter erster österreichischer Zeichentrickversuche auf. Von allen während des Ersten Weltkriegs produzierten Filmen existieren nur von vier Filmen Aufnahmen. Was Filmstars zu dieser Zeit ausmachte, war, dass sie von den Gagen aus dem Filmgeschäft leben konnten, ohne nebenbei etwa an Theatern zu arbeiten. Die Gagen für die Filme mussten daher dementsprechend höher sein, wenn Schauspieler nicht vom Theater kamen, und auch sonst keinen anderen Tätigkeiten nachgingen, was bei der Fülle der Filmproduktionen ohnehin nur schwer möglich gewesen wäre. So gesehen entstanden in den Jahren des ersten Weltkriegs, im Zuge der steigenden Anzahl der heimischen Produktionen, zwei Filmstars: Liane Haid bei der Wiener Kunstfilm und Magda Sonja bei der Sascha-Film. Männliche Filmstars gab es in diesem Sinne keine, doch existierte eine Fülle von viel beschäftigten männlichen Darstellern, die jedoch auch der Theaterschauspielerei oder dem Kabarett nachgingen. Einige der bekanntesten davon waren Hubert Marischka, Georg Reimers, Franz Höbling, Otto Tressler und Willy Thaller. Weitere Stars gab es nur am Theater, wobei diese gelegentlich für Filmauftritte gewonnen werden konnten, wie etwa Hermann Benke, Karl Baumgartner, Hermann Romberg, Josef Reithofer, Anton Edthofer, Friedrich Feher und Hans Rhoden. 1915 war das Jahr in dem Österreichs erster Filmstar seine erste Rolle erhielt. Liane Haid spielte im Propagandafilm „Mit Herz und Hand fürs Vaterland“ eine Doppelrolle. Im Gegensatz zu anderen viel beschäftigten Schauspielern bei der Wiener Kunstfilm erhielt sie von Anfang an monatlich 200 Kronen, statt den üblichen 150. Die Produktionsgesellschaft baute sie nach und nach zum Star auf, und bis 1918 stieg die monatliche Gage auf 400 Kronen an. 1917 spielte sie in „Der Verschwender“ mit - einer Verfilmung eines Stücks von Ferdinand Raimund. Mit 3400 Metern Spiellänge war dies die bis dahin längste österreichische Produktion. Damit wurde die Wiener Kunstfilm ihrer Vorreiterrolle noch vor der Sascha-Film wie in vielen anderen Bereichen erneut gerecht. Liane Haid drehte später noch für andere Filmgesellschaften zahlreiche weitere Filme. Ihre Nachfolger als Filmstar bei der Wiener Kunstfilm war zuerst Dora Kaiser, die von A-Zet-Film kam, und wenig später Thea Rosenquist. Bei der Sascha-Film war die meist eingesetzte Schauspielerin zu dieser Zeit Magda Sonja. Stummfilmproduktion kurze und längere Spielfilme Jahr Anzahl 1918 90-100 1919 130 1920 142 1921 120 - 135 * 1922 130 * 1923 35 1924 32 1925 35 1926 19 1927 21 1928 28 1929 23 1930 15 * davon je 70 bis 75 Langspielfilme In der Zwischenkriegszeit stieg einerseits die Anzahl österreichischer Produktionen weiter an, andererseits vermischte sich die österreichische und deutsche Filmindustrie immer mehr. Österreichische Filmschaffende wirkten in deutschen Produktionen mit und umgekehrt. Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg waren auch von starker Inflation geprägt, was sich auch im Inhalt mancher Filme widerspiegelt. Der französische Journalist und Autor Zo d’Axa vertrat 1919 die Auffassung, dass Filmkomik dramatisch sein müsse, wie etwa die irische oder die amerikanische. Bei der Wiener Filmkomödie stellte er hingegen fest: „Das wienerische Lustige scheint mir im gesprochenen und gesungenen Wort, wenn überhaupt wo, zu liegen, also kann etwas, das auf der Bühne die Wiener zum Lachen bringt, im Film nur matter Schimmer einer Komik sein.“ Der erste Schauspieler, der gemäß dieser Beobachtung die Wiener durch gesprochenes und gesungenes zum Lachen brachte, war Hans Moser, der bereits in den 1920er Jahren zu seinen ersten Rollen kam, aber erst mit dem Tonfilm seine wahren Fähigkeiten zur Geltung bringen konnte. Seit der Einführung der Kinematographenverordnung 1912 änderten sich die Vergabemodalitäten von Kino-Konzessionen insofern, als man in den Nachkriegsjahren weniger Einzelpersonen, als vielmehr gemeinnützigen Vereinen Konzessionen zur Führung von Kinos bzw. Lichtspielen genehmigte. Bedingt durch den Ersten Weltkrieg waren dies vor allem Kriegsveteranen, Invaliden- und Witwenvereine, wie sie in den Jahren nach 1918 zahlreich entstanden. Auch Volksbildungsvereine, die vor allem in den Jahren des „Roten Wien“ eine Reihe von Wiener Kinos leiteten - am bekanntesten das „Kosmos Kino“ in Wien-Neubau - erhielten bevorzugt Konzessionen. Führende Produktionsfirmen waren in diesen Jahren die Sascha-Film, die Astoria-Film, Listo-Film, Schönbrunn-Film und die Dreamland-Film. Die Wiener Kunstfilm trat etwas in den Hintergrund, wurde jedoch später als Vita-Film neu gegründet, und erreichte ebenfalls wieder einen Platz unter den führenden Produktionsgesellschaften. Während sich die Sascha-Film an US-amerikanischen Produktionen orientierte, nahm sich die Vita-Film, wie auch schon der Vorgänger Wiener Kunstfilm, französischen Vorbildern an. Am 31. Dezember 1922 wurde auch der Filmbund gegründet, ein Zusammenschluss aller Interessenvertretungen der österreichischen Filmschaffenden. Zu Beginn der 1920er Jahre kamen auch in Österreich Monumentalfilme in Mode. Grund war natürlich geschäftliches Interesse, da solche exotischen Großproduktionen, in denen neben noch nie da gewesenen Massenszenen und detailgetreuen Kulissen und Kostümen auch Nacktszenen vor kamen, das Publikum in Scharen anlockten. Interesse bestand auch, zumal man 1922 das Grab des ägyptischen Pharaos Tutenchamun entdeckte, was weltweit für Aufsehen sorgte, und eine regelrechte Modewelle auslöste. Anfang der 1920er Jahre flohen auch zahlreiche ungarische Filmschaffende vor dem Béla Kun-Regime nach Österreich, was sich in der Filmproduktion widerspiegelt. So waren die bedeutendsten Regisseure österreichischer Monumentalfilme - Alexander Korda und Michael Curtiz, der sich damals Michael Kertész nannte - Ungarn. Einige weitere große Namen des damaligen ungarischen Films, die damals nach Wien übersiedelten, waren Vilma Bánky, Michael Varkonji, Béla Balázs und Oskar Beregi. Obwohl die Monarchie nicht mehr existierte, war das österreichische Filmschaffen noch immer von vielen, nunmehr ausländischen, Filmschaffenden geprägt. In den Jahren 1919 bis 1922 erreichte die österreichische Filmproduktion ihren Höhepunkt. 1919 wurden 130 Spielfilme produziert, und 1920 war mit 142 Spielfilmen das produktivste Jahr der österreichischen Filmgeschichte. 1921 und 1922 folgten je 70 bis 75 Normal- und Großfilme, sowie 50 bis 60 einaktige Lustspiele. Drehorte und Filmthemen boten sich aufgrund der vielen Architekturdenkmäler, bezaubernder Landschaften und der vielfältigen Kultur und Literatur in großer Anzahl an. Grund für diese außerordentlich hohe Produktion in einem an Kriegsfolgen leidenden Kleinstaat war paradoxer Weise eine der schlimmsten Kriegsfolgen: die enorme Inflation. Diese schwächte die österreichische Währung enorm, sodass österreichische Filme im Ausland billiger waren als vergleichbare Produktionen. Dieser Wettbewerbsvorteil wurde auch von Banken und Investoren erkannt, die dementsprechend einen hohen Filmoutput förderten. Diese finanzielle Spekulation war natürlich nicht gerade förderlich für anspruchsvolle und künstlerische Produktionen. Unter den hunderten von Filmen dieser Jahre lassen sich aber dennoch einige Filme finden, die ein gewisses Niveau anstrebten. Schließlich gab es nach wie vor begabte Filmschaffende. Obwohl die Ausstattung der Filmstudios der der deutschen Konkurrenz zurückstand, konnte mit einfacheren Mitteln ebenso große Effekte und Filme hergestellt werden. Nach Ende der Monarchie nahm die Bedeutung Wiens als „die Filmproduktionsstadt Österreichs“ noch weiter zu. Die Bundesländer dienten je nach Filmthema lediglich als Landschaftskulissen, wobei Niederösterreich aufgrund der geografischen Nähe überproportional häufig zu Außenaufnahmen herangezogen wurde. Versuche in anderen Städten dem Wiener Film Konkurrenz zu machen, waren kaum erfolgreich. In Graz wurden 1919 die „Alpin-Film“, 1920 die „Opern-Film“ unter Adolf Peter und Ludwig Loibner und 1921 die „Mitropa-Musikfilm“ gegründet. In Innsbruck war ab 1921 die „Tiroler-Heimatfilm“ produktiv und in Salzburg nahm 1921 die „Salzburger-Kunstfilm“ ihre Tätigkeit auf. Alle diese Unternehmen hatten gemeinsam, dass ihnen nur eine kurze Lebensdauer beschert war. Nicht zuletzt, da ihre Gründungen kurz vor der großen Krise der europäischen Filmproduktion Mitte der 1920er Jahre erfolgten. 1921 stellte die Salzburger Stiegl-Brauerei in Maxglan landwirtschaftliche Gebäude der eben gegründeten „Salzburger-Kunstfilm“ zur Verfügung. Dort errichtete die junge Filmproduktionsgesellschaft ein Labor und ein Filmatelier. Es wurde sogleich der Dokumentarfilm „Die Festspiele 1921“ hergestellt, in dem man Alexander Moissi als „Jedermann“, Werner Krauß als „Tod“ und Hedwig Bleibtreu als „Glaube“ sehen konnte. Der erste Spielfilm, „Die Tragödie des Carlo Pinetti“ mit Hauptdarsteller Alphons Fryland, prämierte am 29. Jänner 1924 in Wien. Ein zweiter sollte nie erfolgen, da die Unternehmung mit Sitz im Hotel „Österreichischer Hof“ schon 1925 - mitten in der schwersten Krise des österreichischen Stummfilms - Konkurs eröffnete. 1920 erschien Paul Czinners „wichtigster“ Film - wie er 1970 im Fernsehen rückblickend meinte - während seiner Schaffenszeit in Wien: Der frühe expressionistische Film „Inferno“. In Berlin, damals Karriere-Sprungbrett für zahlreiche österreichische Filmschaffende, hielt er Kontakte zu den österreichischen Autoren Carl Mayer und Hans Janowitz, die gerade an der Vorlage zu „Das Kabinett des Dr. Caligari“ arbeiteten, sowie zu Fritz Lang, der gerade „Der Herr der Liebe“ inszenierte und am Anfang seiner erfolgreichen Karriere stand. Gemeinsam haben sie allesamt den expressionistischen Einfluss in ihren Werken. Czinner berichtete auch, dass er Bewegung im Film haben wollte, und zu diesem Zweck auf einem Dreirad eine Kamera aufbauen lassen habe. Dies soll die erste Kamerafahrt gewesen sein, die daraufhin weltweit zur Anwendung und Weiterentwicklung kam. Nur wenige Jahre später perfektionierte der deutsche Kamermann Karl Freund die Kamerafahrt mit seinen „entfesselnden Kameras“ und bereicherte somit die stilistischen Erzählmöglichkeiten des deutschen expressionistischen Films, und in weiterer Folge die internationale Filmkunst, ungemein. Im Bereich der Neuen Sachlichkeit war „Durch die Quartiere des Elends und Verbrechens“ (1920), basierend auf der gleichnamigen Sozialreportage aus der Wiener Kanalisation des Journalisten Emil Kläger, einer der ersten Vertreter - vermutlich die erste verfilmte Sozialreportage im österreichischen Film überhaupt. In den folgenden Jahren erschienen auch Spielfilme die sich mit der tristen Lage des inflations- und armutsgeplagten Österreichs nach dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzte: „Frauen aus der Wiener Vorstadt“ (1925), „Haifische der Nachkriegszeit“ (1926), „Saccho und Vanzetti“ (1927), „Andere Frauen“ (1928), „Eine Dirne ist ermordet worden“ (1930), um einige zu nennen. 1921, 25 Jahre nach Erscheinen des utopischen Werkes „Der Judenstaat“ von Theodor Herzl, erschien ein Tribut an diesen Autor und Psychologen: „Theodor Herzl, der Bannerträger des jüdischen Volkes“. 1924 erschien der Horrorfilm „Orlacs Hände“ mit dem expressionistisch spielenden Darsteller Conrad Veidt als „Orlac“ und Robert Wiene als Regisseur. 1924 wurde die Verfilmung von Hugo Bettauers Roman „Die Stadt ohne Juden“, in dem Bettauer die Zeichen der Zeit erkannte, unter der Regie von Hans Karl Breslauer fertiggestellt. Eine seiner ersten Rollen erhielt in diesem Film Hans Moser, der einen antisemitischen Parlamentarier spielt. Die berühmteste Verfilmung eines Hugo-Bettauer-Werkes war jedoch die 1925 erschienene Produktion „Die freudlose Gasse“ unter Regisseur G. W. Pabst. Der auch heute noch als Vertreter des frühen Filmschaffens international aufgeführte Film erschien erstmals in den Kinos, nachdem Hugo Bettauer durch ein NSDAP-Mitglied ermordet worden war. Der Film wurde in Berliner Studios aufgenommen, mit den Schauspielstars Greta Garbo, Asta Nielsen und Werner Krauß. Er spielte im stark von der Inflation geprägten Wien der Gegenwart und gilt international als Höhepunkt der Neuen Sachlichkeit im Film. In Frankreich erreichte Pabst mit diesem dort als „La rue sans joie“ laufenden Film fast noch mehr Ruhm als im deutschsprachigen Raum. Im Zuge aufkommender freizügigerer Mode im Alltag und der „Neuen Sachlichkeit“ als realitätsbezogener Stilrichtung in vielen Bereichen der Kunst, wagten sich nun auch die etablierten Filmgesellschaften erstmals Vorstöße zu freizügigeren Filmen zu machen. So erschien Anita Berber als dürftig bekleidete Tänzerin in „Irrlichter der Tiefe“ (1923), und in „Café Elektric“ wurden nicht nur Marlene Dietrichs Beine ausführlich zur Schau gestellt, sondern auch ausgedehnte Kussszenen mit Willi Forst gezeigt. Die 1920er Jahre wurden zum „goldenen Zeitalter“ des Aufklärungs- und Sittenfilms. Filme bedienten sich der körperlichen Freizügigkeit sowie Traum- und Wahnszenen. Diesbezüglich erschienen 1924 „Was ist Liebe?“ mit Dora Kaiser und Carmen Cartellieri und „Moderne Laster“ über Trunksucht. Im Jahr 1928 erschien mit „Andere Frauen“ eine weitere Hugo-Bettauer-Verfilmung. Herrschten zwischen 1918 und 1924 die aufklärerischen Filme vor so waren die Filme ab 1927 wie „Vom Freudenhaus in die Ehe“ und 1930 „Eros in Ketten“ mehr von Voyeurismus geprägt. Der erste Aufklärungsfilm erschien 1918 und thematisierte Erbkrankheiten: „Die Geisel der Menschheit“. Wie bereits in so vielen Stilrichtungen des Films war auch dieses Mal die Wiener Kunstfilm-Industrie Pionier. Aufklärungsfilme wurden vielfach auch von staatlicher Seite finanziert und es erschienen Produktionen wie „Alkohol, Sexualität und Kriminalität“ und „Wie sag' ichs meinem Kinde?“ von der Pan-Film. Mit „Paragraph 144“ wurde auch der Schwangerschaftsabbruch in einer Filmproduktion thematisiert. Als Regisseur diente in vielen dieser Aufklärungsfilme Leopold Niernberger, unter Mithilfe von gelehrten Professoren. 1930 starb die Schauspielerin und Tänzerin Anita Berber, die bis dahin in Wiener Varietés feuchtfröhlich mit halb nackten oder nackten Auftritten für Aufsehen sorgte. Dokumentiert wurde dies 1923 im heute nicht mehr erhaltenen Film „Tänze des Grauens und Lasters“. Bereits 1920 ließ Sascha Kolowrat-Krakowsky im Wiener Prater, westlich der Rotunde, die Filmstadt „Alt-London“ erbauen. Dort drehte Alexander Korda „Prinz und Bettelknabe“, basierend auf einem Roman Mark Twains. 1922 erhielt Alexander Kordas Produktion „Eine versunkene Welt“ in Mailand sogar einen Filmpreis. 1922 erschien der Monumentalfilm „Sodom und Gomorrha“, produziert von der Sascha-Film Sascha Kolowrat-Krakowskys. Für die Regie engagierte er Michael Curtiz. Konnte der Film zwar nicht durch seine oft undurchsichtigen Handlungsstränge bestechen, so war es zumindest die aufwändigste Produktion die je in Österreich hergestellt wurde. Für die gigantischen, eigens für den Film erbauten Kulissen, musste man die Dreharbeiten sogar von den Filmstudios in Sievering auf den Laaer Berg verlegen. Hinzu kamen Tausende Komparsen sowie rund tausend Mitarbeiter hinter den Kulissen. In „Die Sklavenkönigin“ teilte man 1924 mitten in Wien das Rote Meer. Dank tricktechnischer Nachbearbeitung ist im Ergebnis die gigantische Holzkonstruktion, aus der von beiden Seiten auf ein Mal das gesamte Wasser ausgelassen wurde, nicht mehr zu erkennen. Als freizügig gekleidete Hauptdarstellerin trat María Corda in Erscheinung. Regisseur war abermals Michael Curtiz. Auch dieses Mal wurden weder Kosten noch Mühen gescheut und Tausende Statisten sowie aufwändige Kostüme und Kulissen eingesetzt. Mit Kosten von etwa 1,5 Milliarden Kronen war es einer der teuersten österreichischen Filme überhaupt. 1925 produzierte die Sascha-Film seine letzte Großproduktion - eine Koproduktion mit einer französischen Gesellschaft. Die Literaturverfilmung „Salammbô - der Kampf um Karthago“ wurde in Wien und im Sascha-Filmatelier in Sievering gedreht. Hauptdarstellerin war die Französin Jeanne de Balzac, die in aufwändigen, martialischen Kostümen, im zur Zeit der Punischen Kriege spielenden Film, in Erscheinung trat. Die Filmmusik schrieb Florent Schmitt, und die Filmkritik betonte, dass „die Musik dem Roman näher kam als der Film selbst“. 1925 wurde mit „Der Rosenkavalier“, basierend auf der gleichnamigen Oper, von der Pan-Film eine Großproduktion der anderen Art hergestellt. Der von Robert Wiene inszenierte Film spielte im barocken Wien und wartete mit unzähligen Kostümen, Perücken und etwa 10.000 Statisten auf. Für die Filmmusik, die separat auf einer Schallplatte aufgenommen wurde, stammte wie auch schon im Opernstück von Richard Strauss. Auch die Uraufführung fand wie das Opernstück in der Dresdner Semperoper statt. Nach den produktivsten Jahren 1921 und 1922 begann ab 1923 die Filmproduktion wieder rasant abzunehmen. 1924 wurden nur 32 Filme produziert, waren es 1922 noch rund 130 gewesen. Die aufwendigen Monumentalfilme waren lediglich der finanzielle Höhepunkt dieser Zeit, denn längst machten US-amerikanische Filmproduktionen den österreichischen immer stärkere Konkurrenz in den Kinos. Die US-amerikanische Filmindustrie spielte die Produktionskosten in den Vereinigten Staaten herein und konnte danach ihre Filme weltweit zu Niedrigstpreisen auf den Markt werfen. Da die Qualität der amerikanischen Filme nicht zuletzt durch stetige Immigration von europäischen Filmschaffenden und deren Wissen konstant zugenommen hatte, während die europäische Filmindustrie im Ersten Weltkrieg qualitativ beinahe stillstand, hatte man den US-Produktionen nur noch wenig entgegenzusetzen. 1925 erreichte die US-amerikanische Filmflut, die bereits den französischen, britischen und italienischen Film lahmgelegt hatte, auch Österreich. In diesem Jahr wurden von der Zensurbehörde 1200 US-Produktionen zum Import zugelassen, während in Österreich nur noch 35 Spielfilme, in den mittlerweile technisch bestens eingerichteten Ateliers, produziert wurden. Der Filmbedarf der 750 österreichischen Kinos wurde jedoch auf lediglich 300 bis 350 Filme geschätzt. Zahlreiche Produktionsgesellschaften schlossen zu dieser Zeit, und etwa 3.000 Filmschaffende (direkt wie indirekt vom Film abhängig) wurden arbeitslos. Zur gleichen Zeit stieg jedoch die Zahl der Verleihfirmen auf etwa 70 an, wobei kleinere österreichische Verleiher ebenso zu Grunde gingen, wie die Filmproduktionsgesellschaften. Aus diesem Anlass rief der Filmbund Anfang Mai zu einer Demonstration auf, der sich rund 3.000 Künstler, Musiker, Artisten, Arbeiter und Angestellte sowie Gewerbetreibende der Filmbranche anschlossen. Darunter auch Größen wie Sascha Kolowrat-Krakowsky, Jacob und Luise Fleck, Walter Reisch, Magda Sonja, Michael Curtiz, Hans Theyer und viele andere. Die Demonstration zog ausgehend von der Neubaugasse über die Mariahilfer Straße zum Parlament. Dies machte die Bundesregierung auf die Existenzbedrohung der österreichischen Filmwirtschaft aufmerksam, und bereits am 19. Mai trat ein Filmkontingentierungsgesetz in Kraft, das unter anderem Einfuhrquoten für ausländische Filme vorsah. Zwar war die Zeit der Massenproduktionen dennoch vorbei, aber der Fortbestand der heimischen Filmindustrie, wenn auch in abgespeckter Form, war somit gesichert. Trotzdem übersiedelten die meisten österreichischen Filmschaffenden endgültig nach Berlin - das „Hollywood Europas“. Lediglich die Sascha-Film, mit dem Familienvermögen Sascha Kolowrat-Krakowskys im Hintergrund, vermochte noch Großproduktionen herzustellen. Stummfilmproduktion kurze u. lange Spielfilme Jahre Anzahl 1906 - 1914 130 1914 - 1918 180 - 190 1919 - 1922 522 - 537 1923 - 1930 180 - 190 Total: 1012 - 1047 1926 erschienen neben 19 Spielfilmen auch die Filmzeitschrift Mein Film, die fortan, bis zur Einstellung 1956, eine der einflussreichsten Wiener Filmzeitschriften war. 1925 produzierte die Sascha-Film Das Spielzeug von Paris mit der französischen Schauspielern Lily Damita in der Hauptrolle. Der Film bestach durch die Fülle prachtvoller Abendkleider, deren Hersteller in den Filmzeitschriften nicht zu erwähnen vergessen wurden. Bekannte Filmdarsteller wurden damals häufig werbewirksam mit Kleidung lokaler Modehäuser ausgestattet. 1927 stellte Sascha-Film Die Pratermizzi her. Ein vorprogrammierter Erfolg, angesichts der Tatsache, dass die Sascha-Film der einzig verbliebene Großproduzent Österreichs war. Regisseur war Gustav Ucicky und Hauptdarstellerin die „Säuferin großen Stils“[4], die US-Amerikanerin Nita Naldi. 1927 folgte der Film Café Elektric, für welchen der inzwischen schwer krebskranke Sascha Kolowrat-Krakowsky Willi Forst und Marlene Dietrich als Hauptdarsteller entdeckte. Regie führte abermals der ehemalige Kameramann Gustav Ucicky, der sich bei Die Pratermizzi behaupten konnte und so Sascha Kolowrat-Krakowskys Vertrauen erlangte. Willi Forst spielte glaubwürdig einen Unterweltganoven, entfaltete aber erst in den Tonfilmen seinen sympathischen Charakter. In Deutschland gelang 1927 dem für die Ufa arbeitenden österreichischen Regisseur Fritz Lang mit dem sozialkritischen Science-Fiction-Klassiker Metropolis ein Film von Weltgeltung. Es war zudem der teuerste Film den die Ufa jemals finanziert hatte, was die Filmgesellschaft vorübergehend auch in finanzielle Bedrängnis brachte. In diesem Jahr verfügte Wien über 170 Kinos mit 67.000 Sitz- und 308 Stehplätzen. Dabei fassten nur vier Wiener Kinos mehr als 1000 Personen, das Gros der anderen Wiener Kinos fasste zwischen 200 und 400 Personen. In Wien wurde 1926 die Kinobetreibergesellschaft Kiba gegründet. Deren primäre Aufgabe war der Aufkauf und Betrieb von Kinos, um die sozialdemokratischen Interessen innerhalb Wiens zu stärken. 1927 erschienen 21 österreichische Spielfilme, 1928 stieg die Zahl auf 28 an. 1929 erschienen 23 Stummfilme und der erste Tonfilm, und 1930 13 Stumm- und 4 Tonfilme. Darunter der mit deutsch-nationalen Sprüchen in den Zwischentiteln aufwartende Stummfilmoperette Erzherzog Johann von Regisseur Max Neufeld. Mit Das Schicksal derer von Habsburg war zu dieser Zeit ein weiterer Film über die Habsburger zu sehen. In dieser deutschen Produktion spielte Leni Riefenstahl die Geliebte von Kronprinz Rudolf, Mary von Vetsera. 1928 ging der 21-jährige Wiener Alfred Zinnemann nach einer Kameraausbildung in Paris als Kameraassistent nach Berlin. Schon 1929 zog es ihn nach Hollywood, wo er als Regisseur und Produzent bald Karriere machte und mehrere Oscars gewann. 1929 setzte sich in neorealistischer Manier Fritz Weiß in seinem Film Vagabund für die soziale Stellung von Landstreichern ein. Darin wirkten auch die noch jungen Schauspieler Walter Edhofer, Paula Pflüger und Otto Hartmann. Verwendet wurden auch Aufnahmen aus dem realen Leben. Fritz Weiß orientierte sich in diesem Werk stark am sowjetischen Revolutionsfilm, den er genau studiert hatte. Hauptartikel: Geschichte des frühen österreichischen Tonfilms In der Tonfilmära konnte sich der „Wiener Film“ voll entfalten. Diese Musik- und Komikerfilme waren geprägt vom Wiener Schmäh und abgeschwächter Verwendung des Wiener Dialekts, und erfreuten sich nicht zuletzt auch daher großer Beliebtheit im deutschsprachigen Ausland, da sie mit romantischen, wohl aber auch verklärten Sujets, aus dem Wien der Kaiserzeit aufwarteten. Dies taten die Filme selbst dann noch, als bereits Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, und zuletzt auch der Austrofaschismus den österreichischen Alltag beherrschten. Zudem konnten im Tonfilm erstmals die einzigartigen Charaktere und Komiker des Wiener Kabaretts und Theaters voll zur Geltung kommen - spielte hier der Wortwitz und die Ausdrucksweise seit jeher eine größere Rolle als etwa die Mimik und Gestik. Einige der Stars des Wiener Films waren Paula Wessely, Attila Hörbiger, Rudolf Carl, Fritz Imhoff, Leo Slezak, Magda Schneider und Willi Forst, der sowohl als Schauspieler als auch als Regisseur von Bedeutung war. Die bekanntesten Vertreter des Komikerfilms waren die gegensätzlichen Hans Moser und Szöke Sakall. Während Hans Moser seine Schauspielerkollegen häufig durch sein sprachlich und mimisch einzigartiges, natürliches Auftreten an die Wand spielte, glänzte Szöke Sakall mit einem intellektuell bissigen bis sadistisch-aggressiven Humor. Mit dem Max-Reinhardt-Seminar-Abgänger Richard Romanowsky fand sich noch ein weiterer Komiker unter den Schauspielgrößen des frühen Tonfilms. Der Musik- und Komikerfilm, der sich gegen sämtliche andere Genres durchsetzte, wurde aber auch von verschiedenen Seiten kritisiert. So forderte etwa Friedrich Schreyvogel „Dichter an die Filmfront“, da dadurch wieder mehr Persönlichkeit und Einfall in das Filmschaffen käme[5]. In den 30er Jahren wurden alle Filme in den verschiedenen Ateliers der Tobis-Sascha oder der Selenophon Licht- und Tonbildgesellschaft hergestellt. Die größten Auftraggeber und Filmverleiher, abgesehen vom hauseigenen Sascha-Filmverleih, der die Eigenproduktionen vertrieb, waren Hugo Engel, Robert Müller, Allianz, Lux, Kiba, Lyra-Film, Mondial oder auch Universal. Tonfilmproduktion abendfüllende Spielfilme Jahr Anzahl 1929 1 1930 4 1931 9 1932 11 1934 18 1935 27 Bis 1930 wurden noch hauptsächlich Stummfilme hergestellt, da sowohl Kinos als auch Filmproduzenten noch nicht auf Tonfilmgeräte umgestellt hatten. Die ersten Kurztonfilme ausländischer Produktion erreichten Österreich am 8. Juni 1928, wo sie in der Wiener Urania mit großem Erfolg aufgeführt wurden. Diese Filme wurden nach dem Tri-Ergon-Verfahren der Erfinder Massolle, Vogt und Engel nach einem deutschen Lichttonverfahren aufgeführt. Der erste abendfüllende Tonfilm erreichte Österreich am 21. Jänner 1929 - im Wiener Central-Kino in der Taborstraße. Es war Alan Gordons „Der Jazzsänger“, welcher in den USA bereits am 23. Oktober 1927 premierte, und in Österreich unter dem Titel „Der Jazzsänger“ lief. Der Ton wurde synchron zum Film auf einer Schallplatte abgespielt. Erste Versuche der Tonfilmherstellung in Österreich wurden im Sommer 1929 mit dem Lichttonverfahren „Selenophon“ durchgeführt. Die Premiere des ersten österreichischen Tonfilms - „G'schichten aus der Steiermark“ - fand am 23. August 1929 in Graz statt. Verwendet wurde allerdings das Ottoton-System des Regisseurs Hans Otto Löwenstein. Ein Großteil der ersten österreichischen Kurztonfilme dieses Jahres beschränkte sich noch auf das Einsetzen von plumpen Geräusch- und Musikeffekten. Darauf folgten Kabarettsketche, wie etwa „In der Theateragentur“ aus dem Jahr 1930. In jenem Jahr stieg die Tonfilmproduktion auf 4, 1931 auf 9, 1932 auf 11 und auf 18 im Jahr 1934. Die schlechte finanzielle Ausstattung der nach der großen Krise Mitte der 1920er Jahre verbliebenen Filmproduktionsgesellschaften begünstigte zahlreiche Koproduktionen mit Ungarn, der Tschechoslowakei, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Bis 1933 erschienen durch Anwendung des Selenophon-Verfahrens auch mehrere Spielfilme, wie zum Beispiel „Mikrophon auf Reisen“ von der RAVAG-Film der Radio-Verkehrs-AG - dem Vorgänger des heutigen ORFs. Nachsynchronisiert wurde unter anderem der Monumentalfilm „Die Sklavenkönigin“ aus dem Jahr 1924. Unter dem Druck der Nazi-Diktatur fand das Selenophon-Verfahren zugunsten der Tobis-Klangfilm endgültig sein Ende. Im gut situierten heimischen Filmverleih spezialisierten sich die Unternehmen hingegen auf die Anbringung von Untertiteln in den importierten fremdsprachigen - hauptsächlich aus den USA stammenden - Produktionen. 1930 erlangte Attila Hörbiger in „Der unsterbliche Lump“ an der Seite seines zwei Jahre älteren Bruders Paul seine erste Filmrolle. Zur selben Zeit schrieb der zuerst als Journalist in Wien tätige, und später als Drehbuchautor nach Berlin gezogene Samuel Wilder mit „Menschen am Sonntag“ sein erstes verfilmtes Drehbuch. 1931 folgte das Drehbuch zur Erstverfilmung von „Emil und die Detektive“, das er gemeinsam mit Erich Kästner schrieb. Bei diesem von Gerhard Lamprecht inszenierten Film handelte es sich um einen der ersten Real-Kinderspielfilme mit Ton. 1931 erschien mit dem Südtiroler Luis Trenker in der Hauptrolle der Film „Berge in Flammen“. Ein Film des für die Ufa in Deutschland arbeitenden österreichischen Regisseurs Karl Hartl, der 1938 auch Produktionsleiter der Wien-Film wurde. Als Hauptdarsteller in der deutschen Produktion „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ gelang in diesem Jahr auch dem aus der heutigen Slowakei stammenden Österreicher Peter Lorre der Durchbruch. 1931 erlangte der Komiker Karl Farkas seine ersten Filmrollen in „Justizmaschine“ und „Unter den Dächern von Wien“, welcher der französischen Produktion „Unter den Dächern von Paris“ nachempfunden war. Die bereits in den 1920er Jahren zu einer Kopier- und Einfärbeanstalt im Verbund des damaligen Kolowrat-Filmimperiums verkommene Sascha-Film-Fabrik in Wien geriet im Zuge der Umstellung der Filmproduktion von Stumm- auf Tonfilm in eine schwere Krise die 1930 zum Ausgleich führte. Nach Fertigstellung des ersten abendfüllenden Tonfilms der Sascha-Film 1930 („Geld auf der Straße“) sollte das Unternehmen liquidiert werden. Doch ein neues Konsortium erklärte sich bereit die Gesellschaft weiterzuführen. 1932 wurde das Unternehmen von den Gebrüdern Pilzer übernommen, und wenig später, nach Einstieg der deutschen Tobis Tonbild-Syndikat AG, wurde die Produktionsgesellschaft in „Tobis-Sascha-Filmindustrie AG“ umbenannt. 1931 erschien Otto Premingers erster Film: „Die große Liebe“ mit Hansi Niese, Attila Hörbiger und Betty Bird in den Hauptrollen. Die hohe Arbeitslosigkeit der 1930er Jahre beeinflusste auch das Filmschaffen. So standen 1932 sowohl in Max Neufelds „Sehnsucht 202“ als auch in „Scampolo“ von Hans Steinhoff Arbeitslose im Mittelpunkt. In „Scampolo“ wirkten Dolly Haas und Paul Hörbiger als Hauptdarsteller. Billy Wilder schrieb das Drehbuch. Es war neben „Madame wünscht keine Kinder“ aus dem Jahre 1933 das einzige Drehbuch das Billy Wilder für einen österreichischen Film schrieb. Mit „Hexer“ (1932) nach Edgar Wallace mit Paul Richter als Inspektor und „Unsichtbare Gegner“ (1933) mit den Schauspielgrößen Raoul Aslan, Paul Hartmann, Oskar Homolka und Peter Lorre seien auch zwei erfolgreiche Kriminal- und Spionagefilmproduktionen des frühen Tonfilms in Österreich genannt. Regisseur der beiden Filme war Rudolf Katscher, der später in Großbritannien als R. Cartier Karriere machte. Von den Schauspielern wanderte neben Peter Lorre auch Oskar Homolka wenig später in die Vereinigten Staaten aus. Auch die politischen Parteien wussten die Möglichkeiten des Tonfilms zu nutzen. So ließ die Sozialdemokratische Partei zwei Filme herstellen: „Das Notizbuch des Mr. Pim“, in dessen Verlauf ein konservativer Amerikaner vom „Roten Wien“ überzeugt wird und „Die vom 17er Haus“ von Artur Berger, ein sozialutopischer Film, der für die Landtagswahl 1932 produziert wurde. Dies war auch der letzte Film der SPÖ vor dessen Verbot im Ständestaat. Der Film endet mit dem Aufruf „Seid gescheit! Das rote Wien siegt! Wählt sozialdemokratisch!“. 1933 wurde das „Lehrinstitut für Tonfilmkunst“ am Bauernmarkt - wo einst die Wiener Kunstfilm über Ateliers verfügte - in Wiens 1. Bezirk gegründet. Als Lehrer fungierten fortan Größen des österreichischen Films wie Artur Berger, Karl Farkas, Heinz Hanus, Franz Herterich, Fritz Klingenbeck, Hans Theyer und andere. Von den 833 Kinos, die in Österreich 1934 bestanden, befanden sich 177 in Wien. Ab Anfang der 1930er Jahre entstanden nach den ersten Gehversuchen mit den neuen Möglichkeiten des Tonfilms richtige Sing- und Musikfilme mit bekannten Sängern dieser Zeit. So erschien 1933 „Abenteuer am Lido“ von Regisseur Richard Oswald mit den Sängern Alfred Piccaver, Nora Gregor und dem Komiker Szöke Sakall in den Hauptrollen. Der österreichische Musikfilm, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg in zahlreichen Musikkomödien seine Fortsetzung fand, wurde in diesen Jahren geboren. Zwar war damit auch das Schicksal der Kinomusiker besiegelt, doch entstand mit dem Fach des Filmkomponisten ein neuer Beruf. Von diesen war der Deutsche Willy Schmidt-Gentner ein begehrter Vertreter, für den Wien zur zweiten Heimat wurde. Einige erfolgreiche österreichische Komponisten, die auch in Hollywood Karriere machten, waren Hans J. Salter, Anton Profes und Robert Katscher. Mit dem Musikfilm verwandte Operettenfilme wurden jedoch noch eine Zeit lang hergestellt, so etwa „Frasquita“ unter der Direktion von Franz Lehár, „Im weißen Rössl“, „Ball im Savoy“ und „Frühjahrsspende“. Darin wirkten Opernstars wie Piccaver, Jeritza und Jarmila Novotna, Schauspielgrößen wie Franziska Gaal, Christl Mardayn, Hans Jaray und Hermann Thimig, sowie Komikergrößen wie Hans Moser, Heinz Rühmann und Rudolf Carl. In „Heut' ist der schönste Tag in meinem Leben“ sang der in Deutschland unerwünscht gewordene Joseph Schmidt unter der Regie von Richard Oswald, der wenig später nach Hollywood übersiedelte. In den von Henry Koster inszenierten Filmen „Das Tagebuch der Geliebten“, „Ball im Savoy“ und „Die entführte Braut“ zeichnete der beliebte Operettenkomponist Paul Abraham für die Musik verantwortlich. Auch die weinselige und sangesfreudige Tradition „Alt-Wiener“ Vorstadtvereine setzte sich im Tonfilm fort. Es erschienen Produktionen mit den teils für sich sprechenden Titeln wie „Das Lercherl vom Wienerwald“ (1931), „Wiener Zauberklänge“ (1931), „Lang ist es her“ und „Das Glück von Grinzing“. 1933 kehrte der Wiener Regisseur Wilhelm Thiele, der 1930 mit „Die Drei von der Tankstelle“ bekannt geworden war, aus Berlin zurück. Für „Großfürstin Alexandra“ konnte er den Operettenstar Maria Jeritza für ihre einzige Filmrolle gewinnen. Opernsänger Leo Slezak, der gerade seine zweite Karriere als Komiker und Charakterdarsteller beginnt, spielte den männlichen Nebenpart. Im selben Jahr erschien mit „König Pausole“ auch eine Koproduktion mit Frankreich - mit Emil Jannings in der Hauptrolle - und eine Koproduktion mit Ungarn: „Rakoczimarsch“. Als „Unser Kaiser“ fungierte in diesem Jahr Karl Ehmann neben Hansi Niese als Frau eines Oberförsters. Regie führten Jakob und Luise Fleck. 1933 erschien „Leise flehen meine Lieder“, vom nun ins Regie-Fach gewechselten Willi Forst. Diese Verfilmung eines Werkes von Franz Schubert war Startschuss für eine Fortsetzung der erfolgreichen Schubert-Verfilmungen aus vergangenen Jahren. Kurz vor der Premiere des Films in Berlin war bereits Adolf Hitler an die Macht gekommen, und hatte gegen Österreich die Tausend-Mark-Sperre verhängt. Die englische Fassung erschien 1934 unter dem Namen „The Unfinished Symphony“. Da eine Synchronisation damals technisch noch nicht möglich war, wurde dieser Film mit leicht veränderter Besetzung nachgespielt. Die erste Synchronisationsmöglichkeit (Dubbing) wurde in Wien durch die Selenophon erst 1937 vorgestellt. 1933 und 1934 erschienen mit „Opernring“ mit Sänger Jan Kiepura, „Karneval der Liebe“ mit Hans Moser und Hermann Thimig und „Burgtheater“ von Willi Forst weitere erfolgreiche Musikfilmproduktionen. In „Zauber der Bohème“ aus dem Jahr 1937 spielte Jan Kiepura an der Seite seiner Frau Marta Eggerth, die 1933 auch in „Leise flehen meine Lieder“ und 1938 in „Immer, wenn ich glücklich bin“ ihr schauspielerischen Geschick unter Beweis stellte. In „Premiere“ spielte die im Theater an der Wien erfolgreich singende Schwedin Zarah Leander erstmals in einem Film mit. 1934 drehte der Regisseur Henry Koster, damals noch als Hermann Kosterlitz bekannt, mit der aus Ungarn stammenden Schauspielerin Franziska Gaal die beiden Filme „Peter“ und „Katharina, die letzte“. Die politisch instabile Situation in der jungen Republik Österreich führte 1933 zu einem Putsch von Engelbert Dollfuß und gipfelte 1934 im österreichischen Bürgerkrieg, in welchem Dollfuß seine Stellung festigen konnte. Unter dessen autoritäter Führung wurde die Meinungsfreiheit stark eingeschränkt und die Zensur in vielen Bereichen eingeführt. Diese Zeit ist aber auch gekennzeichnet durch den steigenden Einfluss und Druckausübung der Nationalsozialisten auf den österreichischen Staat und dessen Einrichtungen - auch kulturelle. Als Reaktion auf die politische Situation nahm in den 1930er Jahren der Anteil der Filme, die im Prater gedreht wurden, weiter zu. Denn die im Ständestaat offiziell nicht existenten gesellschaftlichen Brüche konnten im Prater, den Jung und Alt aus allen gesellschaftlichen Klassen besuchten, noch ansatzweise thematisiert werden. So entstand hier 1936 auch der Film „Prater“, der im Gegensatz zur Überzahl der Heimat- und Musikfilmproduktionen nicht mit aufwändigen Kostümen oder alpenländischer Tracht aufwartete, sondern mit schlichter Alltagskleidung des Österreichs der Gegenwart ausgestattet war. 1933 sorgte die Wiener Schauspielerin Hedwig Eva Maria Kiesler mit einer zehnminütigen Nackt- sowie einer Liebeszene im Film „Ekstase“ für einen Skandal. Der Wiener Rüstungsindustrielle Fritz Mandl, den sie noch im selben Jahr heiratete, verbot ihr daraufhin die Schauspielerei, worauf sie 1937 in die Vereinigten Staaten emigrierte und als Hedy Lamarr Karriere bei MGM machte. Ende 1933 wurden die Rosenhügel-Ateliers von der nunmehrigen Tobis-Sascha-Film erworben und neu adaptiert. Dort wurde 1934 mit „Maskerade“, der zum Aushängeschild des „Wiener Films“ werden sollte, ihr vorletzter Film hergestellt. In „Maskerade“ kam die erfolgreiche Theaterschauspielerin und spätere Grande Dame der deutschen Schauspielkunst Paula Wessely an der Seite von Adolf Wohlbrück, Hans Moser und Olga Tschechowa zu ihrer ersten Rolle und erlangte internationale Bekanntheit. An den Filmfestspielen von Venedig erhielt der Film einen Preis für das beste Drehbuch. 1935 wurde das Thema in den USA unter dem Titel „Escapade“ mit Luise Rainer neu verfilmt. Nach „Hohe Schule“ (1934) wurden die Studios nur noch vermietet, und Tobis-Sascha konzentrierte sich auf die Distribution von Filmen. Seit 1933 waren auch die Filmpioniere Jakob und Luise Fleck wieder aus Berlin nach Wien zurückgekehrt. Hier inszenierten sie 1935 gemeinsam mit einer tschechischen Produktionsgesellschaft „Czárdás“ (auch „Csardas“). 1937 inszenierten die beiden „Der Pfarrer von Kirchfeld“ mit Hans Jaray in der Hauptrolle neu. Der als Österreichpropaganda einzustufende Film wurde von der Kirche jedoch kritisiert, da die verbotene Liebe eines Pfarrers zu einer Frau thematisiert wurde. 1934 waren in Wien 13 Produktionsfirmen ansässig. Von den 300 Filmen, die in diesem Jahr anliefen, waren die meisten amerikanischer Herkunft, gefolgt von deutschen Produktionen. Lediglich 27 Filme wurden in Österreich produziert. Darunter die beiden Werbefilme für Österreich „G'schichten aus dem Wienerwald“, nach einer Vorlage von Maria Stephan mit dem beliebten Schauspieler-Ehepaar Magda Schneider und Wolf Albach-Retty inszeniert, und „Singende Jugend“ mit den Wiener Sängerknaben in den Bergen Tirols mit seiner neu errichteten Großglockner-Hochalpenstraße. Zu diesen gezielt zur Erreichung eines positiven Bildes von Österreich im Ausland hergestellten Filmen sind auch „Carneval in Vienna“ (1935), „Wie ein Franzose Wien sieht“ (1937) und „Wiener Mode“ (1937) zu zählen. Zur Darstellung Wiens als „Stadt der Liebe“ sollten auch „Eva“ (1935), „Sylvia und ihr Chauffeur“ (1935), „Rendezvous in Wien“ (1936) sowie „Silhouetten“ (1936) dienen. Gemeinsam mit den in den Alpen hergestellten Heimatfilmen sollten sie in den wirtschaftlich schweren und politisch instabilen Zeiten Touristen und Unternehmer aus dem englisch- und französischsprachigen Ausland anlocken, da der lebensnotwendige Touristenstrom aus Deutschland behindert wurde. Paula Wessely stand 1936 in „Ernte“, worin die „Wichtigkeit“ der katholischen Kirche hervorgehoben wird, erstmals gemeinsam mit ihrem späteren Mann und vielfachem Filmpartner Attila Hörbiger vor der Kamera. Es entstanden noch mehrere weitere Filme, teils mit Paula Wessely in einer der Hauptrollen, die der katholischen Kirche bzw. der katholischen Bundesregierung des österreichischen Ständestaates schmeichelten. Mit Beginn des Nazi-Regimes in Deutschland ergab sich für die im Tonfilm stark von Deutschland abhängige österreichische Filmindustrie eine neue Situation an die man sich anpasste, um nicht aus dem Geschäft gedrängt zu werden. Diese Entwicklung wurde durch permanente Druckausübung von deutscher Seite aktiv unterstützt und bestärkt. Nicht zuletzt deshalb, da viele deutsche Filmschaffende 1933 nach Österreich emigrierten, und somit Propagandaminister Joseph Goebbels' Verbot der Mitwirkung von Juden in der deutschen Filmindustrie umgingen. So etwa Henry Koster, der in Wien Komödien, u. a. mit Franziska Gáal, drehte, oder auch Paul Czinner, Elisabeth Bergner, Kurt Gerron sowie die Regimekritiker Werner Hochbaum und Erich Engel. Druckmittel waren vor allem in personalpolitischer und finanzieller Hinsicht gegeben, da Deutschland das wichtigste Exportland darstellte. Die - für Österreich ungünstigere - Quote des bilateralen Filmhandels musste jedoch jährlich neu verhandelt werden. Und seit Übernahme der Sascha-Film durch die im Besitz der nationalsozialistischen Cautio Treuhand befindliche Tobis im Jahre 1934 hatte Deutschland ein weiteres Druckmittel zur Behinderung des freien Filmschaffens in Österreich in der Hand. Da das fortgesetzte Filmschaffen emigrierte Deutscher in Österreich die Beschlüsse der Reichsfilmkammer wirkungslos machte, reagierte man mit der Androhung eines Importverbotes für österreichische Produktionen, sollten weiterhin Juden bei österreichischen Filmen mitwirken. Diese Drohung konnte nur durch Zugeständnisse von Oskar Pilzer, in der Rolle des Präsidenten der Wiener Filmproduzentenvereinigung, abgewendet werden. Doch 1936 konnten sich die Nationalsozialisten mit dem Druckmittel des Importverbotes österreichische Filme nach Deutschland doch noch durchsetzen. In Berlin kam es am 20. April zu einem Abkommen der Reichsfilmkulturkammer mit dem Bund österreichischer Filmindustrieller. Der nach Paris emigrierte Schriftsteller Joseph Roth bezeichnete dies im Neuen Pariser Tagebuch als nichts anderes als den „vollendeten ‚Anschluß‘ der österreichischen Filmproduktion an die deutsche“. Es war der Vollzug der im Jahr 1934 verschärften Neufassung des deutschen Reichslichtspielgesetzes für Österreich. Jüdische Mitarbeiter waren von nun an auch in der österreichischen Filmindustrie de facto verboten. Obwohl sich die österreichische Filmindustrie den deutschen Forderungen gebeugt hatten, erließen die Nationalsozialisten noch im selben Jahr, dass in Deutschland entstandene Erlöse nicht mehr nach Österreich rückgeführt werden dürfen. Dies führte dazu, dass österreichische Filmunternehmen zwar in Deutschland über Geld verfügten, in Österreich jedoch einer Pleite nahe standen. Daraus resultierte ein Stillstand der österreichischen Filmproduktion. Auch die Tobis-Sascha war von diesen Maßnahmen schwer betroffen. Über die Creditanstalt ging das Unternehmen 1937 zur Gänze an die Tobis AG über. 1938 wurde sie aufgelöst und als Wien-Film GmbH wiedergegründet. Nun forderten nicht mehr nur jüdische Filmschaffende, die 1937 Österreich noch nicht verlassen hatten, einen unabhängigen Österreichischen Film, sondern auch österreichisch-nationale Kreise. Die späte Erkenntnis trafen in den politisch einflussreichen Gremien jedoch auf immer weniger Gehör. Deutsche Propagandaproduktionen, „die das Dritte Reich als Paradies schildern“[6], wurden in Österreich immer mehr verbreitet, ohne das Österreich dem etwas entgegensetzen könnte. Ganz im Gegenteil waren nun auch österreichische Produktionen zusehends von derselben ideologischen Machart geprägt. Nur wenige Regisseure trauten sich in den 1930er Jahren noch an sozial- oder regimekritische Themen heran. Zu diesen wenigen gehörten die beiden aus dem nationalsozialistischen Deutschland geflüchteten Werner Hochbaum und Erich Engel. Zwar erreichten beide mit ihren Filmen nicht besonders viel Bekanntheit, doch waren sie eine einmal mehr, und einmal weniger deutliche Stellungnahme gegen falsche politische Autorität und Militarismus, die in den Kinos zu sehen war. Werner Hochbaums bedeutendster Beitrag war „Vorstadtvarieté“ (1935), basierend auf einer lange verbotenen Vorlage Felix Saltens. Der Film, der mit einem ungeahnten Realitätsbezug aufwartete, wurde im österreichischen Ständestaat teilweise zensiert. Die tragische Schlussszene, in der der von Luise Ullrich gespielte Charakter vom Zug überrollt wird, wird auf Intervention der Kinobesitzer durch eine nachgedrehte, unlogische Handlung mit Happy-End ersetzt. Ein weiterer kritischer Regisseur dieser Jahre war Erich Engel, der 1935 „...nur ein Komödiant“ mit Rudolf Forster in einer Doppelrolle sowie Christl Mardayn, Hilde von Stolz und Paul Wegener in weiteren Rollen inszenierte. Trotz seiner antiautoritären Handlung entging der gegen Faschismus gerichtete Film sowohl der österreichischen als auch der deutschen Zensur, was vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass der Film in der Zeit des Rokoko spielte. So kommt im Film eine Sequenz vor, in der der Staatsminister den Hauptmann dazu auffordert, die 70 unzufriedenen und rebellierenden Untertanen zu erschießen. In dieser die Auseinandersetzung zwischen Diktatur und Humanität darstellenden Szene kommt es daher zu folgendem Dialog, nachdem der Staatsminister den Hauptmann aufgefordert hatte, in die Menschenmenge zu schießen: Hauptmann: Das kann ich nicht! Staatsminister: Was soll das heißen? Herr Hauptmann, Sie haben meinen Befehl gehört! Hauptmann: Ich bin kein Mörder, ich bin Offizier! Staatsminister: Sie sind Offizier gewesen! Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland erlitt das Filmwesen aufgrund massiver Beschneidung der Meinungsfreiheit und Einführung einer strengen Zensur einen erneuten Rückschlag. Die Vertreibung und Tötung jüdischer, ausländischer und regimekritischer Bürger setzte ein, und nur Befürworter oder Anpassungswillige blieben zurück. Das Filmschaffen zur Zeit des Nationalsozialismus in Österreich war von der Herstellung von so genannten Kultur- und Heimatfilmen geprägt. Diese berichteten aus der Natur und vom ländlichen Leben. 60 solcher Filme wurden zwischen 1939 und 1944, als die letzte derartige Produktion entstand, produziert. Dem gegenüber stand die Produktion von rund 50 Spielfilmen. Bei diesen handelte es sich um scheinbar gewöhnliche Komödien oder Historienfilme aus dem alten Wien und dessen Musikwelt. Diese transportierten jedoch teils unterschwellig, teils offensichtlich, nationalsozialistisches Gedankengut mit sich. So stärkten diese Filme nicht nur antisemitische Vorurteile, sondern spotteten auch über Demokratie, andere Völker, und häufig auch über die Habsburger-Monarchie, wozu es in den vielen Filmen, die in den letzten Jahren der Donaumonarchie spielten, zahlreiche Gelegenheiten gab. Durch die Produktionen der nun als Wien-Film in Erscheinung tretenden Tobis-Sascha-Film wurde Wien neben Berlin und München zu einer Hauptstätte der Filmproduktion. Klassische Propagandafilme wurden in Wien allerdings nur wenige hergestellt, da das aus Berlin vorgegebene Motto bei der Filmherstellung Kraft durch Freude lautete. Neben der Wien-Film existierten nur noch wenige, kleine Produktionsgesellschaften, die jedoch allesamt vertraglich eng mit der Wien-Film verbunden waren. Freies, unabhängiges Filmschaffen, gab es nicht mehr. Das Importverbot für ausländische Filme führte zudem dazu, dass das gesamte Filmwesen des Deutschen Reiches, effizient und klar strukturiert wie es war, hochprofitabel arbeitete. Die Produktion von Filmen, gelenkt vom Reichspropagandaministerium, beschränkte sich im Wesentlichen auf die Herstellungen von Komödien und Heimatfilmen mit „Ostmark“-Bezug. Der Blick zurück in die Operettenwelt bot eine willkommene Gelegenheit für die Regisseure nicht plumpe Propagandafilme herstellen zu müssen, was jedoch Antisemitismus und andere politische Botschaften in den Filmen nicht ausschloss. Die unterhaltsamen Produktionen eigneten sich zudem zum Export. Eine Wien-Film-Spezialität zur Flucht aus der Gegenwart war auch die Aufbereitung von Schicksalen Wiener Musiker und Dichter. Als Fortsetzung des Wiener Films der 1930er Jahre inszenierten Willi Forst und Kollegen Komödien und Musikfilme aus 300 Jahren Wiener Kulturgeschichte. Bereits kurz nach dem Einmarsch, am 12. März 1938, ersetzte die UFA-Tonwoche alle bisherigen österreichischen Wochenschauen und berichtete am 15. März in voller Breite vom „Siegeszug“ Adolf Hitlers nach Wien und von den begeisterten Massen, die nun bessere Zeiten nach den Jahren der Massenarbeitslosigkeit erhofften, bei den Truppenparaden. Zur Absegnung des bereits vollzogenen Anschlusses Österreichs an Deutschland wurde am 10. April eine Volksabstimmung abgehalten. Im Vorfeld wurde eine alles umfassende Werbekampagne durchgeführt, zu welchem Zwecke auch Filmstars wie Paul Hörbiger eingespannt wurden, die aus „eigener Überzeugung“ für ein „Ja“ warben. Filmzeitschriften wie die beliebte Publikumszeitschrift „Mein Film“ rechtfertigten den Anschluss mit der Begründung, der österreichische Film sei deutsch, und schon immer deutsch gewesen[7]. In den ersten Gefangenentransporten nach Dachau befanden sich auch der Kämpfer für den wertvollen Film, Dr. Viktor Matejka. Der Kulturhistoriker, Kritiker und Schauspieler Egon Friedell beging hingegen am 16. März 1938 Suizid. Am 30. Oktober 1939 wurde die Verordnung über den Sicherheitsfilm erlassen, da die Filme bis dahin noch aus dem leicht entflammbaren Nitrofilmmaterial bestand. Ab 1. April 1940 durften Filmkopien nur noch auf Sicherheitsfilm hergestellt werden. Aufgrund des Krieges konnte dies allerdings nicht umgesetzt werden, weshalb auch die Produktionen der Wien-Film nur auf dem leicht zersetzbaren Nitrofilm erhalten waren, und erst bis zum Jahr 2000 vom Filmarchiv Austria weitgehend auf Sicherheitsfilm umkopiert werden konnten. Die Rassenideologien der Nationalsozialisten hatten weitreichende Auswirkungen auf das österreichische Kino- und Filmverleihwesen. Noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 waren rund 90 % der Filmverleiher und 50 % der Wiener Kinobesitzer jüdischen Glaubens. Sämtliche jüdische Kinobetriebe, die nicht bereits vor dem Anschluss Österreichs an Deutschland vertrieben wurden, wurden binnen weniger Tage „arisiert“. Zu Beginn des Jahres 1942 wurden umfangreiche interne Umstrukturierungen in der UFA vorgenommen. Der zentrale Verleih der Filme war in Berlin, und auch die anderen Bereiche, wie etwa die Kinos, wurden wirtschaftlich und organisatorisch total auf Berlin konzentriert. Personal- und Materialverknappung erforderten zudem äußerste Sparsamkeit, wovon die Öffentlichkeit jedoch nichts erfahren durfte. Filme durften nicht länger als 2500 Meter sein, und nicht mehr als eine Million Reichsmark kosten. Auch die bisher enorm hohen Gagen für die Filmschaffenden wurden gesenkt. Im Februar 1943 erreichte die Filmschaffenden die Warnung, keine falschen Meldungen über den Stand des Krieges zu verbreiten. Gefängnis- und Todesstrafe waren angedroht. Ein Monat später wurde eine Verordnung verabschiedet, nur noch Mindestgehälter auszubezahlen. Noch vor der Vollendung der Umstrukturierungen im österreichischen Filmwesen durfte der anerkannte Regisseur E. W. Emo zwei Filme in eigener Produktion herstellen. Die Emo-Film brachte im Herbst 1938 die beiden Lustspiele „Der Optimist“ mit Viktor de Kowa und „Dreizehn Stühle“ mit dem Komikerduo Heinz Rühmann und Hans Moser heraus. Auch bei der ersten Wien-Film-Produktion, die im März 1939 erschien, führte E. W. Emo Regie: „Unsterblicher Walzer“ entstand in den Rosenhügel-Studios und handelte in bester Wiener Musikfilm-Tradition von Johann Strauß. Noch vor der ersten Wien-Film Aufführung erschien die 1938/1939 von der „Mondial Film“ in den Rosenhügel-Studios gedrehte Produktion „Hotel Sacher“ unter der Regie von Erich Engel. Der Inhalt war eine Liebesgeschichte sowie eine Spionage-Affäre in den Jahren 1913 und 1914. Hedwig Bleibtreu mimte die „Frau Sacher“ und als seltene Gäste in Wien spielten Sybille Schmitz und Willy Birgel ebenfalls in diesem keineswegs unpolitischen Film - betreibt er doch Vergangenheitsbewältigung mit nationalsozialistischem Akzent[8] - mit. 1939 gelangte auch die Wienerin Marte Harell über ihren Mann, den Wien-Film-Leiter, Karl Hartl zum Film. Sie beginnt ihre Karriere gleich mit einer Hauptrolle - in der Opernball-Verfilmung von 1939. Ihre Paraderolle liefert die stets im Wiener Dialekt sprechende Schauspielerin 1944 im Wiener Liebesfilm „Schrammeln“ ab. Der erste Film Gustav Ucickys bei der Wien-Film hieß „Mutterliebe“ und erschien 1939 in den Kinos. Hauptdarstellerin war Käthe Dorsch, die dem Idealbild der „deutschen Mutter“ ein Denkmal setzen sollte. Ernst Marischka schrieb 1940 das Drehbuch zu „Wiener G'schichten“. Inszeniert wurde der Film von Géza von Bolváry. Die Texte zu den beiden bekannten Liedern aus diesem Film, „Ja, das sind halt Wiener G'schichten“ und „Der Wiener braucht sein Stammlokal“ stammten von Ernst Marischka. In Ersterem findet sich auch eine Strophe, die seltene versteckte Kritik an den Nationalsozialisten aufweist: „Der Münchner trinkt, wenn er an ‚Zurn‘ hat, eine Maß Bier aus, der Berliner schreit laut, 's hört man fast von hier aus! Der Wiener geht in sein Café bei schlechter Laune, und beim ersten Braunen lacht man schon.“ 1941 erging in einem Rundschreiben an die Filmschaffenden der Wien-Film eine Verordnung bezüglich Darstellungen in Filmen: Verboten war: * rauchende Personen * Karikierung eines Lehrers * Habsburger * K.u.k.-Uniformen * kinderlose Ehen * Berlin von negativer Seite * Berliner Dialekt sprechende Personen * Film im Film * uneheliche Kinder * Katastrophen Unerwünscht war: * Häufung von Zufällen * Spionage durch Wehrmachtsmitglieder * Namen wie Lehmann, Schulze, Müller, Meier, Krause, Anna, Emma, Berta, Marlies, August, Emil, Gustav Erwünscht war hingegen: * positive Darstellung eines Lehrers * kinderreiche Familien * gut klingende, schöne Namen Nur vereinzelt gelang es, weiter Meisterwerke zu schaffen, so etwa Willi Forst, dessen „Wiener Blut“ aus dem Jahr 1942 erstaunlich anti-deutsche Töne anschlug, die nicht nur retrospektiv als Kommentar zur politischen Lage gelesen werden konnten. Es war einer von nur vier Filmen die er für die Wien-Film herstellte, und zudem auch der erfolgreichste, der auch im Ausland viel besucht wurde. Ebenfalls sehr erfolgreich und genau den Geschmack des Publikums treffend war auch „Operette“ aus dem Jahr 1940. Paul Hörbiger spielte hierbei den Alexander Girardi, nachdem er in „Unsterblicher Walzer“ bereits Johann Strauß Vater gespielt hatte. In „Brüderlein fein“ (1942) und „Der liebe Augustin“ (1941) stellte er Franz Grillparzer dar. Für die Kamera zuständig war bei „Operette“ der bedeutendste Kameramann dieser Jahre: Hans Schneeberger. 1942 drehte auch Wien-Film-Produktionsleiter Karl Hartl seinen einzigen Film für die Wien-Film: „Wen die Götter lieben“ - eine Verfilmung von Mozarts Leben. Der meistbeschäftigte Drehbuchautor der Wien-Film war Gerhard Menzel. Er schrieb die Drehbücher für „Mutterliebe“ (1939), „Der Postmeister“ (1940), „Schicksal“ (1942), „Späte Liebe“ (1943), „Das Herz muß schweigen“ (1944), „Am Ende der Welt“ (1947) und andere. Diese Filme wiesen mit der Thematisierung von Opferbereitschaft, blindem Gehorsam und Treue in verschiedenen Milieus allesamt eine starke parteipolitische Orientierung auf. Menzel erfand die unwahrscheinlichsten Situationen und Zufälle, lediglich um „vorbildliche“ Menschen im Sinne der Nationalsozialisten zu zeigen. Bis auf „Der Postmeister“ konnten diese Filme mit ihren vielfach unrealistischen Handlungssträngen lediglich durch die Leistung ihrer Schauspieler Heinrich George, Hilde Krahl, Hans Holt, Siegfried Breuer, Käthe Dorsch, Paula Wessely, Attila Hörbiger, Ferdinand Marian und Rudolf Forster überzeugen. Der auf einer Novelle des russischen Literaten Alexander Sergejewitsch Puschkin basierende Film „Der Postmeister“ war auch daher eine außergewöhnliche Produktion, da die Sowjetunion plötzlich positiv dargestellt wurde, und Russen ausnahmsweise nicht als „verhasste Bolschewiken“, sondern als gewöhnliche Menschen dargestellt wurden. Dieser Sonderfall war allerdings genauso politisch motiviert, wie all die anderen Produktionen der Nationalsozialisten. Denn im Jahr 1940 bestand noch der Deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt. Als das Deutsche Reich dennoch den Überfall auf die Sowjetunion unternahm, wurde die Vorführung des Films umgehend verboten. Hans Moser, als beliebtester Komiker der damaligen Zeit, wurde in zahlreichen Filmen eingesetzt. Seine jüdische Frau Blanka überlebte den Nationalsozialismus abgeschoben in Budapest, wo sie Hans Moser gelegentlich besuchen durfte. In „Sieben Jahre Pech“ (1940) von der Styria-Film unter der Regie von Ernst Marischka sang Hans Moser das berühmte Lied „Ich muss im früheren Leben eine Reblaus g'wesen sein“. Der Film war so erfolgreich, dass 1942 eine Fortsetzung, „Sieben Jahre Glück“, gedreht wurde. Der beste Moser-Film dieser Jahre war jedoch „Meine Tochter lebt in Wien“ unter der Regie von E. W. Emo, der mit einer Szenenkomik wie bei der Commedia dell'arte aufwarten konnte. Er spielte hier erstmals gemeinsam mit dem ebenfalls sehr beliebten Paul Hörbiger. Auch in Österreich gab es einige Kulturfilmkinos, die außer der Wochenschauen lediglich Kulturfilme zeigten. Diese waren teilweise auch koloriert und zeigten Aufnahmen unter Namen wie „Abend am See“ oder „Blüten und Früchte“ - zwei Filme von Otto Trippel, der im Auftrag der Wien-Film tätig war. Weitere Vertragspartner der Wien-Film waren bei Kulturfilmen Herbert Dreyer, Adi Mayer, und Max Zehenthofer. Als Autoren und Spielleiter waren Ernst Holub, Ulrich Kayser, Constantin von Landau, Peter Steigerwald und Karl von Ziegelmayer tätig. Gedreht wurde in der gesamten „Ostmark“ sowie in Zusammenarbeit mit dem rumänischen Propagandaministerium auch in den Karpaten und im Donaudelta. So entstand etwa 1942 „Begegnung mit Pelikanen“ gemeinsam mit der rumänischen Filmgesellschaft O.N.C. Ebenfalls in Rumänien entstanden „Karpatenmelodie“ (1943) und „Dragus, ein rumänisches Karpatendorf“ (1943). Kooperationen waren auch mit Bulgarien und Griechenland geplant. 1939 und 1940 gestaltete der spätere Leiter der Filmabteilung im Propagandaministerium, Dr. Fritz Hippler, die beiden Dokumentarfilme „Feldzug in Polen“ und „Der ewige Jude“. An Heimatfilmen entstanden 1944 unter anderen „Heimat am Steilhang“, „Ein Tag in der Wachau“ und „Peter Roseggers Waldheimat“. Aus dem bäuerlichen Leben erzählten etwa „Hof ohne Mann“ (1942), „Der Landtierarzt“ (1943) und „Der letzte Einbaum“ (1944). Bergfilme waren zum Beispiel „Der Bergbach“ (1943), „Bergnot“ (1943) und „Salz der Berge“ (1944). Auch Psychologie zählte zum Themenkreis der Kulturfilme. 1943 entstand diesbezüglich „Die große Welt der Kinderaugen“. Zumindest in Wien waren die meisten Kulturfilmkinos täglich von früh bis spät ausverkauft, was bei Spielfilmen nicht die Regel war. Bei der Reichsfilmintendanz existierte das Sonderreferat Kulturfilm. 1944 wurden die letzten Kulturfilme bei der Wien-Film fertiggestellt. Seit 1939 waren es rund 60 gewesen. Die letzten Jahre der Donaumonarchie waren generell ein beliebter Zeitraum, in dem die Filme zur Zeit des Nationalsozialismus spielten. Hierbei wurde großangelegt über die „Unfähigkeit der Monarchie“ in jeglicher Hinsicht gespottet - sei es nun unfähiges Beamtentum oder der „zum Scheitern verurteilte“ Multinationalismus. So spielten auch die einzigen vier massiven Propagandafilme der Wien-Film zu dieser Zeit. Bereits 1939 erschien mit „Leinen aus Irland“ ein Film, der starke Ähnlichkeiten zu dem in Berlin gedrehten Propagandafilm „Jud Süß“ aufwies. Lediglich die Zeit - der Film spielte im Jahr 1909 - und das Milieu waren anders. Regie führte Heinz Helbig. Das Originaldrehbuch zu einer Komödie von Stefan von Kamare wurde von Harald Bratt zu einem antisemitischen Propagandadrehbuch umgeschrieben. Mit dem Prädikat „staatspolitisch und künstlerisch wertvoll“ wurde der Film in Berlin uraufgeführt. Die Produktion kostete 744.000 Reichsmark, welche innerhalb von zwei Jahren doppelt eingespielt wurden. 1941 spielte Hans Moser in „Liebe ist zollfrei“ einen Zöllner, der es ganz alleine und unbeabsichtigt schaffte, die Erste Republik ins Wanken zu bringen. Mit Spott und Hohn sollte hier auf die „nicht funktionierende“ Erste Republik und ihren „hilflosen Kanzler“, der von Oskar Sima gespielt wurde, eingegangen werden. Nebenbei machte man sich auch über die englische Sprache, das Schwyzerdütsch, und demokratische Systeme an sich lustig. Manche Filmforscher, wie auch der damalige Wien-Film-Produktionsleiter Karl Hartl retrospektiv, zählen diesen Film jedoch nicht zu den Propagandafilmen, sondern zu den gewöhnlichen Lustspielen der Wien-Film in der NS-Zeit. Ebenfalls 1941 wurde mit aufwändigen Kulissenaufbauten und Außenaufnahmen in Ostpreußen „Heimkehr“ unter der Regie von Gustav Ucicky gedreht. Der Film spielt vor dem Polenfeldzug der Reichswehr. Der Überfall auf Polen, der den Zweiten Weltkrieg auslöste, wird in diesem Film als Hilfsaktion ausgegeben und als Schicksalskampf gerechtfertigt. Die Hauptrollen spielten anerkannte charakterstarke Schauspieler wie Paula Wessely, Attila Hörbiger, Peter Petersen, Carl Raddatz, Ruth Hellberg, Elsa Wagner, Otto Wernicke, Gerhild Weber und Eduard Köck. Bei den Zuschauern sollte ganz im Sinne der offiziellen Politik der Eindruck erweckt werden, dass die Vernichtung des „Untermenschentums“ im Osten geradezu eine moralische Pflicht der Welt gegenüber wäre. Aus diesem Grund wurde der Film nach dem Angriff der deutschen Truppen auf die Sowjetunion in die Kinos gebracht. Der Film kostete 3,7 Millionen Reichsmark und war somit die teuerste Produktion der Wien-Film. Er spielte mit 4,9 Millionen jedoch einen deutlichen Überschuss ein. Der letzte bekannte Propagandafilm der Wien-Film hieß „Wien 1910“ und wurde 1943 hergestellt. Er handelte vom populären und antisemitischen ehemaligen Wiener Bürgermeister Karl Lueger, den Hitler schon in seinem Buch „Mein Kampf“ mit bewundernden Worten beschrieben hatte. Lueger wurde von Rudolf Forster gespielt, der eigens aus den USA zurückgekehrt war. Der Film präsentierte einen verzerrten Blickwinkel auf das damalige Wien und seine politischen Akteure. Für das Jahr 1943 war der Film den Entscheidungsträgern in Berlin jedoch zu volkstümlich und die Rolle Georg von Schönerers zu blass gezeichnet. Daher verbot man den Film, der immerhin fast 2,5 Millionen Reichsmark gekostet hatte, für die „Ostmark“. Gegen Kriegsende, nach Erklärung des „Totalen Kriegs“, spitzte sich die Bevormundung der Bevölkerung durch den Film weiter zu. Die Filme waren mehr denn je an aktuelle Notwendigkeiten angepasst. So erschien 1944 mit „Das Herz muß schweigen“ ein Film über die Röntgenforschung, der die Leistungen und Wichtigkeit der Ärzte in den Vordergrund rückte. Am 5. Oktober 1943 wurde im Wiener Filmtheater „Scala“ „Der weiße Traum“ uraufgeführt. Dies war einer der ersten „Eisrevue“-Filme und zugleich eine der berühmtesten Produktionen der Wien-Film. Bis Ende 1944 zählte der Film rund um die Hauptdarsteller und preisgekrönten Eisläufer Karl Schäfer und Olly Holzmann rund 25 Millionen Besucher. Mit „Reisebekanntschaft“, „Ferienkind“ und dem Styria-Film „Abenteuer im Grand Hotel“ erschienen auch 1943 weitere Hans Moser-Filme. In den Prager Barrandow-Ateliers arbeitete E. W. Emo seit 1943 an „Freunde“ - einem Film, dessen Produktion sich wegen laufender Zensurmaßnahmen in die Länge zog. Der Film erschien daher erst nach Kriegsende, im August 1945, in den Wiener Kinos. Im März 1944 wurde nach einem Drehbuch von Ernst Marischka und Hans Gustl Kernmayer die Geschichte des musikalischen Wiener Brüderpaars Johann und Josef Schrammel verfilmt. Regie führte Géza von Bolváry, die „Schrammeln“ wurden von Paul Hörbiger und Hans Holt gespielt. In diesem Film wurden wieder einmal seltene, versteckte, Seitenhiebe eingebaut. So etwa, als die „Fiakermilli“ den Josef Schrammel fragte: „Warum sind sie eigentlich so braun, ich meine so abgebrannt, ihr Garten ist doch ganz schattig?“ 1944 produzierte die Wien-Film einen der wenigen im Bauernmilieu spielenden Filme: „Uli und Marei“. Der Film spielte in Tirol, weshalb auch wieder einige Ensemblemitglieder der bekannten Innsbrucker Exl-Bühne mitwirkten. Regie führte Leopold Hainisch, der ebenfalls im Film mitspielte. Bis 1944 war die mundartliche Sprechweise der Darsteller in den Wiener Filmen allgegenwärtig. Erst dann wurden die deutschen Kritiker beachtet, die sich etwa über Hans Mosers Wienerisch beklagten: „So mag man Hans Moser auf der Bühne in Wien sprechen lassen. Ein Film aber soll überall gezeigt und verstanden werden, in Flensburg wie in Königsberg, in Düsseldorf wie in Berlin.“[9] Die Wien-Film musste reagieren, und so erging am 24. Mai 1944 an die Regisseure Willi Forst, Gustav Ucicky, Hans Thimig, Leopold Hainisch und Géza von Cziffra folgendes Rundschreiben: „Von unserer vorgesetzten Behörde werde ich darauf hingewiesen, mit besonderer Sorgfalt darauf zu achten, daß in unseren Filmen der Wiener Dialekt oder der Dialekt der Donau- und Alpenreichsgaue so abgestimmt wird, damit unsere Filme dem deutschen Publikum aller Stämme verständlich bleiben.“ 1944 inszenierte Géza von Cziffra die Komödie „Hundstage“ mit dem Paar Olly Holzmann und Wolf Albach-Retty. Im August 1944 meldete der seit März des Jahres neue Reichsfilmintendant Hans Hinkel an Joseph Goebbels, dass er 5300 der 10.200 Angehörigen der Spielfilmproduktion für Wehrmacht und Rüstung frei machen will. So wurden im Nachwuchs-Atelier am Bauernmarkt Nähstuben eingerichtet. Die Filmproduktion wurde enorm beeinträchtigt. Wien-Film-Direktor Franz Hirt versuchte sich gegen diese Maßnahmen zu wehren, blieb jedoch erfolglos. Von den 1453 Mitarbeitern der Wien-Film waren per 31. Jänner 1945 414 eingerückt oder zum Volkssturm dienstverpflichtet. Noch im Februar 1945 wurde Paul Hörbiger wegen vermeintlichen Verbindungen zu einer Wiener Widerstandsgruppe von der Gestapo verhört, und die Gehaltsauszahlung (6000 Reichsmark monatlich) ausgesetzt. Tatsächlichen Widerstand wagte man bei der Wien-Film allerdings nicht. Es blieb bei Seitenhieben auf das Nazi-Regime in mehreren Filmproduktionen, und bei zaghaften Versuchen, sich den Anordnungen aus Berlin zu widersetzen. Redundanz Die Artikel Österreichische Filmgeschichte und Geschichte des österreichischen Films der Nachkriegsära überschneiden sich thematisch. Hilf mit, die Artikel besser voneinander abzugrenzen oder zu vereinigen. Bitte äußere dich in der Diskussion über diese Überschneidungen, bevor du diesen Baustein entfernst. César 11:02, 19. Sep 2006 (CEST) Hauptartikel: Geschichte des österreichischen Films der Nachkriegsära Filmproduktion abendfüllende (Ton-)Spielfilme Jahr Anzahl 1946 2 1947 13 1948 25 1949 25 1950 17 1951 28 1952 19 1953 28 1954 22 1955 28 Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Befreiung vom Nationalsozialismus war Österreich von den Alliierten besetzt, und die Filmindustrie kam aufgrund der Kriegsfolgen wie Zerstörung, Armut und Hunger nur sehr schleppend wieder ins Laufen. Es fehlte etwa an Personal, Kohle zum Heizen und Rohfilmmaterial. Die Stromversorgung kam regelmäßig zum erliegen und die Lebensmittel waren rationiert. Viele Ateliers, Kinos, andere Gebäude und Straßen waren zerstört. Eine Orientierungs- und Ratlosigkeit in der Suche einer erfolgreichen österreichischen Filmdramaturgie kennzeichnete diese Jahre, in denen vielfach Erfolgsproduktionen der 1930er Jahre nachgeahmt wurden. Es entstanden jedoch auch Filme, die sich mit den vergangenen, durch Krieg und Antisemitismus geprägten, Jahren auseinandersetzten. Diese trafen jedoch häufig nicht den Geschmack des breiten Publikums. Selbst Regisseur Willi Forst spricht Ende 1947 von einem „Fiasko des Wiener Films“. Die Produktionen seien nicht mal durchschnittlich[10]. In diesen Jahren erschienen noch acht Filme, die während des Nationalsozialismus hergestellt, oder begonnen wurden - so genannte „Überläufer“. Nicht zuletzt wegen fehlender Höhepunkte der Filmproduktion der ersten Nachkriegsjahre fiel auch der Absatz und Vertrieb im Ausland schwer. Einzig in die Schweiz gelang der Export reibungslos. Noch 1946 war der Export von Filmen nach Deutschland fast unmöglich. Die Lage besserte sich um 1947 wieder. 1948 jedoch verhandelte Westdeutschland eine Einfuhrquote mit Österreich, die ein Verhältnis von 1:4 zugunsten Westdeutschlands vorsah. Ab 26. Oktober erschien die beliebte Filmzeitschrift „Mein Film“ wieder - jedoch nur in beschränktem Umfang, da es neben vielen anderen Gütern auch an Papier mangelte. Ab 1949 erschien „Filmkunst - Zeitschrift für Filmkultur und Filmwissenschaft“. Diese 1997 eingestellte Filmzeitschrift war die am längsten bestehende deutschsprachige Filmzeitschrift. Die größte Filmgesellschaft auf österreichischem Boden, die Wien-Film, wurde als „deutsches Eigentum“ von den Alliierten beschlagnahmt. Nachdem Wien in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden war, stand zudem fest, dass die Filmstudios in Sievering sowie die Zentrale in der Siebensterngasse der amerikanischen Verwaltung zugeordnet waren, während die Filmateliers am Rosenhügel im sowjetischen Sektor lagen. Die Sievering-Filmstudios sollten von den US-Amerikanern liquidiert werden. Die Vereinigten Staaten verfolgten das Interesse, den Hollywood-Produktionen keine Konkurrenz zu machen. Während die Sowjets von den Potsdamer Beschlüssen Gebrauch machten, und als Reparation sämtliche ehemals „deutsche“ Unternehmungen in ihrer Zone übernahmen, verzichteten die westlichen Besatzungsmächte USA, Frankreich und Großbritannien auf diese Maßnahme. Dies bedeutete für die neu gegründete Wien-Film, dass sie mit den Filmstudios in Sievering und Schönbrunn weiterarbeiten konnte, jedoch auf die Rosenhügel-Filmstudios verzichten musste. Diese wurden in die sowjetische USIA eingegliedert und als „Wien-Film am Rosenhügel“ von den Sowjets weiterbetrieben. Allen Schwierigkeiten zum Trotz wurden bereits 1946 erste Filmproduktionsgesellschaften gegründet - oder wiedereröffnet. So erstand Ende 1946 die „Sascha-Film-Verleih- und -Vertriebs-Ges.m.b.H.“ sowie die Sascha-Film wieder auf. Ebenfalls in diesem Jahr gründeten Elfi von Dassanowsky und Emmerich Hanus die Belvedere-Film - um den Wiener Musikfilm wiederauferstehen zu lassen. Am 3. Juli 1947 gründete Karl Hartl die Neue Wiener Filmproduktionsgesellschaft unter Patronanz der Creditanstalt, die auch an der Sascha-Film sowie an der vier Monate später gegründeten Österreichischen Filmgesellschaft m.b.H. (ÖFA) beteiligt war. Sitz war Salzburg, wo zwei Atelierhallen errichtet wurden. 1949 wurde in Graz die Alpin-Film-Ausria gegründet. Sie verfügte im Stadtteil Thalerhof über einen Hangar als Aufnahmehalle, die mit 80 x 40 Metern die damals größte Österreichs war. 1953 begann in Wels die Bergland-Film mit ihrer Produktionstätigkeit, die 1960 jedoch bereits wieder eingestellt wurde. Zur Verfügung stand ihr in dieser Zeit eine der Ausstellungshallen am Welser Volksfestgelände, welches zu einem Filmatelier umgestaltet wurde. 1954 gründete Erich Pochlatko die Epo-Film, die seither in Wien und Graz tätig ist. Im Gegensatz zu großen internationalen Filmproduktionsgesellschaften verfügten österreichische Filmproduzenten über keine langfristigen Absatzverträge. Für jeden Film musste die Prozedur der Sicherung der Absatzvertretung, der Aufbringung der finanziellen Mittel und die Anmietung der Ateliers neu geregelt werden. Auf diese ökonomisch nicht sehr effiziente Weise entstanden in der Regel jährlich nur ein bis zwei Filme pro Filmproduktionsgesellschaft. Heimische Filmproduzenten waren nicht ganz unverschuldet vollständig vom deutschen Verleih und Vertrieb abhängig. Denn um kein finanzielles Risiko einzugehen, richtete man die kommerziellen Heimatfilme und Komödien vielfach nach den Wünschen der deutschen Verleiher aus. Aus den kommerziellen Erfolgen heraus, die Anfang der 1950er Jahre vermehrt gelangen, entstand durchaus eine gewisse Finanzstärke der größten Wiener Produktionsgesellschaften. Dennoch wagte man sich kaum, etwas neues auszuprobieren, oder anspruchsvollere Filme herzustellen. Für Konflikte sorgten hierbei Abrechnungsmodalitäten und die jährlich neu zu verhandelnde Einfuhrquote nach Deutschland. Anfang des Jahres 1946 erhielt Marte Harell von den US-Besatzern die erste Filmproduktionslizenz, mit der sie sogleich die Produktion von „Glaube an mich“ startete. Der Film ersetzte die düstere Atmosphäre der Nazi-Heimatfilme durch größere Leichtigkeit und es kam zur Verbindung von Motiven des Heimatfilms mit jenen der Komödie. Das Drehbuch zu dieser von der „Loewen-Film“ produzierten Liebeskomödie stammte von Kurt Nachmann und Géza von Cziffra, der auch Regie führte. Als Kameramann fungierte Hans Schneeberger. Es war der erste österreichische Film, der in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gezeigt wurde. Die Kritiken standen dieser Liebeskomödie angesichts des zu jener Zeit schwierigen Lebensumfeldes ablehnend gegenüber. Am 27. September prämierte „Schleichendes Gift“ - ein Aufklärungsfilm der „Standard-Film“, der sich mit den vielfach auftretenden Geschlechtskrankheiten der Nachkriegsjahre auseinandersetzte. 1947 inszenierte J. A. Hübler-Kahla den Star-Film „Die Welt dreht sich verkehrt“. Hans Moser reist darin durch die Epochen der österreichischen Geschichte, um am Schluss zu erfahren: „Die gute Zeit liegt immer vor einem, und für die Tatsache, ob sie wirklich gut wird, sind nur wir selbst verantwortlich zu machen.“ Es war dies der erste Hans-Moser-Film nach 1945. Ebenfalls 1947 produzierte die Tirol-Film Innsbruck gemeinsam mit der Zürcher Omnia-Film „Erde“ nach Karl Schönherrs gleichnamiger Tragikomödie. Schauspieler der Exl-Bühne spielten darin unter der Regie von Leopold Hainisch. Auch die Komödie „Triumph der Liebe“ der Wiener Mundus-Film mit den Hauptdarstellern O. W. Fischer, Judith Holzmeister, Paul Kemp und Inge Konradi erschien 1947. Regie führte Alfred Stöger. Ebenso die erste Produktion der Belvedere-Film, „Die Glücksmühle“, unter Regie von Emmerich Hanus, sowie der von Géza von Cziffra inszenierte Film „Das unsterbliche Antlitz“. In „Seine einzige Liebe“ griff die Belvedere-Film ein altbewährtes Thema des österreichischen Films auf: Die Verfilmung des Lebens eines bekannten Musikers. In diesem Fall jenes von Franz Schubert, der von Franz Böheim gespielt wurde. In „Singende Engel“ von Regisseur Gustav Ucicky wirkten die Wiener Sängerknaben sowie Gustav Waldau als Joseph Haydn mit. Die Reaktionen der Kritik auf eine erneute Auflage solcher Musiker-Verfilmungen waren durchwegs, dass dies „nicht der richtige Weg der Wiener Filme“ sei. Wenig später jedoch erschien einer der größten Kinoerfolge der österreichischen Nachkriegszeit: In „Der Hofrat Geiger“, für die Forst Film von Willi Forst und Paul Hörbiger produziert, sang Waltraut Haas ein Lied, das zum Schlager der Jahre 1947 und 1948 wurde: „Mariandl“. Der in der Wachau spielende Film basierte auf einem musikalischen Lustspiel von Martin Costa und Hans Lang. Die Funktion des Films bestand darin, die Bewohner der zerbombten Städte an einer unversehrten Landschaft zu erfreuen und ihnen einen Kurzurlaub im Kinosessel zu ermöglichen. Der auch im Ausland gezeigte Film war zudem eine effektvolle Werbung für den Fremdenverkehr. Die Filmzeitschrift „Mein Film“ schrieb hierzu in ihrer Kritik: „Die drei Hauptdarsteller Paul Hörbiger, Maria Andergast und Hans Moser sind also wieder in einen geeigneten Rahmen gestellt worden, der es ihnen ermöglichte, die alte Beliebtheit der verkörperten Typen aus dem österreichischen Volkstum wieder neu zu beleben und damit dem österreichischen Unterhaltungsfilm endlich wieder im Ausland jene Geltung verschaffen zu helfen, die nun wohl genügend schlechte Filme vergeblich zu erreichen versucht haben.“[11] In österreichischen Kinos erreichte der Film bis zum 30. April 1951 eine außergewöhnlich hohe Besucherzahl von 2.548.000. Die 13 im Jahr 1947 erschienenen österreichischen Spielfilme repräsentierten bereits in etwa die Palette des österreichischen Filmschaffens der Nachkriegsjahre: Theaterkomödie, bäuerlicher Schwank, Wiener musikalische Komödie, Sommer- und Winter-Fremdenverkehrsfilme, biografische Filme, Literaturverfilmungen und Dokumentarfilme. Der erste Film, der 1948 erschien, war zugleich auch Franz Antels erste Spielfilmproduktion. „Das singende Haus“, produziert von der Sherberko Film, spielte in den 1920er und 1930er Jahren und handelte von Theater, Musik und Revue in der Zeit der aufkommenden Jazzrhythmen. In den Hauptrollen: Hans Moser, Hannelore Schroth, Curd Jürgens, Herta Mayen und Walter Müller. Paul Hubschmid, Elfe Gerhart und Hans Putz spielten 1948 in einem der wenigen Kriminalfilme der Nachkriegsjahre die Hauptrollen: „Arlberg-Express“. Regie führte Eduard von Borsody und Kameraroutinier Hans Androschin stand zum letzten Mal hinter einer Filmkamera. Auch die Literaturverfilmung „An klingenden Ufern“ von Hans Unterkirchner erschien in diesem Jahr. Die auf einer Novelle von Alexander Lernet-Holenia basierende, in den Kriegswirren spielende, Produktion kam mit weniger Dialogen, aber mehr Landschaftsbildern und Untermalungsmusik aus, wofür die ansonsten sehr kritische Filmzeitschrift „Funk und Film“ nur lobende Worte fand. Mit „Liebling der Welt“ erschien 1949 einer der seltenen Märchenfilme österreichischer Produktion. Das Drehbuch schrieben Karl Farkas und Siegfried Bernfeld. Im selben Jahr erschien die bereits dritte Beethoven-Verfilmung: „Eroica“. Regie in diesem „Musikerfilm“ spielte Walter Kolm-Veltée. Die Österreichische Filmgesellschaft (ÖFA) produzierte 1949 „Vagabunden“ mit Paula Wessely und Attila Hörbiger. Der Film wurde 1950 mit dem Sascha-Pokal für seinen Erfolg ausgezeichnet. Einen internationalen Preis erhielt hingegen Ernst Marischkas „Matthäus-Passion“. 1949, fünf Jahre nach Drehbeginn, wurde „Wiener Mädeln“ fertig gestellt. Zu Drehbeginn war es der erste Farbfilm (Agfacolor) der Wien-Film. Regie in dieser letzten Filmproduktion auf österreichischem Boden während des Nationalsozialismus führte abermals Willi Forst. Die Filmaufnahmen wurden mehrmals von „Fliegeralarm“ unterbrochen und konnten erst in den Nachkriegsjahren fertig gestellt werden. Der Film, der Ähnlichkeiten zu „Operette“ aufwies, spielte im 19. Jahrhundert und handelte vom Komponisten Carl Michael Ziehrer, den Willi Forst selbst spielte. Die „Mädeln“ waren: Judith Holzmeister, Dora Komar, Vera Schmid und Hilde Föda. 1949 erschien „Märchen vom Glück“, welcher Gunther Philipp und Nadja Tiller ihre ersten Filmrollen verschafften. Ebenfalls 1949 schrieben Franz Antel und Gunther Philipp das Drehbuch zu Kleiner Schwindel am Wolfgangsee, der mit den Hauptdarstellern Waltraut Haas, Hans Holt, Gunter Philipp, Nadja Tiller und Rolf Olsen gedreht wurde. Rasch kam es zu weiteren Wolfgangsee-Filmen, und dieses Modell wurde in den Wörthersee-Filmen der 1960er und 1970er mit wenigen Änderungen weiter verwendet. 1949 stellte die Grazer Alpin-Film-Austria ihren ersten aufwändigen Spielfilm her: „Hexen“. Edith Mill spielte die Hauptrolle. Dieselbe Filmproduktionsgesellschaft produzierte 1950 den von der Kritik vielfach gelobten Kriminalfilm „Prämien auf den Tod“. Hierbei führte Curd Jürgens erstmals Regie. Er schrieb auch das Drehbuch und spielte neben Werner Krauß, Siegfried Breuer, Judith Holzmeister und Edith Mill eine der Hauptrollen. Neben den Heimat- und Musikfilmkomödien entstanden in den Nachkriegsjahren mehrere Produktionen, die sich mit der jüngsten Vergangenheit auseinandersetzten. So etwa das im Gegensatz zur ersten Nachkriegsproduktion „Glaube an mich“ auf die aktuellen Lebensumstände eingehende Drama „Der weite Weg“, das sich mit den Schicksalen von Kriegsheimkehrern auseinandersetzte. Der Aufbau war allerdings typisch für einen österreichischen Heimat-, bzw. Musikfilm oder auch für eine Komödie: eine melodramatische Liebesgeschichte, eine verhängnisvolle Verwechslung, ein Missverständnis und zum Schluss ein Happy End. Jedoch war das Umfeld dieses Mal wesentlich ernster. Regie führte Eduard Hoesch, der wegen Personalmangels auch Produzent, Autor, Produktions- und Aufnahmeleiter war. Hauptdarsteller waren Rudolf Prack, Hans Holt, Maria Andergast, Willy Danek und Thea Weis. Den künstlerischen Höhepunkt des Filmjahrs 1948 stellte der politisch-aufklärerische, humanitäre Film „Der Prozeß“ von G. W. Pabst dar. Pabst wollte damit an seine Werke „Westfront 1918“ und „Kameradschaft“ anknüpfen, was ihm jedoch nicht ganz gelang. Der Film thematisierte den latenten Antisemitismus in Mittel- und Osteuropa am Beispiel eines ungarischen Dorfes im Jahr 1882, ging jedoch nicht näher auf die Ursachen oder auf Lösungsvorschläge ein. Der Film stieß daher auf wenig Interesse beim Publikum und zählt zu den weniger besuchten der 25 Filmproduktionen des Jahres 1948. Auch „Das andere Leben“, von Rudolf Steinböck inszeniert im Filmstudio des Theaters in der Josefstadt, thematisierte die jüngste politische Vergangenheit. Trotz Aufgebot der besten Schauspieler des Theaters wie Aglaja Schmid, Robert Lindner, Gustav Waldau, Vilma Degischer, Leopold Rudolf, Siegfried Breuer, Erik Frey, Anton Edthofer und Erni Mangold fand jedoch auch diese Produktion nur wenig Andrang in den Kinos. 1948 erlangte die 1938 in die Schweiz geflohene Maria Schell in „Der Engel mit der Posaune“ ihre erste Hauptrolle. Hans Holt, Oskar Werner, Paula Wessely und Attila Hörbiger spielten in diesem von Karl Hartl inszenierten Geschichtsfilm an ihrer Seite. Im Gegensatz zu „Der Prozeß“ und „Das andere Leben“ fand diese Produktion rege Zuschauerströme weshalb Karl Hartl bei Alexander Korda in London auch eine englische Fassung herstellen ließ. Vor allem Maria Schell und Oskar Werner kamen dadurch mit der englischen Filmszene in Kontakt. Eduard von Borsody produzierte 1948, auf einem Schauspiel von Fritz Hochwalder basierend, „Die Frau am Weg“. Brigitte Horney, Otto Woegerer und Robert Freytag spielten die Hauptrollen in diesem von „Funk und Film“ als „Meilenstein am Weg einer gesunden, aufrechten und künstlerischen österreichischen Filmproduktion, wie sie sein soll und sie die Welt von uns erwartet“ gelobten Film rund um einen Widerstandskämpfer. Dieser Film zählte neben „Der Hofrat Geiger“ und „Der Herr Kanzleirat“ auch zu den acht Filmen, die 1948 offiziell in Deutschland gezeigt werden konnten. Eine sehr erfolgreiche Produktion war Helmut Käutners „Die letzte Brücke“ aus dem Jahr 1954. Der etwas verklärende Antikriegsfilm handelte von einer deutschen Ärztin die in Gefangenschaft der jugoslawischen Partisanen gerät und dort tapfer ihrer ärztlichen Pflicht weiter nachgeht. Die Hauptdarstellerin Maria Schell stieg dank diesem Film zum Star auf. Bei den Filmfestspielen von Cannes gewann sie den Preis für die beste Darstellerin. Österreich war in den 1950ern ein beliebter Drehort für bundesdeutsche Produktionen, die hier auf günstige Bedingungen zurückgreifen konnten. Zugleich ergab sich für österreichische Filmschaffende die Chance, über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu werden. Zahlreiche Filmregisseure und vor allem Schauspieler wanderten in die Bundesrepublik aus. In der ersten Hälfte der 1950er Jahre entstanden mehr filmische Biografien denn je zuvor. Neben den Musikern, deren Leben bereits seit der frühen Stummfilmzeit immer wieder als Filmsujet herhalten mussten, waren nun auch andere Künstler - wie etwa Alexander Girardi in „Der Komödiant von Wien“ - und politische Persönlichkeiten der österreichischen Geschichte an der Reihe. So verfilmte G. W. Pabst 1955 in „Der letzte Akt“ das Lebensende Adolf Hitlers mit Albin Skoda in der Hauptrolle. Auch österreichische Literatur des 19. Jahrhunderts wurde wieder vermehrt wahrgenommen. Der Heimatfilm „Das Mädchen vom Pfarrhof“ basierte auf dem bereits zur Stummfilmzeit beliebten und mehrfach verfilmten Drama „Der Pfarrer vom Kirchfeld“ von Ludwig Anzengruber. Die jährliche Spielfilmproduktion bis 1955 schwankte zwischen 17 (1950) und 28 (1955). Was die Wiener Produktionen nicht schafften, bewerkstelligte 1950 die britische Produktion „Der dritte Mann“. Der Agentenfilm mit seiner berühmten Zithermusik von Anton Karas machte Wien weltberühmt. Als Produzent fungierte der Monumentalfilmproduzent des Wiener Stummfilms der 1920er-Jahre, Alexander Korda. Die Buchvorlage stammte von Graham Greene. Die US-amerikanischen Filmstars Joseph Cotten und Orson Welles spielten neben bekannten österreichischen Darstellern wie Paul Hörbiger, Hedwig Bleibtreu, Siegfried Breuer und Ernst Deutsch. Eine bekannte Szene des Films spielte im Riesenrad des Wiener Praters. Dieser einst beliebte Drehort schien nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch nur noch sporadisch in Filmproduktionen auf - etwa in „Wienerinnen“ von 1952. 1950 erschien mit „Erzherzog Johanns große Liebe“ von Regisseur Hans Schott-Schöbinger nach „Hofrat Geiger“ der zweite wesentliche Fremdenverkehrswerbefilm für Österreich. Der romantische, und für viele Sehnsucht nach einer gesicherten Zeit weckende, Film lockte ein großes Publikum in die Kinos. Paula Wessely griff 1951 diesen Erfolg auf und engagierte sich als Produzentin selbst für die Hauptrolle in „Maria Theresia“, der ihr ob des schwächelnden Drehbuchs jedoch keinen großen Erfolg bescheren konnte. Ermuntert durch den Erfolg der britischen Dokumentation „Eine Königin wird gekrönt“, brachte Ernst Marischka 1953 mit seiner Erma-Film „Mädchenjahre einer Königin“, eine operettenartige Aufarbeitung der englischen Geschichte, hervor. Für die Hauptrolle der jungen Königin Viktoria entdeckte er Romy Schneider. Im selben Jahr sprang auch Franz Antel auf den Zug der Verfilmungen von Lebensgeschichten des Hochadels auf und schrieb das Drehbuch zu „Kaiserwalzer“, für den er auch Regie führte. „Kaiserwalzer“ erreichte in Deutschland das höchste Einspielergebnis, das ein österreichischer Film bis dahin erreicht hatte. Funk und Film kommentierte diese Tatsache mit „Die Branche reibt sich die Hände, die Kritiker raufen sich die Haare“[12]. Ernst Marischka folgte mit der Vindobona-Film-Produktion „Der Feldherrnhügel“ nach Alexander Roda Roda, der 1926 schon einmal verfilmt wurde, worauf Antel 1954 wiederum mit dem Agfacolor-Farbfilm „Kaisermanöver“ konterte. Daraufhin stellte Ernst Marischka 1955 „Die Deutschmeister“, erneut mit Romy Schneider, her - ebenfalls in Agfacolor. Im selben Jahr folgten noch „Hofjagd in Ischl“ von Hans Schott-Schöbinger und „Der Kongreß tanzt“, wieder von Franz Antel und der Neusser-Film. Die berühmteste all dieser Produktionen gelang letztendlich doch noch Ernst Marischka, als er 1955 mit „Sissi“ den Auftakt zur weltweit erfolgreichen Sissi-Filmreihe macht. Mit „Das Salzburger Welttheater“ vom Dokumentarfilmpionier Max Zehenthofer und „Abenteuer im Roten Meer“ vom weltbekannten Taucher und Naturforscher Hans Hass erschienen 1951 zwei nennenswerte Dokumentarfilme. Bei den Filmfestspielen in Venedig erhielt Hans Hass für sein Werk den Preis für den besten abendfüllenden Dokumentarfilm. Im Auftrag der Wien-Film begleitete Albert Quendler den Forscher Ernst Zwilling nach Afrika. Mit Eingeborenen Laiendarstellern drehte er dort 1955 den Dokumentar-Spielfilm „Omaru“ her, der bei der Premiere im Cinema-Palast am Lido begeistert aufgenommen wurde. Bereits 1952 sorgte Quendler mit „Symphonie Wien“ für einen experimentellen Beitrag zum Dokumentarfilmschaffen. Es entstanden auch knapp ein Dutzend zeitbezogene und zeitkritische Filme zwischen 1950 und 1955. So etwa Georg C. Klarens „Ruf aus dem Äther“ (1951) mit Oskar Werner, der knapp zwei Jahre nach Auflösung der Produktionsgesellschaft Pabst-Kiba-Produktionsfirma erschien oder die aus fünf Episoden bestehende Produktion „Asphalt“ (1951), in der das Leben verschiedener junger Menschen thematisiert wird. Neben dem von der Kritik wenig geschätzten „Asphalt“ erschienen 1952 mit „Wienerinnen - Schrei nach Liebe“ und 1953 mit „Flucht ins Schilf“ weitere neoveristische Filme Kurt Steinwenders. Über Zweiteren berichteten sogar Tageszeitungen ausführlich, und nach der Premiere im Wiener Künstlerhaus-Kino waren sich die Kritiker einig, dass es sich bei diesem Film, der von einem Mordfall am Neusiedler See und den Reaktionen der umliegenden Bevölkerung darauf handelt, um einen Neubeginn in der österreichischen Filmszene handeln könnte. Ein einzigartige und außergewöhnliche Produktion der österreichischen Filmgeschichte erschien 1952. Mit Geldern der Bundesregierung entstand der Science-Fiction-Film „1. April 2000“. Der Film handelt von der Erklärung der Unabhängigkeit Österreichs und der darauf folgenden Empörung der „Weltschutzkommission“. Die millionenteure Produktion sollte die Alliierten an ihre Entlassung Österreichs in die Unabhängigkeit erinnern. Nicht 48, sondern bereits drei Jahre später geschah dies tatsächlich. Ob der Film hierbei eine Rolle spielte, ist nicht bekannt. Von 1950 bis 1954 entstanden jährlich zwei Operettenverfilmungen, in denen Werke von Edmund Eysler, Jara Benes, Leo Fall, Robert Stolz, Fred Raymond, Carl Zeller und Johann Strauß verarbeitet wurden. Die bekanntesten Darsteller dieser Filme waren Elfie Mayerhofer und Curd Jürgens in „Küssen ist keine Sünd“ (1950), Paul Hörbiger in „Der fidele Bauer“ (1951), Johannes Heesters und Waltraut Haas in „Tanz ins Glück“ (1951) sowie Hannerl Matz in „Saison in Salzburg“ (1952) und „Die Perle von Tokay“ (1954). Am Rosenhügel wurde für die Verfilmung der Johann Strauß-Operette „Eine Nacht in Venedig“ unter Regisseur Georg Wildhagen eine aufwändige Kulisse aufgebaut - sowohl im Ateliergebäude als auch im Freien. Ebenfalls am Rosenhügel entstand 1953 die Verfilmung von Donizettis Oper „Die Regimentstochter“. Für die Nova-Film waren hierbei die Regisseure Georg C. Klaren und Günther Haendel tätig. Auch Walter Kolm-Veltée verfilmte hier eine Oper. Mozarts „Don Juan“ wurde 1955 mit Cesare Danova, Josef Meinrad und Marianne Schönauer fertiggestellt. Für die hervorragende Kameraführung zeichneten Willi Sohm und Hannes Fuchs verantwortlich. 1954 wurde der bereits 1944 begonnene Film von Leni Riefenstahl - „Tiefland“ - gemeinsam mit der Tiroler Plesner-Film fertig gestellt. In der ersten Hälfte der 1950er Jahre erlebten die Musik- und Reisekomödien ihren Höhepunkt. Von der Kritik abgelehnt und von den Intellektuellen belächelt, erreichten solche Filme jedoch große Akzeptanz unter der Bevölkerung. Wichtige Regisseure dieser Jahre waren Franz Antel, Alfred Stöger, Hubert Marischka, Harald Reinl, Gustav Ucicky, Hans Schott-Schöbinger, Alfred Lehner oder Alfons Stummer, wobei sie in der Regel keine ästhetischen Neuerungen durchsetzten, sondern für eher konventionelle Inszenierungen sorgten. Mit „Das Kind der Donau“ drehte Marika Rökk 1951 den ersten österreichischen Farbfilm der Nachkriegszeit. Als bekanntester Vertreter von Reise-, und Musikkomödien, aber auch Heimatfilmen, drehte Franz Antel in den 1950ern einige der erfolgreichsten österreichischen Filme, wobei er zwischen den Genres pendelte und in Spionage (1955) sogar den Fall des Oberst Redl aus der Monarchie aufgriff und einen durchaus seriösen Film vorlegte. In „Der alte Sünder“ (1951) ließ Antel, inspiriert durch den Erfolg von Martin Costas „Hofrat Geiger“, einige Darsteller Gesangseinlagen abliefern. Franz Antel verschaffte auch jungen Schauspielern wie Gunther Philipp in „Eva und das Paradis“ (1954) und Peter Alexander in der Reisekomödie „Verliebte Leute“ ihre ersten Hauptrollen. Diese frühen Produktionen Antels zählen heute zu den Klassikern der österreichischen Filmkomödie. Die dem Heimatfilm nahestehenden Heimat- und Reisekomödien erzählten typischerweise von Verwechslungen, Glücks- und Zufällen im Leben der durchschnittlichen österreichischen Bevölkerung. So etwa Ernst Marischkas Reisekomödie „Zwei in einem Auto“. Die Hauptdarsteller gewinnen im Toto den Jackpot, kaufen sich ein Auto und reisen nach Italien. Dort lernt die weibliche Hauptdarstellerin einen berühmten Autorennfahrer kennen. Es folgen Verwechslungen die zu komischen Parallelhandlungen führen, doch am Schluss gibt es ein Happy End. Durch diesen Film erlangte die Schauspielerin Johanna Matz, in den folgenden Jahren als „Hannerl“ bekannt, große Bekanntheit. Sie spielte sie neben Hans Moser, Leopold Rudolf und Wolf Albach-Retty. In den folgenden Heimatfilmen „Försterchristl“, „Hannerl“ und dem Operettenfilm „Die Perle von Tokay“ avancierte sie zu einem neuen österreichischen Filmstar. Ebenfalls als Komödien ausgewertet wurden Erich Kästners Bücher „Pünktchen und Anton (1953)“ sowie „Drei Männer im Schnee“. Paula Wessely spielte 1953 in „Ich und meine Frau“ an der Seite ihres Gatten Attila Hörbiger und den Zwillingen Isa und Jutta Günther. 1954 produzierte sie „Das Licht der Liebe“. Regisseur dieser „Mutterliebe“-Neuverfilmung mit Käthe Dorsch als Hauptdarstellerin war R. A. Stemmle. Die Schönbrunn-Film produzierte neben „Hallo Dienstmann“ mit dem hervorragend zusammenspielenden Duo Hans Moser und Paul Hörbiger und „Alter Sünder“ auch die Geschichte rund um die Wiener Volkssängerin „Fiakermilli“ - gespielt von Gretl Schörg. Gemeinsam mit der ÖFA wurde 1953 nach Franz Schuberts Bühnenstück „Tingel Tangel“ die Liebeskomödie „Praterherzen“ hergestellt. Der Film führte in die Welt der Gaukler, Buden- und Wirtshausbesitzer, die es in der gezeigten Form jedoch schon damals nicht mehr gab. Im selben Jahr versuchte Regisseur Ernst Marischka mit der Richard Tauber-Biografie „Du bist die Welt für mich“ den Sängerfilm wiederzubeleben. Der Versuch wurde 1954 mit dem Zirkusfilm „König der Manege“ fortgesetzt. Damalige Hörfunk- und Plattenstars wie Rudi Schuricke, Vico Torriani und Rudolf Schock sollten solche Filme bereichern. Spielfilmproduktion Jahr Anzahl 1956 37 1957 26 1958 23 1959 19 1960 20 1961 23 1955 startete in Österreich der Probebetrieb des Fernsehens, welches es in Westdeutschland bereits gab. Eine neue Konkurrenz für das Kino zeichnete sich ab. 1969 nahm der Österreichische Rundfunk (ORF) das Farbfernsehen auf, ab 1970 bestanden zwei vollwertige Programme. Die Konkurrenz durch das Fernsehen machte weltweit die Filmproduzenten erstmals darauf aufmerksam, dass ihre Produktionen nicht mehr so selbstverständlich und ohne Anstrengung verkauft werden konnten. Die US-amerikanische Filmindustrie reagierte umgehend darauf mit der Einführung der Produktionstechniken Cinemascope, Cinerama, 70-mm-Film, 3-D-Spektakeln und der Herstellung von Filmen mit aufwändigen Bauten und Menschenmassen - ähnlich den Monumentalfilmen der 1920er-Jahre. Die technischen Änderungen wurden auch vom Rest der Welt, inklusive Österreich, bald übernommen. Ab 1957 gab es österreichweit regelmäßigen Fernsehbetrieb an sechs Wochentagen. In Österreich wurde zwar auch eine 3-D-Kamera entwickelt - von Walter Maier und Kurt Traum - doch geriet diese Erfindung nach wenigen Kurz- und Werbefilmen bald wieder in Vergessenheit. Dem einsetzenden Besucherrückgang versuchte man hierzulande mit noch intensiverer Wiederverwertung von Altbewährtem begegnen. Die Zahl der Eigenproduktionen nahm zugunsten der Auftragsproduktionen stetig ab. Wenn österreichische Filmproduzenten ihre Weltrechte an deutsche Vertriebe vergaben, kam es beim Weiterverkauf oft vor, dass die Geschäftspartner vergaßen, Österreich als Ursprungsland zu nennen[13]. Neben den Heimatfilmen und ihm verwandten Genres nahmen andere Ziele verfolgende Projekte einen untergeordneten Rang ein. Die Spielfilmproduktion erlebte 1956 ein außergewöhnliches Hoch, doch schon 1958 war das letzte große Jahr von Heimat- und Monarchiefilmen. In den 1960er Jahren versuchte man dem Besucherschwund in den Kinos mit der Internationalisierung des Films entgegenzutreten. Italienische, deutsche, französische und amerikanische Produktionsgesellschaften, Schauspieler und Regisseure wurden für Nachahmungen erfolgreicher ausländischer Produktionen, wie etwa den James Bond-Filmen, engagiert. An Stelle der Heimatfilme und Komödien blühte nun der Avantgardefilm mit Arbeiten von Peter Kubelka oder Kurt Kren auf, die heute internationale Wertschätzung genießen und zu den wesentlichen Werken dieses Genres zählen. Diese Tradition setzten Ernst Schmidt jr. und Dietmar Brehm erfolgreich fort. Kommerzielle Produktionen kamen in den 1960ern immer seltener zu Stande. Zwar kamen vor allem US-Produktionen nach Österreich, um hier zu drehen, aber Koproduktionen kamen nur vereinzelt zustande, da Österreich nicht Mitglied der EWG war. Es gelang auch nicht, an moderne Filmästhetiken anzuschließen, etwa die französische Nouvelle Vague. Der Regisseur Eddy Saller versuchte, einen österreichischen Trashfilm zu etablieren, scheiterte aber. Erfolgreicher waren Produktionen im Erotikbereich, etwa die Mutzenbacher-Filme von Kurt Nachmann mit Christine Schuberth. Nach Abzug der Alliierten gingen die Rosenhügel-Studios in den Besitz der nun staatlichen Wien-Film über, welche kein Interesse an einer Fortführung der Filmproduktion zeigte. Bis auf die Atelieranlagen Simmering gingen 1966 alle Wien-Film-Studios in den Besitz des ORF über. Die ÖFA produzierte von 1947 bis 1957 18 Filme, die in 21 Ländern verkauft wurden, und die Sascha-Filmproduktion stellte im selben Zeitraum 15 Filme her, die in 48 Ländern verkauft wurden. Der Erlös österreichischer Filmproduktionen in Deutschland war wesentlich geringer als in den Jahren zuvor. Obwohl neben dem Fernsehen auch durch zunehmende Mobilisierung der Bevölkerung mit Motorrollern und PKW, sowie in Mode kommende Tanzlokale dem Kino weiter Konkurrenz machen, können Filmstars und Produzenten die Gagen in Deutschland weiter in die Höhe treiben. So verdienten 1956 Maria Schell und O. W. Fischer je 1,2 Millionen Schilling, Curd Jürgens 900.000 und Nadja Tiller 450.000. Die großen Filmproduktionsgesellschaften verschlossen sich Neuerungen. Um kein geschäftliches Risiko einzugehen, machten sie sich bereitwillig von deutschen Filmverleihern abhängig. Die so genannten österreichischen Heimatfilme wurden in vielen Belangen - sei es Szenerie oder Schauspieler - auf den deutschen Markt abgestimmt. Wenig verwunderlich daher die andauernde negative Einstellung der Kritiker zu solchen Produktionen. So resümierte ein Kritiker der „Funk und Film“ zu „Heimweh ..., dort wo die Blumen blühn“ im Jahr 1958: „Franz Antel hat diesen Film auf die Tränendrüsen abgestimmt und außerdem zu einem Tiefpunkt der heimischen Filmproduktion beigetragen“. Paul Hörbiger, der auch in eben erwähntem Film eine Hauptrolle spielte, bekannte diesbezüglich: „Aufgrund meiner reichen Erfahrungen, die ich während meiner Dreharbeiten in Deutschland sammeln konnte, habe ich mir einen Wiener Dialekt zugelegt, der auch in Berlin und Hamburg verständlich ist. Da sich der österreichische Film in Österreich nie amortisieren kann, müssen wir unsere Filme nach den Wünschen des gesamten deutschsprachigen Publikums inszenieren.“[14] Nach dem Erfolgsabsturz der inhaltlich immer gleichen Komödien, Operetten- und Heimatfilme, der sich bereits ab 1958 erkennbar machte, ging deren Produktion drastisch zurück. Die Absatz- und Umsatzzahlen nahmen dementsprechend ab, woraufhin beispielsweise die Creditanstalt 1961 mit der Liquidierung der ÖFA reagierte. Nachdem bereits die heimische Filmproduktion in den 1960er Jahren weiter abnahm, setzte ab Mitte der 1960er auch das Kinosterben ein. 1957 beendete die Filmzeitschrift „Mein Film“ ihre Tätigkeit, und Ende des Jahres 1965 erschien die letzte Ausgabe von „Paimann's Filmlisten“, die bisher Kinobesitzern als Orientierungshilfe bei neu erscheinenden Filmen diente. Deutschland ereilte filmwirtschaftlich gesehen in diesen Jahren das gleiche Schicksal – aufgrund der gleichen Ursachen. Nach diesem Schlusspunkt der leichten und kitschigen Unterhaltungsfilme, die seit den 1930er-Jahren zusehends Überhand gewannen, sorgten von nun an jüngere Generationen für eine unterschiedlichere Entwicklung des deutschen und österreichischen Films. Die klassische Heimatfilmwelle, in der klischeebehaftet das einfache Leben der Bevölkerung von Bergdörfern, meist in Form von Liebesgeschichten, dargestellt wurde, wurde 1954 durch den Film „Echo der Berge“ ausgelöst. Der Film war eine österreich-spezifische Abwandlung des US-amerikanischen Films „Der Wilde“ und fand aufgrund des Erfolgs zahlreiche Nachahmer. Die geringe Handlungsvielfalt solcher Produktionen bezeichnete der einst in die Vereinigten Staaten emigrierte Regisseur Billy Wilder sehr treffend mit der Aussage „...wenn die Deutschen [gemeint war der gesamte deutschsprachige Raum] einen Berg im Hintergrund und Paul Hörbiger im Vordergrund sehen, sind sie schon zufrieden.“[15] Zu den ersten dieser Nachahmer zählen die sich mit Berg- und Tieraufnahmen auszeichnenden, und dadurch auch tourismuswirksamen, Produktionen „Die Sennerin von St. Kathrein“ (1955) von der Schönbrunn-Film und „Heimatland“ (1955), unter der Regie von Franz Antel nach der Novelle „Krambambuli“. Das Heimatfilm-Genre wurde schließlich auf die Zeit der Monarchie ausgedehnt und mit neuen Motiven angereichert, wobei insbesondere „Sissi“ (1955) von Ernst Marischka mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm in den Hauptrollen das herausragendste Beispiel darstellt, das auch internationalen Erfolg erzielte und zwei Fortsetzungen erlebte. Gefördert durch den kommerziellen Erfolg, erschienen bereits 1956 sechs Heimatfilme. Darunter „Försterliesl“, „Die Magd von Heiligenblut“ und „Das Hirtenlied vom Kaisertal“. Rasch wurde das Genre noch weiter ausgedehnt. Es mischten sich nun auch deutsche Geschäftsleute und andere Stadtbewohner als Touristen in die Heimatfilm-Dramaturgie, und bestärkten diese Produktionen noch weiter in ihrer Tourismuswirksamkeit. Die Filme spielten nun nicht mehr nur in idyllischen Bergdörfern, sondern zum Beispiel auch im Weinbaugebiet Burgenland - so etwa in „Die Winzerin von Langenlois“ (1957) mit Herta Staal und Gunnar Möller - und im Seengebiet Salzkammergut - wie in „Almenrausch und Edelweiß“ (1957). Wesentlicher Bestandpunkt solcher Filme war eine oder mehrere Liebesgeschichten. Bekanntestes „Heimatfilm-Liebespaar“ waren Anita Gutwell und Rudolf Lenz. Da der Heimatfilm anfangs viele Zuschauer anzog und finanziell erfolgreich war, kam es rasch zu einer Überproduktion, sodass immer weniger Filme Gewinne erzielten. Auch die vereinzelten Versuche, Heimatfilme zu drehen, die auf Positivzeichnungen verzichteten und stärker zeitgenössische Aspekte in den Vordergrund rückten, ereigneten sich erst, als sich das Genre bereits seinem Ende näherte. Beispiele sind Wolfgang Schleifs Inszenierung „Der rote Rausch“ aus dem Jahr 1962 mit Klaus Kinski oder „Der Weibsteufel“ aus dem Jahr 1966 nach einem Drama von Karl Schönherr. Besonders ungewöhnliche, da ernstere, Vorlagen für Heimatfilme bot Trygve Gulbranssen. Zwei seiner Romane wurden von der Mundus-Film verfilmt: „Und ewig singen die Wälder“ (1959) unter der Regie von Paul May mit Gert Fröbe und Hansjörg Felmy sowie „Das Erbe von Björndal“ (1960) von Gustav Ucicky mit Brigitte Horney. Bereits 1956 entstanden teils bösartige Parodien auf den Heimatfilm in der Wiener Kabarettszene. Unter der Leitung von Gerhard Bronner machten sich im „Intimen Theater“ Georg Kreisler, Peter Wehle, Kurt Jaggberg und Helmut Qualtinger lustig über den deutschsprachigen Trivialfilm. An manchen dieser Produktionen waren sie auch selbst beschäftigt. Peter Wehle und Gerhard Bronner schrieben nicht nur im Kabarett, sondern auch für Filme wie „...und wer küßt mich?“ (1956) gemeinsam Musik. Helmut Qualtinger hingegen war als Filmschauspieler unter anderem in „Du bist die Richtige“ (1955) zu sehen. In einem musikalisch begleiteten Programm, „Blattl vor'm Mund“, hießen die Nummern dementsprechend „Der Halbwilde“, „Busen, die die Welt bedeuten“ und „Orpheus in der Filmwelt“. Diese Form der Kritik bot erstmals eine Analyse dieses Filmgenres. Fritz Walden meinte 1972 rückblickend zu den Unterhaltungsfilmen der 1950er Jahre: „Was den Unterhaltungsfilm dieser Jahre betrifft, so waren wir, das hat sich mittlerweile auch herumgesprochen, nicht sehr glücklich, ich muss aber gleich hinzusetzen, es konnte fast nicht anders sein, weil das Ganze - die kommerzielle Gliederung, der ganze Systemzwang dazu - in unserer, also in der westlichen Welt kommerziell zu denken erforderte. Deutschland hatte in eine sogenannte ‚Marktlücke‘ einzuspringen, und in dieser Marktlücke hatte der österreichische Film, der ja vom deutschen Verleih abhängig war, wieder eine Marktlücke auszufüllen. Das heißt, wir galten als ein amüsantes Volk; das ging so weit, dass, wenn zum Beispiel wirklich ein ernster Film gemacht wurde, wie etwa Georg Tresslers ‚Der Weibsteufel‘ (1966), da hat man schon gelacht, wenn man unsere Berge gesehen hat, weil man sich gefreut hat, jetzt wird was Lustiges kommen.“ Abgesehen von den Heimatfilmen entstanden dieser Jahre auch Eisrevuefilme wie „Symphonie in Gold“ (1956) oder dem Heimatfilm nahe stehende Operettenfilme wie Karl Parylas „Gasparone“ (1956) nach Carl Millöcker und Ernst Marischkas „Opernball“ (1956) nach Richard Heuberger. Erst nach einer vierjährigen Pause entstand 1960 mit „Im weißen Rößl“ von der Sascha-Film ein weiterer Operettenfilm. Die musikalischen Arrangements wurden modernisiert und neue Stars eingesetzt. So spielten in „Im weißen Rößl“ Peter Alexander und Waltraut Haas. Die letzten kommerziellen Operetten-Verfilmungen entstanden von der Sascha-Film im Jahre 1962: „Die Fledermaus“, „Hochzeitsnacht im Paradies“ und „Die Lustige Witwe“. In allen dreien spielte Peter Alexander eine tragende Rolle, in zweien an der Seite von Marika Rökk. Weitere volkstümliche Filme und Komödien dieser Jahre waren etwa „Ober Zahlen“ (1957), „Hallo Taxi“ (1958), „Im schwarzen Rößl“ (1961), „Die Abenteuer des Grafen Bobby“ (1961), „Mariandls Heimkehr“ (1962), „Hochzeit am Neusiedlersee“ (1963), „Happy End am Attersee“ (1964) und „Liebesgrüße aus Tirol“ (1964). In der erfolgreichen Produktion „Graf Bobby“ beispielsweise spielte Peter Alexander die Hauptrolle. In mehreren Fortsetzungen wie etwa „Graf Bobby, der Schrecken des Wilden Westens“ (1966), bekam man den singenden Schauspielstar ihn in den unterschiedlichsten Verkleidungen zu sehen - unter anderem als Frau. Auch Monarchiefilme entstanden in den 1950ern nach altbewährtem Muster. So erschienen 1956 E. W. Emos „Ihr Korporal“ und Franz Antels „Kaiserball“. Willi Forst inszenierte ebenfalls 1956 „Kaiserjäger“ mit Erika Remberg, Rudolf Forster, Oskar Sima und Gunther Philipp. Das Drehbuch stammte von Kurt Nachmann, die Musik von Hans Lang. Weitere Filme über die Habsburger-Monarchie waren „Der Kaiser und das Wäschermädel“ (1957), Franz Antels „Liebe, Mädchen und Soldaten“ (1958) mit den Sängern Renate Holm und Willy Hagara und „Mikosch im Geheimdienst“ (1959) mit Gunther Philipp. Viele Filme trugen auch intensive Fremdenverkehrswerbung in sich. So zum Beispiel „Holiday am Wörthersee“ (1956), „Verlobung am Wolfgangsee“ (1956), „Liebe, Sommer und Musik“ (1956) mit den Günther-Zwillingen, Franz Antels „Vier Mädels aus der Wachau“ (1957) mit gleich zwei Zwillingspaaren, „Mariandl“ (1961) oder auch „Autofahrer unterwegs“ (1961). „Mariandl“ war eine Neuverfilmung von „Hofrat Geiger“. Waltraut Haas spielte die „Mutter“, der ehemalige Kinderstar Conny Froboess die „Mariandl“ und Hans Moser diente als „Windischgruber“. Den „Hofrat Geiger“ gab dieses Mal Rudolf Prack. In „Wien, du Stadt meiner Träume“ mit Hans Holt und Hertha Feiler führte Willi Forst 1957 zum letzten Mal Regie, bevor er sich ins Privatleben zurückzog. Auch Ernst Marischka beendete seine Karriere als Regisseur, nachdem er 1958 „Das Dreimäderlhaus“ mit Karlheinz Böhm als Franz Schubert fertig gestellt hatte. 1959 starb sein Bruder Hubert. Er selbst starb vier Jahre später. 1959 versuchte man auch mit der Verwechslungskomödie „Die Halbzarte“ Romy Schneiders Image zu korrigieren. Darin spielte sie eine unmoralische, oft freizügig bekleidete, Jugendliche, die einem amerikanischen Produzenten imponieren will. Ihre Mutter spielte passenderweise Magda Schneider. 1961 erschienen unter der Regie von Géza von Cziffra der Eisrevuefilm „Kauf Dir einen bunten Luftballon“ mit Ina Bauer und der Skisport-Film „Ein Stern fällt vom Himmel“ mit Toni Sailer. Ein weiterer der damals aufgrund der Erfolge österreichische Eiskunstläufer vermehrt auftretenden Eisrevuefilme war „... und Du, mein Schatz, bleibst hier“. Dieser, 1961 von der Wiener Stadthalle produzierte und von Franz Antel inszenierte Film wartete mit dünnen Handlungsfäden, einem knappen Dutzend Komiker und eben so vielen Musikern auf. Es war erst die zweite Produktion der „Wiener Stadthalle Betriebs- und Produktionsgesellschaft“, welche 1961 von der Stadt Wien gegründet wurde. Nach einer erfolgreichen Erstproduktion - der Musikkomödie „Unsere tollen Tanten“ - und jenem Eisrevuefilm folgten noch zahlreiche weitere Produktionen dieser Art. Insgesamt ließ sich die Stadt Wien die 25 Produktionen rund 100 Millionen Schilling kosten (rund 7,3 Millionen Euro, ohne Berücksichtigung der Inflation). Der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Glaserer resümierte in einem Interview mit der Zeitschrift „Filmkunst“ (Nr. 47, S. 15): „Wenn wir mit den ‚Tollen Tanten‘ nicht solchen Erfolg gehabt hätten, dann wäre das ganze Geld nicht in den Eimer gegangen.“ 1963 entstand die deutsch-österreichische Produktion „Das große Liebesspiel“ nach „Reigen 51“ von Carl Merz, Helmut Qualtinger und Michael Kehlmann, was wiederum auf „Reigen“ von Arthur Schnitzler basierte. Regie bei dieser Komödie führte Alfred Weidenmann. Die Hauptrollen wurden von Lilli Palmer, Hildegard Knef, Nadja Tiller sowie auch französischen und italienischen Schauspielern besetzt. In der in vier Beziehungsgeschichten aufgeteilten Komödie „Das Liebeskarussell“ von der Intercontinental-Film spielten 1965 unter anderem Gert Fröbe, Catherine Deneuve, Curd Jürgens und der freizügig bekleidete schwedische Filmstar Anita Ekberg. 1965 dienten Salzburg und weitere, idyllische, ländliche und gebirgige Regionen als Kulisse für den US-amerikanischen Film „The Sound of Music“ - mit rund 1,2 Milliarden Besuchern einer der weltweit meistgesehenen Filme, und daher, vor allem in den Vereinigten Staaten, prägend für das Österreich-Image einer ganzen Generation. 1966 entstanden mehrere satirische Filme. So etwa Vojtěch Jasnýs „Pfeifen, Betten, Turteltauben“ und Michael Pfleghar mit „Bel Ami 2000 oder: Wie verführt man einen Playboy“ mit Renato Salvatori, Antonella Lualdi und Peter Alexander in den Hauptrollen. 1967 entstanden auch die ersten der so genannten „Wirtinnen-Filme“ mit Terry Torday in der Titelrolle und internationaler Besetzung: „Susanne, die Wirtin an der Lahn“ und „Frau Wirtin hat auch einen Grafen“. Es folgten die inhaltlich nur wenig unterschiedlichen Fortsetzungen „Frau Wirtin hat auch eine Nichte“ (1969), „Frau Wirtin bläst auch gern Trompete“ (1970) und „Frau Wirtins tolle Töchterlein“ (1973). Die Drehbücher stammten jeweils von Kurt Nachmann, Regie führte Franz Antel. Die ersten Kriminal- und Spionagefilme der Nachkriegszeit erschienen 1960 („Frauen in Teufels Hand“) und 1961 („Mann im Schatten“). Im Spionagefilm „Frauen in Teufels Hand“ von der Schönbrunn-Film spielten Helmut Schmid und Maria Sebaldt die Hauptrollen, und „Mann im Schatten“ war ein Kriminalfilm und zugleich die letzte Produktion der ÖFA. Unter der Regie von Arthur Maria Rabenalt spielte Helmut Qualtinger mit Liebe zum mimischen Detail einen Kommissar, der mit seinem von Fritz Tillmann gespielten Partner dem von Herbert Fux gespielten Verdächtigen auf den Fersen ist. 1963 drehte Alfred Vohrer für die Sascha-Film „Ein Alibi zerbricht“ mit Ruth Leuwerik und Peter van Eyck. Weiters entstanden Kriminalfilme rund um „Kommissar-X“ und „Tim Frazer“, wo deutsche, englische und amerikanische Schauspieler wie Tony Kendall, Klaus Kinski, Stewart Granger, Rupert Davies und Günther Stoll mitspielten. Franz Antel versuchte sich 1963 gemeinsam mit einer italienischen Produktionsfirma in einem Agentenfilm. Der von Domenico Paolella inszenierte Film trug den Titel „Maskenball bei Scotland Yard“ und wartete mit den Schauspielern Bill Ramsey, France Anglade, Stelvio Rosi, Trude Herr, Hannelore Auer, Rex Gildo, Peppino di Capri und Rudolf Carl auf. Ebenfalls von Franz Antel stammte der Agentenfilm „00Sex am Wolfgangsee“, dessen Drehbuch Kurt Nachmann verfasste. Die Produktion bestach allerdings mehr durch nackte Haut als durch Höchstleistungen des von Paul Löwinger gespielten Agenten. 1966 entstand die Agentenkomödie „Gern hab' ich die Frauen gekillt“. Unter der Regie von Sheldon Reynolds, Alberto Cardone und Robert Lynn spielten Stewart Granger, Lex Barker und Pierre Briece. Hochwertige Literaturverfilmungen nahmen in den 1950er und 1960er Jahren außerhalb des Komödienbereichs ebenso wie avantgardistische Produktionen nur einen kleinen Platz in der heimischen Filmproduktion ein. Zwar erreichten sie an internationalen Filmfestspielen bisweilen Beachtung oder in Einzelfällen auch Auszeichnungen, doch hatten sie auf die Gesamtausrichtung der heimischen Filmwirtschaft keinen Einfluss. 1955 wurde am Rosenhügel eine der interessantesten österreichischen Literaturverfilmungen gedreht: „Herr Puntila und sein Knecht Matti“. Der Film basiert auf einem Werk von Bertolt Brecht und wurde vom brasilianischen Regisseur Alberto Cavalcanti inszeniert. Curt Bois spielte den „Puntila“, konnte aber Bertolt Brecht nicht überzeugen. Bei dieser handelte es sich um „Fidelio“, einer Verfilmung von Beethovens gleichnamiger Oper. Claude Nollier spielte die Hauptrolle unter Regisseur Walter Felsenstein und der Wiener Staatsopernchor sang unter Begleitung der Wiener Symphoniker. Dieser Film repräsentierte den letzten Einfluss der DDR-Kultur auf Österreich unter dem Diktat der mittlerweile abgezogenen sowjetischen Besatzer. Nachdem 1956 unter anderem Franz Antel mit „Lumpazivagabundus“ in Deutschland bereits eine Anzengruber-Verfilmung gedreht hatte, entstand im selben Jahr mit „Der Schandfleck“ auch in Österreich solch eine Verfilmung. Unter dem Titel „Nichts als Ärger mit der Liebe“ wurde ebenfalls 1956 eine Komödie von Hermann Bahr verfilmt. Obwohl es sich hierbei um eine Wiener Komödie der Jahrhundertwende handelte, wurden die Hauptrollen mit den deutschen Publikumslieblingen Viktor de Kowa, Winnie Markus, Walter Giller und Sonja Ziemann sowie den bayerischen Komikern Beppo Brehm und Liesl Karlstadt besetzt. Die Vienna-Film von Otto Dürer stellte 1957 die interessanteste Literaturverfilmung jenes Jahres her. „Skandal in Ischl“ basierte erneut auf einer Komödie von Hermann Bahr und wartete mit einer österreichischen Besetzung, unter anderem mit O. W. Fischer und Rudolf Forster auf. Basierend auf einem Buch von Johannes Mario Simmel inszenierte 1960 der Sohn von Hubert Marischka, Georg Marischka, den von der Kritik sehr gelobten Film „Mit Himbeergeist geht alles besser“. Vor allem das Drehbuch wurde wegen seiner klugen Dialoge für die Hauptdarsteller O. W. Fischer und Marianne Koch und der Situationskomik gelobt. Nach Frank Wedekinds Drama „Die Büchse der Pandora“ entstand 1962 unter der Regie von Rolf Thiele der Film „Lulu“ für die „Otto Dürer-Produktion“. Die Hauptrolle spielte Nadja Tiller - in einer Nebenrolle Leon Askin. Basierend aus Somerset Maughams „Theater“ entstand im gleichen Jahr „Julia, du bist so zauberhaft“. Der Film, dessen Hauptrollen von Lilli Palmer, Charles Boyer, Thomas Fritsch und Jean Sorel besetzt waren, wurde an den Filmfestspielen von Cannes gezeigt. Regie führte Alfred Weidenmann. Axel Corti inszenierte 1963 „Kaiser Joseph und die Bahnwärterstochter“ nach Fritz von Herzmanovsky-Orlando. Es war auch jener Film, in dem Hans Moser, der noch im selben Jahr 84-jährig verstarb, zum letzten Mal in Erscheinung trat. 1965 erschien „3. November 1918“ nach Franz Theodor Csokor. Als drei „Gesellen“ waren hierbei Helmut Qualtinger, Kurt Sowinetz und Alfred Böhm zu sehen. Regie führte beide Male der junge deutsche Theater- und Filmregisseur Edwin Zbonek. Marie von Ebner-Eschenbachs „Krambambuli“ wurde ebenfalls 1965 unter dem Titel „Ruf der Wälder“ verfilmt. Unter der Regie von Franz Antel spielten Johanna Matz und der Italiener Mario Girotti - besser bekannt als Terence Hill. In Otto Dürers „Weibsteufel“ (1966), nach einer Vorlage von Karl Schönherr, spielten Maria Emo, Sieghart Rupp und Hugo Gottschlich. Der Film, eine ernsthafte Variante des ansonsten kitschigen Heimatfilms - lief als österreichischer Beitrag an den Filmfestspielen von Moskau. Die Zweite Hälfte der 1950er war auch geprägt von einem neuen Umgang mit Sexualthemen, welcher durch das Aufkommen freizügigerer Damenmode gefördert wurde. Hierbei spielte natürlich auch das Massenmedium Film als Transportmedium von modischen Trends eine tragende Rolle. Selbst in Heimatfilmen wie etwa Franz Antels „Vier Mädels aus der Wachau“ (1957) bekam der Zuseher Blondinen in „Hot Pants“ zu sehen. Der Begriff „Sexbombe“ kursierte damals in den Medien und diente als Bezeichnung für die mit Erotik nicht geizenden Schauspielstars Marilyn Monroe, Brigitte Bardot, Jane Mansfield, Gina Lollobrigida und Sophia Loren. So suchte man auch in Österreich nach einer „Sexbombe“ und fand sie in Edith Elmay, die von „Funk und Film“ sogleich als „Die Marilyn aus Ottakring“ bezeichnet wurde. Auch Tabu- und Reizthemen wie Jugendkriminalität und der Umgang mit der Sexualität unter Jugendlichen wurden für den Film aufbereitet. Nachdem der deutsche Film „Die Halbstarken“ reüssierte, inszenierte Georg Tressler, Sohn von Otto Tressler, 1957 den Jugendfilm „Unter Achtzehn“. Darin wird klischeehaft die Resozialisierung krimineller Jugendlicher thematisiert. Reize sollten auch von den jungen Hauptdarstellerinnen Vera Tschechowa und Edith Elmay ausgehen, die bewusst modern und freizügig gekleidet waren. Es folgten weitere Produktionen dieser Art, die bewusst mit dem Publikumsinteresse an der „verdorbenen Jugend“ spekulierten. So etwa Hermann Leitners Inszenierungen „Wegen Verführung Minderjähriger“ (1960) und „Morgen beginnt das Leben“ (1961) sowie Georg Tresslers „Endstation Liebe“ (1958), „Geständnis einer Sechzehnjährigen“ (1961). In den obligatorischen Tanzlokalszenen sorgte die Schallplattenindustrie für musikalische Unterstützung durch Jimmy Makulis, Tony Sandler, das „Jochen-Brauer-Sextett“, „Die Bambis“ und den Erfolgsschlager „Mit 17 fängt das Leben erst an“. Durch diese Filme kamen junge, vielfach deutsche, Schauspieler zu Chancen sich zu profilieren. Darunter Cordula Trantow, Marisa Mell, Barbara Frey, Corny Collins, Michael Heltau und Gertraud Jesserer. 1965 entstanden auch erstmals Sexfilme für die Kinos. So etwa Paul Milans „Das Mädchen mit dem Mini“ sowie „Via Eroica 6“ (1967) und „Männer in den besten Jahren erzählen Sexgeschichten“ (1967) von Fritz Fronz. 1968 meldeten die Filmzeitschriften auch eine Flut von Sexfilmen aus dem Ausland. Der Staat war davon nicht gerade begeistert und so kam es 1968 im Wiener Landesgericht zum so genannten „Porno-Prozess“ gegen Hersteller und Verleiher solcher Filme. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre und Anfang der 1960er Jahre wurden vom Unterrichtsministerium zahlreiche Produktionen gefördert, die sich mit aktuellen Begebenheiten auseinandersetzten - so genannten „Realitätsfilmen“. Zur Gänze vom Unterrichtsministerium finanziert, filmte Regisseur Alfred Stöger Theateraufführungen im Burgtheater und im Salzburger Festspielhaus ab. Die Kinoeinsätze dieser Aufnahmen blieben trotz interessanter Besetzungen relativ erfolglos. Für Aufsehen sorgte 1959 eine Produktion Walter Kolm-Veltées. Mit Mitteln des Unterrichtsministeriums gefördert, entstand „Panoptikum 59“, der eine Skizze des Zeitbilds darstellen sollte. Es geht um einen manipulativen und unterdrückenden Kulturmanager, gespielt von Alexander Trojan und dessen träumerischen Gegenspieler, der ihn mit untauglichen Mitteln zu bekämpfen versucht, gespielt von Michael Heltau. Elisabeth Berzobohaty mimte eine von beiden umsorgte Schauspielerin. Gottfried Reinhardt, Sohn von Max Reinhardt, inszenierte 1961 mit der Originalbesetzung der Salzburger Festspiele „Jedermann“ nach. Abgesehen vom Abfilmen von Theaterstücken hatte die Filmförderung des Unterrichtsministeriums jedoch nicht viel zu bieten. Während Theater- und Opernproduktionen seit je her gefördert oder zur Gänze finanziert wurden, blieben österreichische Filme weiterhin nur mit minimalen Förderungen bedacht, selbst in Zeiten des Niedergangs der heimischen Filmindustrie. Gefördert wurden vor allem Kurzfilme und Dokumentationen wie etwa „Die ganze Welt ist Bühne“, „Lasset uns blühen“, „Auf Flügeln des Gesangs“ (über die Wiener Sängerknaben) oder auch „Abenteuer einer Zeichenfeder“ über Alfred Kubins Arbeit als Grafiker. Die Produktion von Naturdokumentationen für das Kino ging in diesen Jahren jedoch stark zurück. Das Fernsehen trat später als Auftraggeber für Naturfilme und Dokumentationen in Erscheinung. Neben Wien spielten bei diesen „Kulturfilme“ genannten Produktionen auch die kleineren Filmproduktionsgesellschaften aus den anderen Bundesländern eine größere Rolle. So stellte der Salzburger Max Zehenthofer 1956 „Winter in den Alpen her“, und „Oh, du mein Österreich“ war eine zeitgeschichtliche Dokumentation von Herbert Heidmann, der für die Produktionsgesellschaft von F. W. Rossack tätig war. 1960 entstand der Naturfilm „Bilderbuch Gottes“ von J. A. Holmann, der bei seiner Premiere in Hamburg äußerst positiv aufgenommen wurde. Weitere Dokumentarfilme dieser Jahre waren „Im Namen Allah's“ (1960), „Südtirol - das Land der Sehnsucht“ (1961) von Harald Zusanek und „Operette aus Wien“ (1961). 1964 kam der offizielle Filmbericht von den Olympischen Spielen von Innsbruck in die Kinos: „In den Bergen von Tirol“, von Theo Hörmann. Die ersten Nachkriegsfilme, die aus dem Einheitsbrei der Komödien und Operettenfilme hervorstachen, waren Herbert Veselys „Und die Kinder spielen so gern Soldaten“ (1951) nach Franz Kafka und „An diesen Abenden“ (1952) nach Trakl. Mit einer in Österreich bisher noch nie gesehenen Filmproduktion tauchte 1951 Wolfgang Kudrnofsky auf. Er produzierte eine 15-minütige Demontage von Edgar Allan Poes „Der Rabe“. 1955 folgte der erste, 16-minütige, Experimentalfilm von Ferry Radax, Peter Kubelka und Konrad Bayer: „Mosaik im Vertrauen“. Beliebtes Treff für die avantgardistische Kunstszene Wiens war in den 1950er Jahren der „Art Club“, wo sich neben eben genannten auch alternative Filmschaffende wie Kurt Steinwender, Gerhard Rühm, Peppino Wieternik, Paul Kont und Wolfgang Hutter trafen. Abseits vom Kommerzfilmgeschäft und dem üblichen Verleihsystem versuchten in den 1960er Jahren auch einige junge Filmneulinge Filme herzustellen. Da aus finanziellen Gründen - die Produktionen wurden aus Eigenmitteln und gelegentlich auch mit Fördermitteln von Gemeinde und Bund finanziert - die meisten Produktionen im 8-mm- oder 16-mm-Format hergestellt wurden, hatten diese jedoch kaum Chancen in die Kinos zu kommen. Folglich wurden sie lediglich bei Sondervorstellungen, in Cinematheken sowie in- und ausländischen Filmfestivals gezeigt. Zu diesen unabhängigen Filmern gehörten unter anderem Herbert Holba, Karl Kases, Franz Novotny, Franz Josef Fallenberg und Michael Pilz. Ferry Radax stellte unter anderem einige Dokumentarfilme für das Fernsehen her, die in der Öffentlichkeit bisher kaum bekannte Künstler und deren Arbeit zum Thema hatten: „Hundertwasser“ (1966), „H. C. Artmann“ (1967), „Trigon Graz“ (1967), „NDF-Report“ (1967, über den „Neuen Deutschen Film“), „Wiener Phantastische Realisten“ (1970) und andere. 1968 stellte er im Wiener Metro-Kino seine utopisch-politische Filmsatire „Testament“ vor. Der Film, der von einem größenwahnsinnig gewordenen Diktator handelt, der von der „Gegenrevolte der Litaraten“ und dem unpolitischen Helden „James“ bekämpft und beseitigt wird, stellt einen Beitrag zum Jahr der internationalen Jugendrevolten dar. Weitere Avantgardisten und Undergroundfilmer der 1960er Jahre waren Kurt Kren, Marc Adrian, Ernst Schmid Jr., Otto Muehl, Peter Weibel, Valie Export, Hans Scheugl, Otmar Bauer, Gottfried Schlemmer, Günter Brus, die Gruppe „Rot-Grün-Blau“ und andere. Größere Bekanntheit von all diesen erlangte Valie Export, die sich 1968 anlässlich der „maraisiade“ des „jungen films“ nur mit einer Holzkiste „bekleidet“ als wandelndes Kino präsentierte. Diese Holzkiste verfügte über zwei Löcher für Hände der „Kinobesucher“. Das Projekt nannte sie „Tapp- und Tastkino“. Ihr und Mitinitiator Peter Weibel brachte dies Schwierigkeiten mit den Behörden ein. Im selben Jahre gründete eine Gruppe von Avantgardefilmern die „Austrian Filmmakers Cooperative“. Zweck dieser Vereinigung war die Vermittlung von Filmen ihrer Mitglieder an Veranstalter. Die deutsche Zeitschrift „Film“ zählte in ihrer Sonderausgabe „Film 1968“ Hans Scheugls „ZZZ Hamburg Special“ zu den zehn besten Filmen des Jahres. Dies ist umso bemerkenswerter, da es eigentlich kein Film war. Anstelle eines Filmbandes wurde ein Faden auf der Filmrolle abgespielt - auf der Leinwand erschien ein Strich. Durch Betätigung des Vorführers konnte der Strich bewegt werden, was das Publikum allerdings nicht wissen konnte, und sich daher fragen musste, ob es sich nun um Filmaufnahmen handelt oder ob der Faden tatsächlich durch den Projektor gezogen wurde. So geschehen bei der Vorführung des „Films“ an der Hamburger Filmschau. Abgesehen von dieser einmaligen Aktion experimentierten einige Filmschaffende auch mit der Einbeziehung von Positivfilmen in ihre Produktionen. Peter Kubelka produzierte in diesen Jahren unter anderem „Adebar“ (1957), „Schwechater“ (1958), „Arnulf Rainer“ (1960) und „Unsere Afrikareise“ (1966). Er erhielt 1981 den „Großen österreichischen Staatspreis für Filmkunst“. Erst 1967 in die Kinos kam der bereits 1964 von Leo Tichat hergestellte Film „Die Verwundbaren“ über die Großstadtjugend. Als besondere Leistungen des alternativen Kinos feierte man damals „Memento mori“ (1968) und „Reflexion“ (1970) von den bildenden Künstlern Edith Hirsch und Sepp Jahn. Mit Unterstützung durch den ORF und das Unterrichtsministerium entstand 1968 „Moos auf den Steinen“ von Georg Lhotsky mit den Schauspielern Erika Pluhar, Heinz Trixner und Wilfried Zeller-Zellenberg. In dieser Verfilmung des gleichnamigen Romans von Gerhard Fritsch wird abwechselnd in Farbe und Schwarzweiß die österreichische Mentalität dargestellt: vor lauter Vergangenheit könne man keine Zukunft finden. Der Film gilt als einer der ersten Ansätze zum „Neuen Österreichischen Film“. Peter Weibel resümierte 1972 in einem Interview für den Fernsehfilm „Filmgeschichten aus Österreich“ über das bisherige Schaffen der Gruppe „Rot-Grün-Blau“, deren Mitglied er war: „Was uns nicht gelungen ist: ins offizielle Geschäft einzusteigen. Während die Bewegungen des Anderen Kinos in Deutschland in das Fernsehen oder in das Kino und in die Kunst abwandern konnte, gelang uns das hier in Österreich nicht. Weil wir kein Geld und keine Unterstützung, weder vom Staat noch vom Fernsehen, noch von der Filmwirtschaft bekamen, mussten wir einsehen, dass vielleicht unsere Ideen, zumindest aber wir selbst nicht mächtig genug sind, die österreichische Kinosituation zu verändern.“ Hauptartikel: Neuer Österreichischer Film Spielfilmproduktion Jahr Anzahl 1969 3 1970 7 1971 5 1972 9 1973 6 1974 8 1975 6 1985[16] 12 1995[16] 19 Das Filmschaffen ab den 1970er Jahren wird mitunter als Neuer Österreichischer Film bezeichnet. Dieser war ähnlich dem Neuen Deutschen Film von der 68er-Bewegung beeinflusst, häufig Autorenfilm und behandelte gesellschaftliche Themen. Er entfaltete sich neben den Experimental- und Avantgardefilmversuchen der 1960ern jedoch langsamer als das deutsche Pendant und erreichte seinen Höhepunkt erst in den 1980er-Jahren. Neben aktuellen Themen wie Verwahrlosung der Gesellschaft und Jugend, Benachteiligung von Frauen und weiteren avantgardistischen Einzelleistungen beschäftigte sich der Neue Österreichische Film jedoch auch mit dem Alltagsfaschismus und dem Zweiten Weltkrieg. In den 1970er-Jahren begannen die Diskussionen um die Einführung eines Filmförderungsgesetzes, welches 1980 auch zustande kam. Im Vorfeld dazu organisierten sich die Filmschaffenden wieder in Verbänden. 1977 entstand das „Syndikat der Filmschaffenden Österreichs“, in dessen Auftrag im selbem Jahr die ersten „Österreichische Filmtage“ in Velden stattfanden (Organisation: Gerhard Kargl und Horst Dieter Sihler). 1979 wurde der „Verband der Filmregisseure Österreichs“ gegründet. Von 1978 bis 1983 wurden in Kapfenberg jährlich die „Österreichischen Filmtage“ abgehalten. Ab 1984 wurde in Wels vom Österreichischen Filmbüro das „Nationale Filmfest“, das später ebenfalls in „Österreichische Filmtage“ umbenannt wurde, abgehalten. Die 1970er waren das Jahrzehnt mit der bisher geringsten Spielfilmproduktion. Dieser Trend begann allerdings bereits Anfang der 1960er Jahre, als Österreich für letztendlich rund 15 Jahre fast komplett von der internationalen Filmbühne verschwand. Erst Mitte der 1970er entstanden wieder Spielfilmproduktionen, die sich auch international sehen lassen konnten, und auch sehen ließen - die Filme des so genannten „Neuen Österreichischen Films“. Doch vorerst entstanden noch letzte Heimatfilme und -komödien wie Franz Antels „Außer Rand und Band am Wolfgangsee“ (1972), sowie daneben einzelne Literaturverfilmungen und auch einschlägige Erotik- und Sexfilme, deren Kinoaufführung nun nicht mehr verboten wurde. Ab Mitte der 1970er Jahre erhielt jedoch eine neue Generation von Regisseuren die Möglichkeit ihr Können zu zeigen. Dazu zählte auch Peter Patzak, dessen Erstlingswerk „Parapsycho - Spektrum der Angst“ aus dem Jahr 1975 in ein in Österreich bisher nicht vertretenes Schema, den Horrorfilm, fiel. Ein erfolgreiches Spielfilmdebüt lieferte auch der gebürtige Perser Mansur Madavi 1974 in „Die glücklichen Minuten des Georg Hauser“ ab, und Dieter Berner konnte mit der ORF-Serie Alpensaga erstmals einen kritischen Heimatfilm etablieren, der über die Grenzen hinaus bekannt wurde. Weitere wichtige Regisseure, die in jenen Jahren aufstiegen, waren Fritz Lehner, Mara Mattuschka, Franz Novotny oder Kitty Kino. Der bedeutende Kameramann Christian Berger versuchte sich vorübergehend auch im Regiefach. Dokumentarfilme über Politik und Natur ergänzten die bescheidene heimische Spielfilmproduktion für die Kinos. Alfons Stummer trug hierzu mit seiner Dokumentation „Europa - Leuchtfeuer der Welt“ (1970) bei, Alfons Benesch mit „Traumreise über die Alpen“ (1971) und Walter J. Zupan mit „Vorarlberg - Land der Alpen“. Zu den erwähnenswerten Dokumentarfilmen dieser Jahre zählen auch die Komponisten-Biografien von Hans Conrad Fischer. So erschienen beispielsweise „Ludwig van Beethoven“ (1970) und „Das Leben Anton Bruckners“ (1974). Im Bereich der Literaturverfilmungen widmete man sich vermehrt anspruchsvollerer Literatur. Als Nachtrag zu den politischen Ereignissen der letzten Jahre wurde 1970 mit „Alkeste - Die Bedeutung, Protektion zu haben“ des gebürtigen Griechen Antonis Lepeniotis ein antikes Drama für die Neuzeit adaptiert. Der Regisseur fand einen überzeugenden Weg vom Avantgardefilm über den Kunstfilm zum realistischen, spannungsgeladenen Kinofilm[17]. Dies zeigte sich auch in „Das Manifest“ (1974) und „Operation Hydra“ (1980). Wim Wenders inszenierte 1972 Peter Handkes „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ mit Arthur Braun, Kai Fischer und Erika Pluhar. Basierend auf einer wahren Geschichte über einen kriegsdienstverweigernden Bauern entstand 1971 „Der Fall Jägerstätter“ nach einem Drehbuch von Hellmut Andics und unter der Regie von Axel Corti. Für „Totstellen“, nach einem Buch von Michael Scharang, erhielt dieser Regisseur 1975 den neu geschaffenen Großen Österreichischen Staatspreis für Filmkunst. 1976 erschien von Titus Weber der musik-experimentelle Film „Kindertotenlieder“ nach einer Komposition Gustav Mahlers. Derselben Art waren auch sein 1978 entstandener Film „Freund ich bin eingezogen“. 1976 wurde in Wien nach einem Theaterstück das moderne Passionsspiel „Jesus von Ottakring“ uraufgeführt. Wilhelm Pellert war sowohl Autor des Stücks als auch Regisseur der Verfilmung, die deutlich den österreichischen „Hinterhoffaschismus“ aufdeckt. Für den Auslandsoscar eingereicht wurde Jörg A. Eggers „Ich will leben“, der in Österreich das Prädikat „Wertvoll“ erhielt. Der 1976 uraufgeführte Film beschreibt die Geschichte eines durch einen Unfall schwer behinderten Kindes und den Umgang der Eltern damit. Der Sachbuchautor und Undergroundfilmer Ernst Schmid Jr. brachte 1977 seine erste abendfüllende Produktion hervor. Es war der Experimentalfilm „Wienfilm 1896–1976“, der mit Collagen dem Publikum ein differenziertes Wien-Bild vermitteln wollte. Eine außergewöhnliche Produktion jenes Jahres war Götz Hagmüllers und Dietmar Grafs „Die denkwürdige Wallfahrt des Kaisers Kanga Musa von Mali nach Mekka“. Der Film wurde in Afrika gedreht und erhält durch eine poetische Kameraführung und eine sanfte Schnittfolge eine sonderbare Wirkung. Als Erzähler fungierte Attila Hörbiger. Franz Antel wartete im selben Jahr mit Tony Curtis als Hauptdarsteller in seiner Produktion „Casanova & Co“ auf. John Cook und Susanne Schett stellten 1977 „Langsamer Sommer“ vor, einen Film der finanziell schwache Filmemacher, ihre Fantasien und ihre Umwelt darstellte - eine Art Selbstreflexion also. Peter Patzaks zeichnete für den gesellschaftskritischen Spielfilm „Kassbach“ aus dem Jahr 1979 verantwortlich, der sich mit Faschismus und Neonazismus auseinandersetzt. Die Hauptrolle spielte Walter Kohut. Ende der 1970er entstanden noch mehrere Filme, die eine gewisse Vorreiterrolle für die Produktionen der 1980er und 1990er Jahre einnahmen. So etwa Mansur Madavis „Die blinde Eule“ (1978), worin die Geschichte eines Mädchens, das aus einem Erziehungsheim flieht, erzählt wird. Es ist einer der ersten österreichischen Filme, der sich mit dem Leben weggesperrter Personen beschäftigt - sei es nun in geschlossenen Anstalten oder Gefängnissen. Eine Reihe von Spielfilmen, die sich mit der österreichischen Geschichte vor dem Zweiten Weltkrieg auseinandersetzen, löste Maximilian Schells sensible Verfilmung von Ödon von Horvath Theaterstück „Geschichten aus dem Wienerwald“ (1979) aus. Und Valie Exports Inszenierungen „Menschenfrauen“ (1979) sowie „Unsichtbare Gegner“ (1979) waren der Auftakt zu den so genannten „Frauenfilmen“, in denen meist benachteiligte Frauen porträtiert wurden. Nach dem historischen Tiefstand der heimischen Filmproduktion in den 1970er-Jahren erfuhren die 1980er-Jahre aufgrund zahlreicher Erstlingswerke junger Regisseure sowie vermehrter Produktion innovativer und gesellschaftskritischer Amateur- und Spielfilme einen Aufschwung. Gemeinsam mit den anderen österreichischen Avantgarde- und Underground-Filmern trugen Valie Export, Peter Kubelka und Peter Weibel wesentlich dazu bei, dass die österreichische Filmgeschichte nach 1945 international überhaupt zur Kenntnis genommen wird. Der erste Publikumserfolg der 1980er war eine Komödie der anderen Art: Franz Novotnys „Exit - nur keine Panik“ handelt von zwei Wiener Raufbolden die von Paulus Manker und Hanno Pöschl gespielt wurden. Der Film kam als einer der ersten auch in Genuss des neuen österreichischen Filmförderungsgesetzes. Dieses trat, nachdem viele Filmschaffende und Filmwissenschafter es jahrzehntelang gefordert hatten, 1981 in Kraft. Einer der interessantesten Versuche des Neuen Österreichischen Films war Niki Lists „Malaria“ - ebenfalls eine ungewöhnliche Komödie, die 1983 mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet wurde. Der von spätpubertären Jugendlichen handelnde Film bestach durch hohe Farbqualität, bizarre Kameraführung und entlarvenden Humor. Zugleich stellte er das Filmdebüt des am Beginn seiner Karriere stehenden Kabarettisten Andreas Vitasek dar. Niki Lists zweiter, sehr erfolgreicher, Versuch, ein zeitgenössisches Unterhaltungskino zu etablieren, war der Film „Müllers Büro“ aus dem Jahr 1986. Diese gesangsuntermalte Detektivkomödie gilt mit 441.000 Besuchern in Österreich als erfolgreichste Produktion des Neuen Österreichischen Films vor der Jahrtausendwende. Den Auftakt zu einer einzigartigen satirischen Filmreihe rund um den Wiener Kriminalkommissar Kottan machte Peter Patzak 1981 mit „Den Tüchtigen gehört die Welt“. Gemeinsam mit Helmut Zenker schrieb er die kongenialen Vorlagen sowohl für diesen Film, als auch für die Fülle seiner Fortsetzungen, die ab 1984 als Teile der Serie „Kottan ermittelt“ für den ORF hergestellt wurden. Die deutsch-österreichisch-ungarische Gemeinschaftsproduktion „Mephisto“ brachte sogar einen Auslandsoscar ein. Der von István Szabó inszenierte Film basierte auf einem Roman von Klaus Mann. Zum internationalen Erfolg trug die schauspielerische Leistung des Hauptdarstellers Klaus Maria Brandauer wesentlich bei. Mit dem Prädikat „Besonders Wertvoll“ wurde Titus Lebers musik-experimenteller Film „Anima - Symphonie Fantastique“ versehen. Dieser Höhepunkt des kalligraphischen Films wartete mit Charo Lopez und Matthieu Carrière als Hauptdarsteller auf und wurde an den Filmfestspielen von Cannes gezeigt. Ein außergewöhnliche Produktion war auch Margareta Heinrichs Dokumentarfilm „Der Traum des Sandino“ (1980). Darin ließ sie sieben Wochen lang die Bevölkerung Nicaraguas über die sandinistische Befreiung befragen. Das zweistündige Ergebnis erschien 1981 in den Kinos. Eine weitere antiimperialistische Expedition unternahm 1982 Werner Grusch mit „Bonjour Capitaliste“. Nach dem gleichnamigen Roman von Friedrich Torberg inszenierte Wolfgang Glück im Jahr 1981 „Der Schüler Gerber“. Der Film setzte nach „Jesus von Ottakring“ und „Kassbach“ erneut starke gesellschaftskritische und künstlerische Akzente. 1982 stellte Edwin Zbonek seinen Film über die Wohlstandsgesellschaft, „Gehversuche“, vor. Kritiker verglichen den Film mit Federico Fellinis „I Vitelloni“ und in „Ein wenig Sterben“ erzählt Mansur Madavi den Kampf eines alten Menschen, gespielt von Alfred Solm, gegen die Vertreibung aus seiner Wohnung. Als Beitrag zum gesellschaftskritischen Filmschaffen entstanden in den 1980er-Jahren auch mehrere Filme über jugendliche Außenseiter. Diese Produktionen sorgten meist für mediales Aufsehen und heftige Diskussionen. So auch Walter Bannerts „Die Erben“ aus dem Jahr 1981. Dieser Film handelt von zwei Sechzehnjährigen, die eher zufällig als absichtlich zu Mitgliedern der „Neuen Rechten“ werden. Im selben Jahr stellte Dieter Berner mit „Der richtige Mann“ einen Film über die Orientierungslosigkeit junger Großstadtmenschen. 1982 folgte mit „Die Ausgesperrten“ die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Elfriede Jelinek unter der Regie von Franz Novotny mit Paulus Manker in der Hauptrolle. Auch das Ehepaar Ruth und Alfred Ninaus thematisierte in ihrer Zweitproduktion „Ich wollte leben“ mit Drogen- und Alkoholabhängigen im Jahr 1983 abermals jugendliche Härtefälle. Die ästhetisch außergewöhnlichsten und auch irritierendsten Werke der 1980er-Jahre waren allerdings Paulus Mankers Regiedebüt „Schmutz“ (1985) und Michael Syneks „Die toten Fische“ (1989). Die beiden, surrealistische Elemente aufweisenden, Filme handeln von Außenseitern im Konflikt mit der Umwelt. Mit einer weiteren Schattenseite der Gesellschaft beschäftigten sich Filme über Insassen von Gefangenen- oder Irrenanstalten. Einer der ersten solcher Filme war Houchang Allahyaris „Fleischwolff“ (1980), der vom Leben in einem Gefängnis erzählt. Regisseur Josef Lauscher hob die düstere Stimmung in einer Irrenanstalt dadurch hervor, indem er seinen ersten abendfüllenden Film „Kopfstand“ zur Gänze in Schwarzweiß drehte. Inhalt ist die Geschichte eines Mannes, der wegen einer Bagatelle in einer psychiatrischen Anstalt fest gehalten wird. Andreas Gruber debütierte 1983 mit einem ähnlichen Film. In „Drinnen und Draußen“ hofft sein Hauptdarsteller auf die Entlassung aus der Psychiatrie. 1981 sorgte Franz Antel mit einer für ihn ungewöhnlichen Produktion für Aufsehen. Sie erzählt das Schicksal des Fleischhauers Karl Bockerer während der NS-Zeit, der mit Humor und Menschlichkeit alle auftretenden Probleme meistert. „Der Bockerer“ wurde 1980 vorab an den Filmfestspielen von Moskau mit dem Schauspielerpreis für „den Bockerer“ Karl Merkatz ausgezeichnet. Die Spätwirkungen des Nationalsozialismus hingegen werden in der ungewöhnlichen Liebesgeschichte „Kieselsteine“ (1983) thematisiert. In diesem Erstlingswerk von Lukas Stepanik sind die zwei Hauptcharaktere eine Jüdin und ein Deutscher, dreißig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. An die nationalsozialistische Vergangenheit erinnerte 1988 auch Egon Humer. In seinem Dokumentarfilm über die nationalsozialistische Tötungsanstalt Schloss Hartheim „Sterben und Leben im Schloß“ deckte er den bisher von der Öffentlichkeit kaum wahr genommenen Umstand der Existenz solcher Anstalten auf, und machte zugleich die grauenvollen Vorgänge in solch einer erahnbar. 1982 trat Peter Hajek mit seiner ersten Filminszenierung hervor. Der 41-jährige Filmkritiker präsentierte mit „Sei zärtlich Pinguin“ einen Kinofilm, dessen Botschaft die Forderung zur Gleichberechtigung von Mann und Frau ist. Die Hauptrolle in dieser mit über 210.000 Besuchern höchst erfolgreiche Beziehungskomödie spielte Marie Colbin. Mit „Karambolage“ gestaltete Kitty Kino 1983 einen teils selbstironischen Frauenfilm. In „eine der letzten Domänen der Männerwelt“ - das „Wettkampf-Billard“ - stießen darin Marie Colbin, Renee Felden, Gerhard Rühmkopf und Wilfried Baasner vor. Ebenfalls mit der Situation von Frauen in der Gesellschaft beschäftigte sich Susanne Zanke, die 1989 mit „Die Skorpionfrau“ ein beachtetes Frauenporträt hervorbrachte. Xaver Schwarzenbergers Romanverfilmung „Der stille Ozean“, die von einem gescheiterten Arzt, der Zuflucht in einem Dorf sucht, erzählt, erhielt 1983 an der Berlinale unter anderem den Silbernen Bären. Als Kameramann bei diesem Film erhielt Schwarzenberger ein Jahr später den Deutschen Kamerapreis. Ebenfalls zu einer neuen Art von Heimatfilmen, die abseits von Kitsch und naiver Heiterkeit das mitunter schwierige Leben auf dem Land darstellen, zählen Fritz Lehners Epos „Schöne Tage“ (1981) über das Bergbauerntum sowie Christian Bergers Bergbauerndrama „Raffl“ (1983), welches zur Zeit der napoleonischen Besetzung spielt. Wolfram Paulus Heimatfilm „Heidenlöcher“ (1985) über Treue und Verrat war hingegen zur Zeit des Zweiten Weltkrieges angesiedelt und Angela Summereder gestaltete 1981 in „Zechmeister“ das stilistisch eigenwillige Porträt einer zu Unrecht des Mordes beschuldigten armen Bäuerin. Auch Leopold Hubers Debütfilm „Hirnbrennen“ zählt zu den sehenswerten und heimatkritischen Filmen des Jahres 1983. Der Film handelt von menschlichen Abgründen in einem von Säufern geprägten ländlichen Dorf. Michael Haneke inszenierte 1989 mit „Der Siebente Kontinent“ seinen ersten Film fürs Kino. Das Drehbuch für dieses Drama, das an den Filmfestivals von Locarno und Flanders ausgezeichnet wurde, schrieb er wie in allen folgenden Filmen selbst. An einem Thriller versuchte sich in diesem Jahr Michael Schottenberg: „Caracas“ (1989). Der Versuch glückte zumindest bei der Kritik, erhielt der Film mit dem Jugendpreis der Filmfestspiele von Cannes sowie dem Max-Ophüls-Preis doch zwei Auszeichnungen. In heimische Kinos lockte der Film aber nur wenige Tausend Besucher. Weitere Versuche im Thriller-Genre, die sich sowohl an ausländischen Produktionen als auch an der äußert erfolgreichen TV-Krimiserie „Kottan ermittelt“ orientierten, konnten in den 1990ern meist ebenso wenig reüssieren. In den 1990er Jahren fand der gesellschaftskritische Neue Österreichische Film seine Fortsetzung. Die Komödienproduktion wurde mit den so genannten „Kabarettfilmen“ wiederbelebt. Diese greifen ein Prinzip auf, welches bereits zur Stummfilmzeit begründet wurde - das Einsetzen beliebter Kabarettisten als Filmschauspieler. Eine Neuerung war jedoch, dass nun auch typische negative Charaktereigenschaften von Österreichern dargestellt und karikiert werden konnten, ohne beim Publikum auf Ablehnung zu stoßen. Diese Facette verdankt das Kabarett und der Kabarettfilm vor allem Helmut Qualtinger, der mit der unbeschönigenden Darstellung von Österreichern bereits in den 1960ern Aufsehen erregte. Typische Beispiele für solche Filme sind Paul Harathers „Indien“ (1993) mit Josef Hader und Alfred Dorfer, Harald Sicheritz' „Muttertag“ (1993) mit Roland Düringer und Alfred Dorfer in jeweils einem halben Dutzend Rollen sowie fast der gesamten restlichen österreichischen Kabarettszene in den weiteren Rollen, oder auch „Freispiel“ (1995), ebenfalls von Harald Sicheritz. Diese Filme lockten bis zu 230.000 Besucher in die Kinos, sind aber auch im Fernsehen Jahr für Jahr erneut Publikumsmagnete. Eine andere Variante der Komödien der 1990er Jahre sind satirische Grotesken wie „Die Ameisenstraße“ (1990) oder leicht unterhaltsame Gesellschaftslustspiele wie „I love Vienna“ (1991) oder „Tafelspitz“ (1992). Während Michael Glawogger in „Die Ameisenstraße“ die Tradition der grotesken Farce weiterschreibt, indem er ein Wiener Mietshaus als einen Mikrokosmos gegensätzlicher Charaktere darstellt, handelt Houchang Allahyaris „I love Vienna“ auf komödiantische Weise vom Zusammenprall zweier Kulturen, Orient und Okzident, in Wien. Eine Westernkomödie, die fast 190.000 Besucher erreichte, präsentierte 1999 Harald Sicheritz. „Wanted“ wurde in der niederösterreichischen „Wild-West-Erlebnistadt“ „No Name City“ mit Alfred Dorfer, Michael Niavarani, Simon Schwarz u.a. gedreht. Eine Ausnahme in den Filmproduktionen der 1990er-Jahre stellte Andreas Grubers historisches Drama „Hasenjagd – Vor lauter Feigheit gibt es kein Erbarmen“ aus dem Jahre 1994 dar. Der Film stellt die als Mühlviertler Hasenjagd bekannt gewordene gnadenlose Menschenjagd auf geflohene Insassen des KZ Mauthausen nach, in deren Verlauf trotz der Riskierung des eigenen Lebens einzelne Bauernfamilien Flüchtlinge versteckt hielten. Eine Ausnahme stellt der Film nicht aufgrund seines schwierigen Themas dar, sondern auch deshalb, da der Film im Gegensatz zu vergleichbaren Produktionen früherer Jahre auch ein breites Kinopublikum erreichte. In den 1990er Jahren kamen in stärkerem Ausmaß als bisher auch Dokumentarfilme über gesellschaftspolitische Themen und Randgruppen hinzu. Abseits vom oft monoton belehrenden Stil von Fernsehdokumentationen wurde beispielsweise 1990 der Niedergang einer provinziellen Industrieregion in „Postadresse 2640 Schlöglmühl“ von Egon Humer, sowie der Alltag ausländischer Zeitungsverkäufer in Wien in „Good News“ von Ulrich Seidl dokumentiert. Starke autobiographische Züge und surrealistische Vorbilder sind in den frühen Werken „Himmel oder Hölle“ (1990) und „Ich gelobe“ (1994) von Wolfgang Murnberger erkennbar. Ersterer erzählt einfühlsam das Leben auf dem Land aus der Sicht Jugendlicher, Zweiterer vom tristen Soldatenalltag in einer Provinzkaserne. Ebenfalls von Jugendlichen handelt Barbara Alberts sozialkritisches Drama „Nordrand“ (1999). Aufgrund der zahlreichen internationalen Auszeichnungen erreichte die Produktion, und mit ihr die junge Hauptdarstellerin Nina Proll, in Österreich größere Beachtung. Im Kinder- und Jugendfilmbereich, der sich in Österreich nie etablieren konnte, waren in den 1990er-Jahren Bernd Neuburger („Ferien mit Silvester“, 1990, „Lisa und die Säbelzahntiger“, 1995) und Wolfram Paulus die aktivsten Regisseure. Zweiterer ließ an „Ein Rucksack voller Lügen“ (1996) 150 Kinder mitgestalten und war mit diesem Film auch am deutschen Markt erfolgreich, wo er mit 100 Kopien anlief. Michael Haneke inszenierte 1991 mit „Benny's Video“ seinen zweiten Kinofilm - abermals ein Drama, das mit gefühlskalten Charakteren aufwartet und ein Krankheitsbild der Gesellschaft zeichnet. Ein utopisches Szenario der besonderen Art bot Florian Flicker 1993 in seinem Science Fiction-Film „Halbe Welt“. Nach „Müllers Büro“ der zweitmeistbesuchte Neue Österreichische Film war Joseph Vilsmaiers Verfilmung von Robert Schneiders Novelle „Schlafes Bruder“ (1995). Peter Tscherkassky setzte mit seinen Arbeiten, die sich der kinematografischen Kinetik widmen, die Tradition des österreichischen Avantgardefilms fort und sorgt für zahlreiche Festivalerfolge. Ebenso Michael Kreihsl, der an Titus Lebers kalligrafische Filmexperimente anschloss, und 1996 für „Charms Zwischenfälle“ mit dem Caligari Film Award der Internationalen Filmfestspiele Berlin ausgezeichnet wurde. Auch Virgil Widrich konnte mit seinen Kurzfilmen internationale Aufmerksamkeit erregen, ebenso Martin Arnold mit seinen Found-Footage-Bearbeitungen. Weitere erwähnenswerte Filmemacher sind Antonin Svoboda, Jörg Kalt, Jessica Hausner, Barbara Gräftner, Ruth Mader, Anja Salomonowitz und Mirjam Unger. Das Filmschaffen zu Beginn des 21. Jahrhunderts knüpfte teils an Trends der 1990er Jahre an, etwa im Bereich der Komödienproduktion, die in den 2000er Jahren zu neuen Besucherrekorden ansetzten. Es wurden aber auch neue Schwerpunkte im Bereich gesellschaftskritischer Filme und Dokumentationen gesetzt, die auch im Ausland vielfach für Aufsehen und Auszeichnungen sorgten, und somit den österreichischen Film auf ein noch nie da gewesenes Qualitätsniveau hoben. Österreichische Dokumentar-, Kurz- und Spielfilme sind auf Filmfestivals so präsent wie nie zuvor und gewinnen jährlich angesehene Filmpreise. Bei den Komödien wurde der Trend, Kabarettisten einzusetzen, mit Produktionen wie „Hinterholz 8“, „Poppitz“ und „MA 2412 – Die Staatsdiener“ höchst erfolgreich fortgesetzt. Der Kabarettist Roland Düringer spielte in allen drei Filmen, die zwischen 230.000 („MA 2412 – Die Staatsdiener“) und 620.000 („Hinterholz 8“) Besucher anlockten, eine der Hauptrollen. Während die beiden von Harald Sicheritz inszenierten Filme „Hinterholz 8“ und „Poppitz“ von der Schwierigkeit des Hausbaus und einem katastrophalen Cluburlaub erzählen, handelt es sich bei „MA 2412 - Der Film“ um eine filmische Abhandlung der erfolgreichen TV-Sitcom „MA 2412“, die zuvor jahrelang höchst erfolgreich das österreichische Beamtentum karikiert hatte. Auch im Bereich satirischer Grotesken konnten zwei Publikumserfolge verzeichnet werden. Regie bei „Komm, süßer Tod“ (2000) sowie dessen Fortsetzung „Silentium“ (2004) führte abermals Wolfgang Murnberger. Beides sind Verfilmungen von Romanen von Wolf Haas, mit Josef Hader in der Hauptrolle. Den Auftakt bei den international beachteten gesellschaftskritischen Filmen des neuen Jahrtausends machte Ulrich Seidl im Jahr 2001 mit „Hundstage“. Der Film, der unter anderem in Venedig den Großen Preis der Jury erhielt, erzählt auf schockierende Art und Weise Geschichten von abstoßenden österreichischen Charakteren. Einen unterhaltsameren gesellschaftskritischen Spielfilm stellte hingegen Hans Weingartners Low-Budget-Produktion „Die fetten Jahre sind vorbei“ dar, eine deutsch-österreichische Koproduktion welche auch im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes vertreten war. Michael Glawogger trat in den 2000er Jahren mit den international beachteten Spielfilmen „Nacktschnecken“ (2004) und „Slumming“ (2006), sowie dem Dokumentarfilm „Workingman's Death“ (2005) hervor. Und der seit mehreren Jahren in Frankreich lebende und arbeitende Regisseur Hubert Sauper erreichte mit seinem Dokumentarfilm „Darwins Alptraum“ einen César, eine Auszeichnung bei den Filmfestspielen von Venedig und sogar eine Oscar-Nominierung als „Bester Dokumentarfilm“. Seit 1989 sorgt Michael Haneke mit menschliche Befindlichkeiten sezierenden Dramen für Aufsehen. Zu Weltgeltung kam er spätestens seit seinen weltweit vielfach ausgezeichneten Inszenierungen „Die Klavierspielerin“ (2001) nach dem Roman von Elfriede Jelinek mit Isabelle Huppert, "Code Inconnu" mit Juliette Binoche und „Caché“ (2005) mit Binoche und Daniel Auteuil. Erstere erreichte weltweit rund 2,5 Millionen Kinobesucher - die meisten davon in Frankreich, wo rund eine 700.000 Personen den Film besuchten. „Die Klavierspielerin“, eine Koproduktion mit Frankreich, ist somit die international erfolgreichste österreichische Produktion der letzten Jahre. Die erfolgreichste Produktion des Jahres 2006 ist bis jetzt Erwin Wagenhofers Dokumentarfilm „We Feed the World“, der rund 200.000 Besucher in die österreichischen Kinos gelockt hat. Eine ähnliche Produktion läuft seit April in den Kinos: Nikolaus Geyrhalters „Unser täglich Brot“. Eine ebenfalls viel beachtete Produktion ist das im März in den Kinos angelaufene Drama „Esmas Geheimnis – Grbavica“, welches sich mit der wahren Lebensgeschichte einer Frau im Nachkriegsbosnien auseinandersetzt. Deutschsprachige Literatur: * Josef Aichholzer: Dokumentarfilmschaffen in Österreich. Filmladen, Wien 1986. * Ruth Beckermann: Ohne Untertitel . Sonderzahl-Verlags-Gesellschaft, Wien 1996, ISBN 3-85449-090-9. * Francesco Bono, Paolo Caneppele, Günter Krenn (Hg.): Elektrische Schatten, Verlag Filmarchiv Austria, Wien 1999, ISBN 3-901932-02-X * Elisabeth Büttner / Christian Dewald: Das tägliche Brennen (Eine Geschichte des österreichischen Films von den Anfängen bis 1945). Residenz Verlag, Salzburg und Wien 2002, ISBN 3-7017-1261-1 * Elisabeth Büttner / Christian Dewald: Anschluß an Morgen (Eine Geschichte des österreichischen Films von 1945 bis zur Gegenwart). 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